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Befreit das Saatgut!

Immer weniger Pflanzensorten werden beim Anbau unserer Nahrungsmittel eingesetzt. Wie Artenvielfalt die Zukunft der Ernährung sichern kann und warum Patente auf Saat verboten sein sollten.

Qualitativ hochwertige, frische und möglichst regionale Produkte sind für immer mehr Konsumenten ein wichtiger Faktor beim Kauf ihrer Lebensmittel und bieten die Grundlage einer abwechslungsreichen und gesunden Ernährung. Was jedoch die wenigsten wissen: Nur etwa 30 Sorten Saatgut erzeugen 95 Prozent unserer Lebensmittel. Alte, klimabeständige und regionale Saatgutsorten sind kaum noch zu finden.

Etwa 80 % aller Kulturpflanzensorten, die einst von unseren Vorfahren gezüchtet wurden, gibt es nicht mehr

Bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren Pflanzensamen noch ein öffentliches Gut. Über Jahrtausende haben Landwirte ertragreiche und widerstandsfähige Kulturpflanzen gezüchtet und untereinander getauscht. Im Zuge der Industrialisierung fand schließlich eine Professionalisierung im Bereich der Saatgutgewinnung statt. Mit der Gründung eines Instituts für Züchtungsforschung begann 1929 in Deutschland auch die Entwicklung eines ersten Saatgutgesetzes. Nur wenige Jahre später trat 1934 die erste deutsche Saatgutverordnung in Kraft, unter anderem um das Land von Lebensmittelimporten unabhängig zu machen. Landwirten war es nun untersagt, Sorten anzupflanzen, die nicht in einer sogenannten Reichssortenliste verzeichnet waren. Seit den 40er-Jahren wurden zur Ertragssteigerung von Pflanzenzuchtzentren gezielt Hochleistungssorten gezüchtet. Mit der Entwicklung gentechnisch veränderter Pflanzen kam es schließlich in den 80er-Jahren erstmals zur Patentierungen von Pflanzenzüchtungen.

“Über Jahrtausende haben Landwirte ertragreiche und widerstandsfähige Kulturpflanzen gezüchtet und untereinander getauscht.” Foto: Peter Wendt. Foto: The Vault.

Heute entwickeln einige wenige große Konzerne wie Bayer-Monsanto und Syngenta Hochleistungssaatgut und verkaufen es teuer an die Landwirte. Saaten bestimmter Tomatensorten haben dabei mitunter einen höheren Wert als Gold (60.000 bis 400.000 Euro pro Kilo Saatgut). Die entsprechenden chemischen Dünger und Pestizide werden dabei direkt passend zum Saatgut mitentwickelt und verkauft. Saatgut ist so zur lukrativen Ware geworden. Seit der Jahrtausendwende werden zudem auch Patente auf konventionell gezüchtete Pflanzen und sogar Tiere vergeben – obwohl das europäische Patentrecht dies eigentlich verbietet. Doch die Konzerne nutzen geschickt bestehende rechtliche Schlupflöcher, die auf unklaren Formulierungen beruhen und umgehen die Verbote. Somit werden herkömmliche Kreuzungen von Pflanzen und Tieren als originäre Erfindungen behandelt und vor allem gehandelt.

Die Konzerne fokussieren sich in der Entwicklung nur auf einige wenige Sorten, die so gezüchtet sind, dass sie möglichst hohe Erträge bringen, makellos aussehen und lange haltbar sind. Diese sogenannten Hybridsaaten vereinen in sich die besten Eigenschaften ihrer Pflanzenfamilie. Aus ihnen entstehen also die geraden Gurken und runden Tomaten „mit ausgezeichnetem Geschmack, schöner Farbe und eindrucksvollem Ertragspotenzial“ (aus dem Produktkatalog einer Bayer-Tochter), die wir in nahezu jedem Supermarkt finden.

Doch dieses Hybridsaatgut lässt sich nicht fortpflanzen. Der natürliche Kreislauf aus Saat,- Ernte, Wiederaussaat, wie wir ihn aus unseren Schulbüchern kennen, existiert nicht mehr. Der Landwirt ist nach jeder Ernte darauf angewiesen, Saatgut und Pestizide nachzukaufen. Es entsteht ein Abhängigkeitsverhältnis und die verkaufenden Konzerne behalten langfristig die Oberhand über die konventionelle Landwirtschaft. 2020 waren es vier Chemieriesen, die rund 60 % des kommerziellen Saatguts besitzen. Ihre Züchtungen haben in Europa inzwischen einen Marktanteil von über 90 %. Sie sind es also, die bestimmen, was am Ende des Tages auf unseren Tellern landet und die Vielfalt unzähliger alter Sorten verdrängen.

Solche Saatgutbanken gibt es in zahlreichen Ländern weltweit und sie dienen vornehmlich der Sicherung der Saatgutvielfalt. Foto: The Vault.

Genetische Vielfalt als Grundlage zur Sicherung der Ernährung der Weltbevölkerung

Vor allem genetische Vielfalt bildet die Basis für die Züchtung neuer, robuster und widerstandsfähiger Nutzpflanzen. Denn wir wissen nicht, was die Zukunft bringt. Klimawandel, Kriege oder die Entstehung bisher unbekannter Schädlinge und Krankheiten könnten im Nu die wenigen noch verfügbaren Kulturpflanzen vernichten. Geht die Vielfalt also weiterhin verloren, verschwindet die Grundlage unserer Nahrungssicherheit.

Bereits 2015 wurde während des Syrienkrieges in Aleppo eine Saatgutbank zerstört, die Samen einheimischer Nutzpflanzen verwahrte. Solche Saatgutbanken gibt es in zahlreichen Ländern weltweit und sie dienen vornehmlich der Sicherung der Saatgutvielfalt. Die größte Saatgutbank befindet sich im norwegischen Spitzbergen. Bei -18 Grad lagern dort Pflanzensamen aus rund 250 Ländern im ewigen Eis. Die Samen werden im Bunker von den jeweiligen nationalen Saatgutbanken als Back-up hinterlegt und im Katastrophenfall wieder entnommen wie im Fall des Syrienkrieges. Hier wurden die Pflanzensamen in den Libanon und nach Marokko zurückgeführt, um dort erneut kultiviert, vermehrt und gesichert zu werden.

Liegt in diesem Bunker in Nordnorwegen die Lösung des Problems? Nur bedingt. Der Betreiber der Saatgutbank ist der Welttreuhandfonds für Kulturpflanzenvielfalt, auch Crop Trust genannt. Eine unabhängige internationale Organisation, „deren einzige Aufgabe es ist, sicherzustellen, dass die Menschheit die weltweite Pflanzenvielfalt für die künftige Ernährungssicherheit erhält und zur Verfügung stellt.“ Schaut man sich auf der Seite des Crop Trusts die Liste der Unterstützer an, entdeckt man die Namen einschlägiger Monopolisten des Saatgutmarkts. Auch Chemiekonzerne müssen bei null anfangen, wenn ihre eigenen „Kreationen” den Bedingungen nicht mehr standhalten können. Eine Saatgutbank verhindert nicht das Geschäft mit Patenten auf Kulturgut.

Laut Crop Trust dient die Einlagerung von aktuell mehr als einer Million Samenproben auch dazu, künftige „Herausforderungen des Klimawandels und des Bevölkerungswachstums zu bewältigen“. Doch es ist der Klimawandel, der dem Bunker selbst zur Gefahr wird. Bereits kurz nach der Eröffnung der Saatgutbank gab es durch den auftauenden Permafrostboden erste bauliche Schäden. Einige Jahre später drang in Folge eines zu warmen Frühlings Tauwasser in den Bunker ein und er musste umgebaut werden.

“Die Konzerne fokussieren sich in der Entwicklung nur auf einige wenige Sorten, die so gezüchtet sind, dass sie möglichst hohe Erträge bringen, makellos aussehen und lange haltbar sind.” Foto: The Vault.

Immer mehr Protest gegen den Einfluss der Chemiegiganten

Weltweit mehrt sich der Protest gegen die Übermacht der Konzerne und für die Befreiung des Saatguts. Eine wachsende Gemeinschaft aus Erzeugern und Verbrauchern setzt sich für den Erhalt der Artenvielfalt ein. Organisationen wie Greenpeace und Keine Patente auf Saatgut e.V. kämpfen für den freien Zugang zu Saatgut und arbeiten daran, die Patentvergabe auf konventionell gezüchtete Pflanzen und Lebewesen zu stoppen. Die Initiative Kein Patent auf Leben recherchiert regelmäßig Berichte zur Patentvergabe des Europäischen Patentamtes und fasst in ihrer Patentdatenbank die angemeldeten und erteilten Patente auf Pflanze und Tiere zusammen. Die Initiative ist dabei auch politisch aktiv und erhebt Einsprüche gegen die Vergabe diverser Patente beim Europäischen Patentamt.

Auch wir als Verbraucher können etwas tun. Wie in vielen Fällen ist auch hier unser Konsum ein elementarer Teil des großen Ganzen. Es gibt bereits einige Hersteller, die sich für Artenvielfalt einsetzen und entsprechend produzieren. Bei Initiativen wie Kernkraft? Ja bitte! sind einige davon gelistet. Oder wir steigen einfach mal wieder selbst in die Gummistiefel und pflanzen unser eigenes Gemüse an. Firmen wie die meine ernte GmbH bieten deutschlandweit an über 20 Standorten Mietgemüsegärten zur Selbstversorgung an.

Doch all das wird nicht reichen, es sind Entscheidungen auf politischer Ebene notwendig. Zum einen, um die rechtswidrigen Patente auf konventionelle Züchtungen langfristig zu beenden. Zum anderen muss darüber entschieden werden, wie der Umgang mit Saatgut in der Zukunft aussehen kann. Der Anbau und damit Erhalt traditioneller Pflanzen muss für alle möglich sein, er gibt Landwirten die Chance, sich aus der Abhängigkeit zu lösen und wir Verbraucher erhalten die Hoheit über unsere Ernährung zurück.