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“Rassismus ist wie ein Krebs”

Autorin Kemi Fatoba befragt Menschen, die sich zum Thema Rassismus in Deutschland geäußert haben und möchte einen proaktiven Ansatz für die Zukunft etablieren.

Es lässt sich nicht bestreiten, dass ein Leben in Deutschland viele Vorteile hat; Menschen verschiedenster Herkunft fühlen sich hier zuhause. Unabhängig davon, ob diese Menschen einen deutschen Pass haben, seit Jahren in Deutschland leben oder erst seit kurzem, viele von ihnen haben eines gemeinsam: Wenn sie nicht „deutsch” aussehen, wird ihnen ihr deutsch sein abgesprochen. Aus diesem Grund hat der Journalist Ali Can nach dem Rücktritt von Mesut Özil aus der Nationalmannschaft in einem mittlerweile viralen Video dazu aufgerufen, unter dem Hashtag #MeTwo eine Debatte über Rassismus und Diskriminierung gegenüber Minderheiten zu entfachen. Darauf folgte eine Welle von Tweets, in denen Menschen, die mehr als nur eine Identität haben, zu Wort kamen und von ihren Erfahrungen berichteten – und Deutsche hörten zu. Leider dauerte es auch nicht lange, bis einige dieser Erfahrungen wieder relativiert wurden und kurz nachdem #MeTwo weltweit Schlagzeilen gemacht hatte, wurde ein neuer Hashtag ins Leben gerufen, der sich auf positive Erlebnisse von Migranten in Deutschland konzentrieren sollte: #MyGermanDream, aber dazu später mehr.

Die Begriffe Rassismus und Ausländerfeindlichkeit wurden im Zuge der #MeTwo-Debatte von beiden Seiten oft synonym verwendet, was nicht nur falsch, sondern auch eine gefährliche Verharmlosung ist: Die Diskriminierung, die ein weißer Österreicher aufgrund seines Dialekts erfährt, ist absolut nicht vergleichbar mit dem Rassismus, den ein schwarzer Franzose bei der Job- und Wohnungssuche oder in vielen Alltagssituationen zu spüren bekommt,  obwohl beide in Deutschland Ausländer sind. Und dennoch wurden immer wieder zum Teil haarsträubende Vergleiche aufgestellt. Natürlich bedeutet das nicht, dass weiße Menschen keine Diskriminierung erfahren: Frauen, LGBTIQ, Muslime, Ausländer, Menschen mit Behinderungen, sozial schwache usw. erleben oft Ausgrenzung.

Wir haben Menschen, die hier aufgewachsen, weggezogen bzw. neu in Deutschland sind und Aufgrund ihrer Hautfarbe, Herkunft oder Religion diskriminiert wurden, um ihre Meinung zu dem Thema #MeTwo gebeten – und sie hatten folgendes zu sagen:

 

Khalid ist Deutscher, Fotograf und lebt in London:

Die Bewegung #MeTwo erhält so viel Aufwind, da es sich dabei um eine Debatte handelt. Viele Menschen stört es nämlich darauf hingewiesen zu werden, dass sie ein Klassensystem aufrechterhalten und ihre Rolle darin die des Privilegierten ist. Und genau darum geht es: ein Privileg. Das Privileg etwas nicht wahrnehmen zu müssen, eine komfortable Position der Blindheit einzunehmen zu Problemen, die einen nicht betreffen. Und die meisten genießen dieses Rassenprivileg.

Rassismus beginnt nämlich nicht mit Körperverletzung, sondern mit dem Mangel an Empathie, um zu begreifen, was es bedeutet, immer als „anders“ wahrgenommen zu werden. In den 18 Jahren, die ich in meinem Geburtsland Deutschland verbracht habe, war ich alles: Opfer von Polizeigewalt bis Quotenfarbiger. Beides ist Hölle, und alles dazwischen auch. Es war nämlich einfach Pech, dass ich dunkel geboren wurde. Und ja, Pech ist das richtige Wort. In Deutschland ist es ein „Unglück“, nicht weiß zu sein. Das zweite Unglück ist, dass meine Eltern mir wenig vorausschauend einen arabischen Namen gaben. Der Grund, warum es mich ins Ausland gezogen hat ist, dass ich Ausländer sein wollte, statt nur immer so behandelt zu werden. Dieser Fakt hat mir in meinem Leben mehr Sicherheit gegeben als Deutschland mir je bieten konnte.

Dass es jetzt (endlich) zu dieser Diskussion über #MeTwo kommt zeigt, wie weit wir in der Debatte schon sind. Und es zeigt auch, wie viele Menschen an der Situation mitschuldig sind. Es ist nämlich genauso wie bei Suchtabhängigen: Der erste Schritt zur Besserung ist das Eingeständnis, und dann fängt die richtige Arbeit erst an…

 

 

John Eichler ist der Autor des schwarzen, deutschen Romans Verbotenes Land:

#MeTwo-Geschichten sind Opfergeschichten über Xenophobie, Ausgrenzung und Benachteiligung, die nach gesellschaftlicher Empathie schreien. Obwohl all das seit jeher bekannt ist, fragt sich das aufgeschreckte Land nun plötzlich: Sind wir wirklich so schlimm? Die ernüchternde Antwort lautet schlicht: Ja! Denn mit Sicherheit gibt es niemanden, der hierzulande im Selbsttest gerade gern Muslim, Migrant oder irgendetwas anderes „Nichtdeutsches“ mit oder ohne deutschen Pass wäre. Die Konsequenz dieser gesellschaftlichen Tendenz ist eine aberwitzige Korrelation: All die eigentlich so sehr erwünschten gut qualifizierten Fremden machen einen großen Bogen um das Land und lassen den unerwünschten Fremden den Vortritt, die aus Verzweiflung keine andere Wahl haben als herzukommen.

Verbotenes Land (Roman), John Eichler, ISBN: 978-3-9819325-0-8, www.verbotenesland.de

 

Zeliha, Restaurantbesitzerin aus Berlin:

Liebes Deutschland, du hast es tatsächlich geschafft, dass Menschen, die hier geboren und aufgewachsen sind, sich dazu bewegt fühlen, ihre Enttäuschung über dein Scheitern in der Integrationspolitik durch eine Bewegung wie #MeTwo zu demonstrieren. Du, Deutschland, hast versagt! Seit meiner frühen Kindheit musste ich hier meine Existenz stets rechtfertigen. Ich war bereit mich anzupassen, wollte aufgeschlossen sein und habe trotzdem viel zu oft Ablehnung erfahren müssen.

Wenn Deine Lehrerin in der 1. Klasse vor der gesamten Klasse zu Dir sagt: Wenn man Dich beim Reden nicht ansehen würde, könnte man denken, Du wärst eine Deutsche. #MeTwo

Wenn Du Dir mehr als gefühlte 100 Mal schon anhören musstest: „Du bist überhaupt nicht wie die anderen Türken, du bist gaaanz anders!” #MeTwo

Wenn im Kinderladen, in dem Du selbst zwei Jahre lang als Vorstand tätig gewesen bist, der Vater eines Jungen behauptet, dass sein Sohn nur deshalb Schimpfwörter benutzt, weil der Kleine mit den Türkenjungs spielt! #MeTwo

Wenn Du in Brandenburg am See baden gehst und deine Jungs die Hüpfburg verlassen müssen, weil ein Dutzend Brauner sich bedrohlich in Position stellen und Dir nichts anderes übrigbleibt, als ins Auto zu steigen und zu flüchten! #MeTwo

Ich habe mich tatsächlich der Illusion hingegeben, dass es meinen Jungs anders ergehen würde als mir bis ich realisierte, dass dies nicht so sein wird. Und da kam mir zum ersten Mal der Gedanke, Deutschland zu verlassen. Wir sind die dritte und vierte Generation aus einer ursprünglichen Gastarbeiter-Familie. Meine Großeltern sind in den 60ern nach Berlin gezogen. Meine Eltern haben nur einen Bruchteil ihres Lebens in der Türkei verbracht und mein Mann und ich sind hier geboren und aufgewachsen. Meine beiden Kinder sind ebenso hier geboren und wir sind alle deutsche Staatsbürger. Und leider kann ich das nicht voller Stolz sagen.

Ufuk ist Berliner und arbeitet in einem deutschen Medienunternehmen:

Langsam wird es anstrengend, den „Bio-Deutschen” immer wieder erklären zu müssen, warum sie nicht nachvollziehen können wie es sich anfühlt Rassismus oder Diskriminierung zu erfahren. Es ist anstrengend zu sehen, wie sich Trolle durch die Kommentarspalten deutscher Medien tummeln, um dort Hass und Unwahrheiten zu verbreiten. Es ist anstrengend erklären zu müssen, weshalb es eine Bereicherung ist, in zwei Kulturkreisen groß zu werden. Es ist anstrengend hören zu müssen, dass Ihr eigentlich keine Rassisten seid, aber…

Ihr liebt Istanbul und habt auch türkische Freunde? Schön für Euch. Ich finde die Alpen wunderschön und habe auch ein paar Deutsche unter meine Fittiche genommen. Wie ein Deutscher fühle ich mich trotzdem nicht, und ich habe auch kein Vertrauen gegenüber der Legislative, der Exekutive und der Judikative in diesem Land. Überraschend, oder? Seid ihr genauso überrascht, wenn Menschen wie ich am Flughafen immer wieder vom deutschen Zoll herausgezogen werden? Oder wenn wir Opfer von NSU-Anschlägen werden? So wie die Deutschen sich nicht anstrengen uns zuzuhören, werde auch ich nicht angestrengt versuchen, Hochdeutsch zu reden. Ich werde mich nicht anstrengen, möglichst wenig türkisch rüberzukommen, damit sich Deutsche wohler fühlen. Ich feiere es, dass weiß sein nicht mehr das Maß aller Dinge ist – dass braune, schwarze, gelbe, rote Menschen auf der ganzen Welt realisieren, wie cool sie eigentlich sind. Es ist tatsächlich super entspannt, einfach nur „der Kanacke“ zu sein – der Kanacke, für den mich sowieso alle halten.

Edna Bonhomme ist Postdoktorandin und Historikerin aus den USA. Sie lebt seit 2017 in Berlin:

Rassismus ist wie ein Krebs, der immer größer und umfassender wird, eine zerstörerische Kraft, die das tägliche Leben stört. Er belastet diejenigen, die ohnehin schon mit dem Trauma ihrer Vorfahren, Armut und Besitzlosigkeit leben müssen. Als Mesut Özil den Entschluss fasste, aus der deutschen Fußballnationalmannschaft auszutreten, wurde diese Entscheidung nach einer lebenslangen Schikane und Ausgrenzung in Deutschland getroffen. Obwohl er in Deutschland geboren und aufgewachsen ist, wurde seine Herkunft ständig in Frage gestellt oder an seine außereuropäischen „Ursprünge” erinnert, was er als rassistisch bezeichnete. Dies trifft nicht nur spezifisch auf Özil zu, sondern ist Teil eines anhaltenden Anstiegs von Rassismus und Islamophobie in Europa. Wenn ständig hinterfragt wird, woher jemand „ursprünglich” kommt, Menschen ungefragt und ohne Zustimmung Deine Haare anfassen oder wenn jemand für das Tragen eines Kopftuchs gefeuert wird, sind das Resultate dieser Ausgrenzung. Wir leben in einer Welt, in der sich PoC (People of Colour, Menschen, die nicht weiß sind) ständig als Bürger zweiter Klasse oder nur als Gastarbeiter fühlen sollen.

Die Verbindung zwischen Islamophobie und Rassismus sollte thematisiert werden, denn rechte Gruppierungen werden auf Europas politischem Terrain zunehmend für legitim erklärt. Was fehlt, ist der Raum, in dem PoC in Europa sichtbar genug sind, um sich selbst für ihre Gleichberechtigung und Befreiung einzusetzen. Ein Raum, der es ihnen ermöglicht, ihre eigene Bürgerrechtsbewegung zu entwickeln, in der ihre Menschlichkeit vollständig akzeptiert und der Reichtum der Gesellschaft gleichmäßig verteilt wird.

Die längst überfällige Debatte über Rassismus und Alltagsdiskriminierung hat gerade erst begonnen und so unangenehm die geschilderten Erlebnisse für manche auch sein mögen, zuzuhören ist der erste Schritt in eine bessere Zukunft. Der zweite ist, sich ehrlich zu fragen: „Habe ich selbst, aktiv oder passiv, dazu beigetragen, dass Menschen Ausgrenzung erlebt haben?” Und der dritte ist, etwas gegen diese Ausgrenzung zu unternehmen – nicht, weil im Gegenzug Dankbarkeit erwartet wird, sondern weil es das Richtige ist. Auch kleinste Aggressionen können verletzen: unüberlegte Kommentare, mangelnde Zivilcourage, ein gleichgültiges Umfeld oder das Relativieren von zum Teil traumatisierenden Erlebnissen. Jeder, der aktiv gegen diese kleinen und manchmal auch großen Aggressionen vorgeht, kann einen wichtigen Beitrag leisten, damit sich Minderheiten, Migranten und Ausländer in Deutschland auch willkommen fühlen.