Der Fotografin Claudia Manzo ist ein Kunststück gelungen. Ihr Foto, aufgenommen während des Hochwassers in Venedig, geht viral. Doch plötzlich geht es nicht mehr um Venedig, sondern um Konsumkritik.
Alle Jahre wieder, wenn der Winter naht, ist Acqua alta in Venedig. So heißt es, wenn bei starker Flut und niedrigem Luftdruck das Seewasser des Adriatischen Meeres landeinwärts auf die Lagune Venedigs spült. Steigt der Wasserspiegel auf 140 Zentimeter an, wird der Notstand ausgerufen. Dieses Jahr ist es besonders schlimm. Am 29. Oktober lag der Wasserspiegel bei 159 Zentimeter, schreibt die Fotografin Claudia Manzo.
Doch die Venezianer wissen mit den alljährlichen einströmenden Wassermassen umzugehen. Auf dem Markusplatz werden Steigkonstruktionen gebaut, sodass Touristen auch weiterhin mit trockenen Socken ihre Fotos schießen können. Und in einer Pizzaria werden kurzerhand Gummistiefel überzogen, dass der Betrieb ganz normal weiterlaufen kann.
Zu dieser Zeit macht Claudia Manzo, eine bisher kaum bekannte venezianische Fotografin, ein Foto, das in sozialen Netzwerken schnell viral geht. Zwei Touristinnen schützen ihre Louis Vuitton-Einkäufe dort vor den Wassermassen. Auffällig ist, dass entsprechende Accounts das Foto metaphorisch aufladen. Das klingt dann etwa so: “It’s easier to imagine the end of the world than the end of capitalism.”
#humansoflatecapitalism pic.twitter.com/yQaKfW1ZPv
— Humans of Late Capitalism 🕊️ (@HumansOfLate) November 7, 2018
Hier werden also die auf dem Bild gezeigten Frauen mit ihren Einkaufstüten als willfährige Produkte eines allumfassenden kapitalistischen Systems dargestellt. Sie stellen ihre Rolle (Konsumenten) über den Zustand der Umwelt (Überschwemmungen). Klimawandel? Ich geh’ shoppen!
Oder auch: “Lage der Welt, 2018, Foto“, auf Reddit. Hier hat sich die Diskussion von Kapitalismuskritik, latentem Rassismus und Facepalms hin zu mehreren absurden Witzen entwickelt. Die Journalistin Nicole Schöndorfer wiederum beschwert sich in einem Twitter-Thread über die “Selbstgerechtigkeit“ der Nutzer*innen, da es verständlich sei, seine Einkäufe vor dem Wasser zu retten. Zudem bemerkt sie, dass ein gewisser “Eddy Gonzales Yoga“ auf Facebook das Bild ohne Copyright-Angaben postet, und damit als sein eigenes Werk ausgibt. Gonzales Yoga hat den Post mittlerweile gelöscht.
Diese ekelhafte Selbstgerechtigkeit, die aus allen trieft, die es teilen, hat mich von Anfang an gestört. “Wir konsumieren mehr und mehr, während die Umwelt den Bach hinuntergeht!!!”, mahnt ihr mit erhobenem Zeigefinger. Zuerst also eine kleine Kritik an diesem Mindset.
— Nicole Schöndorfer (@nicole_schoen) November 4, 2018
Derweil hat Manzo ihr Foto auf Instagram veröffentlicht. Dort benutzt sie Hashtags wie #fashion, #shopping, #venice, #water und #InstaTags4Likes. Sie, als betroffene Venezianerin, scheint dem Foto also offenkundig keine tiefere Bedeutung beizumessen. Oder lässt die Künstlerin ihr Werk einfach unkommentiert? Beschreibt nur das, was da ist: Water, Fashion, Shopping.
Das Qiio Magazin hat die Bildrechte des Fotos von der Fotografin Claudia Manzo für diesen Artikel erworben.