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Shopping geht unter die Haut

Keine Kassen, keine Schlangen, man nimmt, was man braucht und geht einfach raus. Der Amazon Go Store in Seattle hat Anfang des Jahres für Aufsehen gesorgt. Sieht so das Shopping der Zukunft aus, fragten sich Konsumenten und Journalisten. Was in der westlichen Welt für Erstaunen sorgt, lässt die Chinesen kalt

Bereits seit über einem Jahr steht in der Megacity Shanghai ein Laden ohne Personal.  Ein QR-Code erlaubt dem Kunden Eintritt. Hat man alle Lebensmittel zusammen, zahlt man an einem Terminal und die Tür öffnet sich erst dann wieder.

«Bingobox» heißt das Konzept und weist im Vergleich zu Amazon Go einige Vor- und Nachteile auf: Bei Bingobox müssen die gekauften Waren zurzeit noch auf eine Art scannende Waage gelegt werden, wie bei den Self-Scanning-Kassen in einigen europäischen Supermärkten. Das Scannen jedes einzelnen Produkts per Hand fällt dabei weg – der Terminal erfasst die Produkte. Bei Amazon Go hingegen muss der Käufer nirgends stoppen und kann einfach aus dem Laden gehen. Etliche Kameras erfassen die Artikel schon beim Tragen. Dafür ist die «Box» aus China, die an einen Tankstellenshop erinnert, so gebaut, dass sie mittels eines Lastwagens einfach von einem Standort zum nächsten verschoben werden kann.

Tencent, der Betreiber der Alles-Könner-App «WeChat» und der wertvollsten Firma Chinas, hat den amerikanischen Riesen ebenfalls mit einem neuen Shop einige Tage davor überrundet.

Vor der Eröffnung des Amazon Go Shops in Seattle hat Tencent am Wochenende davor einen «WePay»-Pop-up-Store in einer Shopping Mall im südwestlichen Minhang in Shanghai eröffnet. Er wurde in den ersten beiden Tagen von über 30’000 Menschen besuchen, wie die «South China Morning Post» berichtet.

USA hinter sich gelassen

Um den Laden zu betreten, müssen die Kunden einen QR-Code mit der App «WeChat» auf ihren Mobiltelefonen scannen. Sie wählen die gewünschten Artikel aus und scannen den QR-Code erneut am Ausgang des Shops, bei dem das System die Artikel automatisch erkennt und die Einkäufe zusammenfasst. Abgerechnet wird natürlich über die App. «WeChat» umfasst bereits heute viel mehr Dienste – allen voran Bezahlmöglichkeiten – als der amerikanische Konkurrent «WhatsApp».

«China ist im Vergleich zum Rest der Welt führend im Experimentieren mit unbemannten Shops und hat sogar die USA hinter sich gelassen», sagt Matthew Crabbe, vom Marktforschungsunternehmen Mintel gegenüber der «South China Morning Post».

Aber nicht nur der chinesische «Gemischtwarenladen» Tencent, sondern auch der Onlinehändler Alibaba aus China experimentiert bereits seit Monaten mit Shops, die ohne Personal auskommen und, wo ohne große Anstrengung wie dem Hervorholen einer Karte oder sogar Bargeld bezahlt werden kann. Bereits im vergangenen Juli hat Alibaba einen «Tao Café-Shop» in der chinesischen Metropole Hangzhou eröffnet, der auch nach dem Prinzip «Reingehen-Einkaufen-Rausgehen» funktioniert.

Mit der App bezahlen ist im Hinblick auf die heutige Smartphonenutzung naheliegend. Aber Forschung und Wirtschaft denken weiter.

Das chinesische Startup Bingobox plant indessen bereits die Expansion in andere asiatische Länder. Inzwischen gibt es in China über 200 solcher Mini-Shops, die rund um die Uhr zugänglich sind. In diesen Boxen gibt es tatsächlich keinen einzigen Angestellten. Dafür viele Kameras und einen Screen, um mit einem Mitarbeiter von Bingobox in einem Call-Center verbunden zu werden, falls es doch mal eine Frage gibt. Es ist eigentlich ein begehbarer Süßwaren-Automat, wie es ihn in Deutschland an  Bahnhöfen gibt.

Dabei spricht der Gründer des chinesischen Startups bereits davon, nach Europa zu expandieren. Dort hätten nur wenige Shops nach Einbruch der Dunkelheit geöffnet, sagt Chen Zilin. Er weist auch darauf hin, dass die Bingobox durch das Wegfallen des Personals im Betrieb so günstig zu betreiben ist, dass sie auch in Wohngegenden oder Parks stehen kann – also an Orten, wo die Mieten nicht so teuer wie in der Innenstadt sind.

Einkaufen per Fingerabdruck

Natürlich schlafen auch die Shopping-verrückten Japaner bei Innovationen rund um ein neues Einkaufsverhalten nicht. Das Land war mit neuen Shopping-Konzepten schließlich schon immer ganz weit vorne. Erinnern wir uns an die teilweise skurrilen Shoppingerlebnisse, die einem die Hauptstadt Tokio bietet. Die japanische Handelskette «7Eleven» möchte im Mai im südkoreanischen Seoul den ersten Store mit dem Namen «Signature» eröffnen, der ohne Mitarbeiter funktionieren soll.

Dieser Shop soll laut Werbevideo noch weitergehen: Es braucht nicht mal mehr ein Smartphone zum Einkaufen: Der Kunde wird mittels Fingerabdruck erkannt. Das bedeutet, er muss einfach die Hand auflegen, der (Sesam)-Laden öffnet sich, der Kunde kauft ein, die Ware wird erfasst und er verlässt mit Handauflegen den Laden. Science-Fiction pur. Datenschützer raufen sich die Haare. Das iPhone entsperren wir schließlich auch mittels Fingerabdruck. Warum nicht also auch einen Laden. Ganz praktisch, wenn man gerade die Brieftasche zu Hause vergessen hat.

Der Fingerabdruck ist wie eine biometrische ID-Card – nur sicherer. Ein japanisches Shop-Konzept macht sich das zunutze. Bild: Screenshot Video Signature Shop

Bei so viel Innovation lässt China die Erfinder aus dem Silicon Valley alt aussehen – die Entwicklung von neuen Shops schreitet im Reich der Mitte rasant voran. Aber auch zu einem Preis, den viele kritisch betrachten: Der Alibaba-Store «Tao Café-Shop» funktioniert mit Gesichtserkennung – eine Technik, auf die Amazon Go explizit verzichtet hat und auch darauf hinweist, dass die Kunden nicht als Individuen, sondern als Objekte erfasst werden.

Datenkrake China

Weil die Chinesen nicht so sehr auf Datenschutz pochen wie die Amerikaner und die Europäer, lassen sie solche Technologien eher zu. Auch, weil der chinesische Staat im Umgang mit Daten nicht gerade zimperlich vorgeht. Bis 2020 sollen alle Bürger mit einem so genannten «Social Credit System» erfasst werden. Damit will die Regierung das gesamte Verhalten, also auch die Ausgaben oder Kreditwürdigkeit jedes einzelnen Bürgers festhalten. In China gibt es auch immer mehr so genannte «Smart Cities», bei denen zahlreiche Bewegungen der Bürger erfasst werden.

Diese Version von «1984» im 21. Jahrhundert kann den Retailern im Land der Mitte nützlich sein. Je mehr Daten sie scheffeln, desto besser können sie ihre Shops bewirtschaften. Die Detailhändler aus den USA und Europa hingegen wollen ihren Kunden die Sicherheit geben, dass sie in Shops ohne Personal «anonym» einkaufen können.

Tante-Emma-Laden auf Rädern

Doch nicht nur die Shops der Zukunft werden bequem zugänglich sein, sondern der Supermarkt selbst verändert sich und nimmt neue Formen an. An der CES in Las Vegas hat der Autokonzern die Vision eines Autos vorgestellt, dass je nach Nutzen ein Café, ein Shop oder ein Personenfahrzeug sein kann.

Toyota will in Zukunft einen E-Transporter lancieren, dessen Innenraum auf ganz individuelle Bedürfnisse angepasst werden kann. Das gleiche Konzept verfolgt ein amerikanisches Startup mit dem «Robomart» , wovon es bereits ein funktionierendes Modell gibt.

Supermarkt auf vier Rädern: Auch diese Idee wird bereits realisiert. Bild © Robomart

Hinter dem Unternehmen steckt Ali Ahmed, der bereits die beiden Startups «Dispatch» und «Lutebox» im Silicon Valley lanciert hat. Bei Letzterem bestellten Kunden vor allem Essen. Deshalb war es klar, dass der Gründer einen Schritt weitergeht und das Essen künftig mit einem Roboter an den Mann bringen möchte, berichtet das amerikanische Startup-Portal «TechCrunch».

Aber auch deutsche Unternehmen tüfteln an neuen Formen des Konsums: Lidl Schweden möchte beispielsweise Ende des Jahres einen führerlosen Lieferwagen in Schweden testen, wie das Startup-Portal «Gründerszene» berichtet. Auch der Lieferdienst Foodora, ein Unternehmen des Konzerns DeliveryHero, testet autonome Lieferroboter, um sich künftig die Velokuriere in den Städten zu sparen. Und Pizza Hut möchte mit Toyota ein Fahrzeug entwickeln, welches ohne menschliches Zutun Pizza ausliefern kann. Wenn weniger Zeit fürs Einkaufen draufgeht, kann man Essen dafür umso länger genießen.