Münzen fallen klingelnd auf den Boden, schreiend reißt er sich die Kleider vom Leib und wirft sie seinem Vater vor die Füße. „Bis jetzt habe ich den Petrus Bernardone meinen Vater genannt. In Zukunft will ich sagen: Unser Vater, der du bist im Himmel“, soll Francesco Bernardone ausgerufen haben, während er mit seinem alten Leben in Reichtum Schluss machte. Bis zu dem Zeitpunkt war der heilige Franz von Assisi ein Partykönig, der das Geld seines Vaters, einem erfolgreichen Tuchhändler, verprasste, bevor er sich dem Leben ohne Besitz verschrieb. Vom rich kid zum tugendhaften Christen. Die Szene des Familienbruchs ergab sich auf dem Marktplatz von Assisi 1207, Franz war damals 25 Jahre alt. Fortan lebte er in und Demut – und predigte diesen Lebensstil auch. Fortan war er der Minimalist des Mittelalters.
Doch bereits Matthäus 10, 9-11 wies den Weg: „Ihr sollt nicht Gold noch Silber noch Erz in euren Gürteln haben, auch keine Tasche zur Wegfahrt, auch nicht zwei Röcke, keine Schuhe, auch keinen Stecken.“ Arm tat er es dem armen Christus gleich, begründete den Franziskus-Orden – die „minderen“ Brüder, wie er sie selbst nannte. Die Besitzlosigkeit des Klosterlebens stütze sich auf Widerstand gegen das Etablissements und Gottesfurcht: „Er kritisierte damit den reichen wohlhabenden Klerus des Mittelalters und den Reichtum derer, die in den Städten wohnten und zu Geld kamen. Dies hatte in gewissem Maße etwas Radikales, gar Revolutionäres”, erklärt die evangelische Theologin und Pfarrerin Dr. Annina Ligniez. Im Kontext des Christentums geht es bei der Entledigung von Unnötigem um den Tadel der Reichen und deren Ausbeutung. Gleichzeitig steht ein Leben in Armut für die Eintrittskarte in den Himmel: „Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt“, heißt es in allen drei synoptischen Evangelien.
Frauenpower im mittelalterlichen Minimalismus
Female Empowerment ist jetzt absolut in – aber wie ging’s den starken Frauen, die durch selbstgewählte Einfachheit den gesellschaftlichen Normen des Mittelalters trotzten? „Ein wichtiger Punkt, denn es sind großartige Frauen gewesen, die die Mystik des Mittelalters geprägt haben”, bekräftigt Dr. Ligniez. „Hildegard von Bingen ist sicherlich eine Ausnahmeerscheinung gewesen, genau wie Katharina von Siena. Diesen Frauen ist es gelungen, sich Gehör beim Klerus und Papst zu verschaffen.”Hildegard von Bingen (1098 bis 1179) sorgte in Deutschland sogar noch vor Lebzeiten des heiligen Franziskus für Furore durch ihre minimalistisch geprägte Denkweise. Sie war Äbtissin, Visionärin, Philosophin, Heilerin, Musikerin, Prophetin, Klosterbegründerin – und Minimalistin. „Wozu sollte ich mehr wünschen als ich brauche?“, schrieb sie in einem Text über Barmherzigkeit und Gerechtigkeit. Ihrer Auffassung nach fanden sich die Luxusgüter dieser Welt im Geiste. Und auch in ihren Naturheilverfahren, die bis heute relevant sind, spiegelt sich der Bezug zur Einfachheit wider. Die Medizin der Pflanzen allein, das Wissen um die Kraft der Natur, kann von Leid befreien. Von Katharina von Siena (1347 bis 1380) stammt zum Beispiel der Satz: „Alles was uns in diesem Leben gegeben ist, ist zum Gebrauch und als Leihgabe übergeben“. Auch sie kam aus reichem Hause, lebte aber in frommer Hingabe zurückgezogen und einfach.
Franziskus, Hildegard und Katharina – die drei Heiligen verbindet viel. Vor allem war ihnen jedoch gemein, dass sie durch ihre Lebensweise radikal Kritik an der Kirche ausübten – und deshalb auch einstecken mussten. Sie wurden angefeindet und insbesondere Franz von Assisi stand kurz davor offiziell zum Ketzer erklärt zu werden. Nach seinem Tod wurden vier Ordensmänner, die beabsichtigt hatten nach seinen Regeln zu leben, nach dem Inquisitionsurteil von Marseille (1318) verbrannt. Der Franziskanische Orden und dessen Genügsamkeit sollte ausgelöscht werdenWas lässt sich nun vom Minimalismus im religiösen Kontext aus dem Mittelalter für das Hier und Jetzt übertragen? Zum einen, dass es Mut bedarf sich gegen den Wohlstand und gängige Gesellschaftsformen zu stellen. Zum anderen ist es schon interessant, dass sich die Ansichten der drei Rebellen der Kirche fast müproblemlos auch in die heutige Zeit übertragen lassen, wenn man auf der Suche nach seiner eigenen materialistischen Wahrheit ist und sich universell fragt: Was brauche ich wirklich?