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Collage aus einem Foto von Emmanuel Ikwuegbu und Vintage Kitchen Advertisement USA

1000 Shades of Gray – verschwindet die Farbe aus der Welt? 

Mehrere Faktoren beeinflussen, welche Farben in bestimmten Epochen und Gesellschaften dominieren. Die Herkunft und Entwicklung der Farbe ist komplex und so gibt es auch in der Forschung jene, die einen Rückgang der lauten Farben erkennen und andere, die beobachten, wie unsere Welt wieder bunter wird.

Um ihr Liebesnest auf der 5th Avenue nach Bigs Tod zu verkaufen, beauftragt Carrie Bradshaw zu Beginn der neuen Staffel And Just Like That die Maklerin Seema. Zu Carries Schreck streicht diese das gesamte Apartment in trendigem Beige, um Kaufinteressierte zu gewinnen. Denn mit Beige fühlen sich alle wohl. 

„Die Farbenvielfalt verschwindet aus der Welt”, schreiben, passend zu Seemas Verkaufsstrategie, britische Forschende der in einem Blogeintrag (2020). Das Wissenschaftsteam analysierte Farbpixel in 7000 Fotos von Objekten aus den letzten 200 Jahren. Sie wollten herausfinden, wie sich die Farbe von Elektronik-, Beleuchtungs- und Haushaltsgegenständen im Laufe der Zeit entwickelte. Das Ergebnis: Ehemals dominierende Braun- und Gelbtöne sind einem dunklen Anthrazit gewichen.


Bei der inflationären Anwendung von Aluminium liegt es nahe, dass Grautöne die Ära prägen. Foto: Kolya Korzh

Grau ist die häufigste Farbe in der Automobilindustrie, die beliebteste in Markenlogos und die zweitbeliebteste Farbe bei Modeschauen – nach Schwarz. Das fand HueData heraus, ein Unternehmen, das das Internet nach Farb- und Analysedaten durchforstet. Laufen also die als neutral geltenden Farbtönen wie Beige, Grau und Weiß den kräftigen Farben den Rang ab? 

Die Realität ist komplexer und reicht weit zurück in die Herkunftsgeschichte der Farbe, wie das Magazin Fast Company aufzeigt. Für die Höhlenmalerei verwendeten die Menschen vor etwa 17000 Jahren noch Rohstoffe wie Ocker, Rötel oder weiße Kreide. Später wurden Pigmente in größerem Umfang in Ägypten und China hergestellt. Allerdings explodierte die Farbproduktion erst so richtig mit der Einführung von synthetischen Pigmenten im 19. Jahrhundert. Einen weiteren Meilenstein setzte das Pantone-Farbsystem 1960 zur Farbabstimmung. Seither sind Farbtöne so standardisiert, dass im Baumarkt gefahrlos die Wandfarbe fürs Wohnzimmer nachgekauft werden kann. Mittlerweile ist die nicht enden wollende Farbauswahl beinahe eine Qual. Dank neuester Techniken und Technologien kommen jährlich weitere Farben hinzu. 

Dank neuester Techniken und Technologien kommen jährlich weitere Farben hinzu. Foto: Carlie Wright

Pantone bietet 15000 Farben im Sortiment an

Warum ist aber gleichzeitig Grau auf Laufstegen, als Markenlogo und auf der Autobahn so verbreitet? Farbe kommt nicht nur von Pigmenten, sondern entsteht auch aus den Materialien, die die Gesellschaften verwenden und die sich mit den Epochen verändern. Waren im 19. Jahrhundert die meisten Gegenstände noch aus Holz gefertigt, hatte ab Mitte des 20. Jahrhunderts Kunststoff Konjunktur. Heute setzt Aluminium den Trend. Das graue Material steckt in Elektronik, Haushaltsgeräten, Fensterrahmen oder ist tonangebend für das Reisegepäck (dies erklärt, warum der Rimowa-Koffer und sein um ein zehnfaches günstigere Lidl-Verschnitt wohl auch so erfolgreich sind).

Bei der inflationären Anwendung von Aluminium liegt es nahe, dass Grautöne die Ära prägen, meint HueData-Gründerin Anat Lechner. Als Beispiel nennt sie das Telefon, das in den 70ern und 80ern noch als Plastikanfertigung in knalligem Orange, Rot oder Grün daherkam und heute überwiegend in nüchternen Farbtönen auf der Palette von Grau bis Schwarz. Hersteller:innen wägen sich auf der sicheren Seite, wenn sie ihre Verkaufsprodukte in diesem Farbspektrum produzieren. Da verwundert es auch nicht, dass Carrie Bradshaws Maklerin für einen erfolgreichen Wiederverkauf farblich verlegen zur neutralen Wand- und Mobiliarfarbe greift.

Ständige Trendwenden in den Farbwelten

Zum einen befördern das Streben nach individueller Gesundheit und zum anderen der Wunsch nach einer intakten Umwelt die Sehnsucht nach „natürlichen“ Farben. Foto: cottonbro

Zur aktuellen Dominanz von neutralen Tönen zeichnet sich bereits wieder eine Gegenentwicklung ab. Gerade dieses Jahr waren starke Muster und Farben viel auf den Fashion Shows vertreten. Der zunehmende Online-Handel, so spekulieren manche, könnte dazu beitragen, dass sich erneut kräftige Farben in der Mode durchsetzen, denn sie lassen sich besser für das Online-Shopping ablichten.

Ein wachsender Trend zu personalisierten Produkten spielt möglicherweise auch mit in die Farbentscheidung hinein. „Heute streben wir nach Personalisierung und die Personalisierung von Produkten, Marken und Berührungspunkten mit den Verbraucher:innen erfordert unterschiedliche Farbdarstellungen”, äußert sich Lechner von HueData. „Es wird zur Norm, dass deine Farbe deine Farbe ist und du willst sie an deinem iPhone, an deinem Schuh, an deinem Auto”.

Auch Farbforscher Axel Buether beobachtet seit etwas mehr als 10 Jahren, dass die Welt wieder bunter wird. Hinter einer ansteigenden Dominanz von Naturfarben wie Erd-, Lehm-, Sandfarben sowie Holz- und Gewürztönen vermutet Buether zwei Trends als treibende Kräfte. Zum einen befördern das Streben nach individueller Gesundheit und zum anderen der Wunsch nach einer intakten Umwelt die Sehnsucht nach „natürlichen“ Farben. Die Leute umgeben sich vermehrt mit Naturprodukten, die ressourcenschonend und, gegebenenfalls auch nur vermeintlich, ökologisch unbedenklich hergestellt werden. Das kann auch als Ausdruck fundamentaler Lebensängste gelesen werden, erklärt der Farbpsychologe Buether in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung im Jahr 2020. Sehnsüchte, befördert durch die voranschreitende Klimakrise und die anhaltende Pandemie, würden Konsumenten hin zu Produkten in verheißungsvollen Mineralfarben treiben.

Jede Farbe wirkt auf unsere Psyche

Alle Farben, das ergeben wissenschaftliche Forschungen, haben ihre Wirkung auf den Menschen. Mit dem heutigen Standard Innenräume weiß zu gestalten, so Buether, haben wir uns eine weiße Umwelt geschaffen, die uns eigentlich nicht guttue. Die Lichtfarbe hat sich nach dem Zweiten Weltkrieg im großen Stil durchgesetzt. Weiß sei nicht per se eine schädliche Farbe, aber es gelte abzuwägen, an welchen Stellen sie zum Einsatz kommen soll. Zuvor weiß gehaltene Kliniken der Intensivmedizin hat Buether im Rahmen eines wissenschaftlichen Projektes gemeinsam mit der medizinischen Leitung umgestaltet. Das Anliegen war durch neue Farbkonzepte und LEDs mit hoher Farbwiedergabe statt Neonbeleuchtung eine ruhigere Atmosphäre zu kreieren, um mehr Geborgenheit zu vermitteln. Die Ergebnisse sind beeindruckend. Der Krankenstand des Personals verringerte sich um 30 Prozent, es wirkte weniger gestresst und freundlicher auf die Patient:innen. Da Menschen sich in wohnlicheren Umgebungen behutsamer verhalten, ist auch die empfundene Lautstärke gesunken. Ein Schmerzmedikament, das starke Nebenwirkungen mit sich bringt, wurde um 20 Prozent weniger ausgegeben.


Mit dem heutigen Standard Innenräume weiß zu gestalten, so Buether, haben wir uns eine weiße Umwelt geschaffen, die uns eigentlich nicht guttue. Bild: Ksenia Chernaya

Das Ende der weißen Moderne

Auch die Lebensqualität in Wohnhäusern variiere durch die richtige Farbgebung. Entscheidend sei, nicht nach strikten Vorgaben auf bestimmte Farben zu setzen. Es komme auch darauf an, individuell zu prüfen, welche Farbe welche Wirkung auf einen hat und welche Funktion den Räumen zukommen soll. 

Die Maklerin Seema hat zwar Carries Luxuswohnung mit einem Anstrich in Beige und Creme für eine breite Kaufkundschaft wieder interessant gemacht. Gleichzeitig wünscht man den neuen Bewohner:innen aber, dass sie sich ein Beispiel an Carrie nehmen, die intuitiv im Sinne einer gesunden Farbpsychologie ihre Wände nach eigenem Gusto (und Produktpersonalisierung) gestrichen hat.