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Foto: Visual Feast - Gestalten Verlag

Meinung: Ist Kunst mit Essen ein ethisches No-Go?

Dank Instagram ist Essen zu einem beliebten Thema in der Kunstwelt geworden. Künstler schaffen ganze Fantasiewelten aus Lebensmitteln. Aber darf Kunst in Zeiten von Hungersnöten mit Essen spielen? Die zeitgenössische Kunst steht vor einer ökologischen, ökonomischen und moralischen Krise.

124 Millionen Menschen leiden in 51 Ländern auf unserem Planeten unter Hunger oder Unterernährung. Das ist beispiellos und eine der großen humanitären Krisen seit 1945. Die UNO hat den weltweiten Hunger-Notstand ausgerufen. Tausende von Menschen verlassen ihre Heimat, ihre Familien und Freunde in  der Hoffnung, ein besseres Leben und Ernährungssicherheit in anderen Ländern zu finden, während in der Kunstwelt die Zahl der Künstler wächst, die Lebensmittel in ihren Arbeiten verwenden Der renommierte »Gestalten Verlag« hat mehrere Bücher über Kreative veröffentlicht, die mit Lebensmitteln arbeiten. Das bekanntetste: Visual Feast  thematisiert Kunst und Photographie die mit Essen spielt. Universitäten auf der ganzen Welt haben Food Art oder Food Design als neue Disziplin in ihre Lehre aufgenommen und jedes Jahr wächst die Zahl der Menschen, die mit Lebensmitteln in verschiedenen Medien experimentieren.

Ist Kunst ist Essen ein dekadenter Luxus? – Editorial für: Schön Magazin, Fotografin: Aleksandra Kingo

»Celebrity Food Artist« Tom Wolfes populärste Arbeit ist eine Performance mit zwei Models, die ein Schokoladenbad nehmen sowie bunte Zeichnungen mit Lebensmitteln auf einem beleuchteten Tisch. „Die Leute liebten es”, sagte Tom Wolfe, als er mich letztes Jahr in meiner ehemaligen Galerie in Berlin besuchte. Der „Wow”-Effekt für Hunderte von Zuschauern und Pressevertretern in China war garantiert, bekräftigte er.

Ein Drittel der weltweit produzierten Lebensmittel landet auf dem Müll. Dies ist nicht nur ein ethisches, sondern auch ein ökologisches und ökonomisches Problem.

In Deutschland wirft jeder von uns jährlich 82 Kilo Essen weg. Hier landen jährlich elf Millionen Tonnen Lebensmittel im Müll. Ohne die Verluste in der Landwirtschaft eingerechnet, entsteht diese Verschwendung in der Produktion und Verarbeitung bei Großverbrauchern, im Handel und in privaten Haushalten. Dies ist eine ethische, ökologische und ökonomische Herausforderung.

Zurück in die Kunstwelt: Jennifer Rubell, ist eine der renommiertesten Künstlerinnen, wenn es um das Thema Food Art in der zeitgenössischen Kunst geht. Sie „verschwendet” tonnenweise Essen in ihren Kunstwerken. Die in Deutschland bekannteste »Food Wasteful Artist« ist Sonja Alhäuser. Sie erklärt in einem Interview für Berlin Art Link: „Der Punkt ist, wenn ich ein Kunstwerk machen will, das Themen wie Fülle und Opulenz vermittelt, dann ist unweigerlich eine Fülle an Schokolade oder Margarine notwendig; ich muss eine opulente Masse verwenden und kann nicht ökonomisch mit meinem Material sparen”. Sonja Alhäuser bezeichnet den Abfall, den sie in ihrem Werk produziert, als „positive Verschwendung”.

Verschiedene Künstler haben in größeren Museen und Galerien auf der ganzen Welt mit Kunstwerken, bei denen Lebensmittel verschwendet wurden, Platz gefunden. Kunst ist weder Soziologie noch Ökologie; die Frage ist aber, sollte zeitgenössische Kunst einen ethischen Anspruch haben?

„Ich habe mich sehr unwohl gefühlt als ich »Das letzte Abendmahl« kreierte. Die Verschwendung erzeugte einen riesigen Konflikt in mir. Eine Menge Essen wurde dabei verschwendet und ich fühlte Scham und Wut auf mich selbst.” – Annique Delphine

Food Porn ist bei Annique Delphin mehr als nur ein Hashtag.

 

Zeitgenössische Kunst reflektiert und kritisiert unseren Zeitgeist.

 

Wir leben in einer Zeit der Krisen: Globale Erwärmung, Wasserverschmutzung, Umweltzerstörung, Hunger, das Ende unserer Ressourcen, Migration. Das sind Fragen unserer Gegenwart und Kunst, die dies ignoriert, ist entweder weltfremd oder gehört bereits der Vergangenheit an.

Auch die Kunst steckt in der Krise. Viele Künstler können von ihrer Kunst allein nicht leben. Die Kuratoren sind in der Krise. Gedruckte Zeitschriften und Zeitungen befinden sich in der Krise. Aber die Krise der zeitgenössischen Kunst ist nicht nur ökonomisch, sondern auch intellektuell. Es fehlen die grundlegenden humanitären Motive, um bedeutsam zu sein.

Wir müssen neue Wege für die Zukunft der zeitgenössischen Kunst finden. Es ist dringend notwendig, Kunst als Schlüssel für ein harmonisches Zusammenleben zu positionieren. Ein Weg, der Technologie und Wissenschaft für die Bildung nutzt? Ein Weg, Kunst für Minderheiten zugänglich zu machen, positive Veränderungen zu fördern und dadurch diese Krisen zu beeinflussen? Ein Weg, der eine andere Realität und Perspektive präsentiert als die, die wir erleben?

„Meine Arbeit mit Essen ist ein offenes Angebot, kein snobistisches Ereignis für wenige Glückliche…. Ich arbeite daran, besondere Momente zu teilen, indem ich Essen in vielen verschiedenen Kontexten anbiete: Bildungsorte, Studentenorte, kulturelle Orte, arme oder reiche Kulturzentren (…)” – Dorothée Selz

Bei diesem Kunstwerk dürfen die Besucher mitessen.

Obwohl es nicht einfach ist, Künstler zu finden, die mit Lebensmitteln arbeiten und sich an diesen Werten orientieren, gibt es einige, deren Werke ich verfolge und die mir wirklich gefallen. Das sind sie: Ayrson Heráclito, Anne Duk Hee Jordan, Bonnie Tchien, Iara Guedes, Ines Lechleitner, kate-hers RHEE, Lynn Peemoeller, Rodrigo Braga, Seok Hyun Han, tools of food und Uli Westphal, um nur einige zu nennen.

 Iara Guedes performing “Burning Forest” at Bionic Festival)

Die moralische Krise in der zeitgenössischen Kunst hat mich motiviert, ein Projekt für Menschen aller Art zu schaffen, bei dem jeder Einzelne einen Mehrwert für die Kunst schaffen kann – vom Wissenschaftler bis zum Studenten, vom Künstler bis zum Umweltschützer. Kunst kann nicht nur von einer Elite von Künstlern gemacht werden, die sich für Ruhm und Champagner interessieren. Kunst ist Risiko. Kunst ist Veränderung. Kunst ist essentiell. Und es ist wichtig, dass die Kunst neue Wege geht.

 

Die Geburt der Food Art Week

Ich habe dieses Projekt 2015 in Berlin initiiert und es Food Art Week genannt. Seitdem findet die Food Art Week in verschiedenen Städten statt, in Paris (2016/2018), Bologna (2017) und Berlin (2015/2017). Es ist nur der Anfang eines Weges, um mit neuen Formen der Kunst zu experimentieren, mit dem Ziel, den notwendigen Wandel in unserer Zukunft zu fördern. Inhalte für das Projekt werden das ganze Jahr über in einer intensiven Zusammenarbeit mit öffentlichen Schulen und privaten Initiativen generiert. Das Ergebnis wird in einem einwöchigen Festival für zeitgenössische Kunst präsentiert. Es ist eine Woche, in der Menschen aufgeklärt werden sollen – in Ausstellungen, Workshops, Podiumsdiskussionen, Vorträgen, Performances und Filmvorführungen – mit einem speziellen Thema (frühere Themen waren Lebensmittelabfälle, Fleisch, Zucker). Restaurants, Galerien und Kulturräume sind eingeladen, an dem Festival teilzunehmen und Menschen aus allen Teilen der Stadt anzuspornen, um eine »störende Bewegung« zu schaffen, die Essen, Kunst und Nachhaltigkeit miteinander verbindet. Wir haben das Ziel, positive Veränderungen in unserer Umwelt und Gesellschaft zu fördern, indem wir das Bewusstsein für Themen im Zusammenhang mit unseren Essgewohnheiten schärfen. Abgesehen davon, dass dies als eine mögliche Antwort auf die moralische Krise in der Kunst angesehen werden kann, hoffe ich, dass die Food Art Week Einzelpersonen und Künstler inspiriert, ihr Tun als Weg zu sehen, der eine positive Veränderung in unserer Welt bewirken kann.

Aktivistin und Gründerin der Food Art Week Taina Guedes am Werk. Photo: Iara Guedes

Ich habe zwei an der diesjährigen Food Art Week teilnehmende Künstler zu den Auswirkungen zeitgenössischer Themen in ihren Arbeiten befragt. Die Interviews findet man auf der nächsten Seite des Artikels.

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