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Die Renaissance des italienischen Designs

Die Renaissance des italienischen Designs in der digitalen Ära

Von Vintage-Fahrrädern, über italienische Oldtimer bis hin zu Mailänder Designermöbeln schafft das Internet neue Marktnischen und Erfolge für italienische Design-Klassiker.

In der Silvesternacht wurde mir mein Fahrrad geklaut. Den erhöhten Lautstärkepegel hatten die Diebe genutzt, um mein liebevoll restauriertes Rennrad mit feiner Doppelstrebe aus dem Innenhof von seinen Ketten frei zu flexen. Ich hatte das Rad in Bremen mit einem Freund zusammen auf einem Flohmarkt entdeckt: ein Glücksgriff. Jetzt stehe ich vor der Entscheidung: Kaufe ich das ausgemusterte Damenfahrrad von Oma Erna aus der Nachbarschaft? Oder soll ich mich auf die Suche nach einem ebenbürtigen Rad machen?

Wer sich heute ein Fahrrad im konventionellen Handel kauft, der bekommt für relativ wenig Geld ein funktionstüchtiges Fortbewegungsmittel. Ermöglicht wurde das nicht nur durch immer kleinteiligere Arbeitsschritte, sondern auch durch die Globalisierung des Materialien- und Arbeitsmarktes. Wie Autos werden Fahrräder von Akkordarbeitern in kleinstmöglichen Arbeitsschritten am Fließband gefertigt. So können Arbeiter Fahrräder zusammenbauen, die an sich keine Ahnung vom Handwerk haben. Das ist günstig, aber unromantisch.

Kollektive Nostalgie als Exportschlager

Wollte ich aber das schmerzlich klaffende Loch in meinem Herzen möglichst schnell schließen, auf Steal Vintage Bikes würde ich sicher fündig. Das Geschäft für italienische Vintage-Rennräder hat Alexander Bisaliev 2012 gegründet. Heute ist Steal Vintage Bikes der weltweite Marktführer für Vintage-Räder. Dazu brauchte Bisaliev nicht mehr als ein Geschäft, oder „Showroom“ mit Werkstatt, wie er es nennt, und das Internet. Die meisten Fahrräder vertreibt er online.

„Den Stahl für den Rahmen schnitten, schweißten und feilten die Meister bis zur Perfektion. Kein überflüssiges Gramm sollte das fertige Rad später belasten.“

Denn es gibt sie durchaus, die Kenner des italienischen Rennradhandwerks. Sie wissen von den Rädern, die etwa Ugo De Rosa, Ernesto Colnago und Faliero Masi während ihrer Zeit schufen und wie sie damit den Rennradsport ganz entscheidend prägten. Sie schnitten den Stahl für den Rahmen, schweißten und feilten bis zur Perfektion. Kein überflüssiges Gramm sollte das fertige Rad später belasten, und trotzdem ein Höchstmaß an Stabilität garantieren. Diese Kenner sind aber in der Minderheit.

Aus ökonomischen Einöden werden florierende Marktnischen

Die meisten werden die Kunst des italienischen Stahlrahmenbaus der 1930er Jahre nämlich nicht zu schätzen wissen und daher auch nicht bereit sein, für ein fast einhundert Jahre altes Fahrrad mehrere tausend Euro zu bezahlen. Doch in der digitalen Ära können die Liebhaber italienischer Vintage-Rennräder aus aller Welt nun auf den Online-Store von Geschäftsführer Bisaliev zugreifen und die mit viel Aufwand originalgetreu restaurierten Rennräder bestellen. So wurde Steel Vintage Bikes in Berlin zum weltweiten Marktführer für klassische Rennräder.

Bisaliev war klar, dass das Internet der Ort sein würde, der sein Geschäft mit Vintage-Rennrädern erst rentabel machen würde: „Dadurch kann man Liebhaber, Sammler und potentielle Kunden sogar in den abgelegensten Regionen der Erde ansprechen. Heute versenden wir weltweit – auch mal auf die Philippinen oder nach Neuseeland.” Und auch der Verkaufsprozess wurde optimiert: „Moderne Online-Zahlungsmethoden und Logistik-Lösungen bieten schließlich die Sicherheit und Schnelligkeit, die unsere Kunden erwarten.” So beschert die digitale Ära dem italienischen Vintage-Design derweil eine Renaissance, wie sie offline nicht möglich gewesen wäre.

Mit der richtigen Perspektive durchstarten

Von dieser Renaissance konnte auch Alejandro Arretureta profitieren. Er hatte schon früh eine große Leidenschaft für italienische Oldtimer entwickelt: „Schon als kleiner Junge sammelte ich Miniaturautos und las mich durch alle Automagazine und Bücher die ich finden konnte.”

Als ein Freund Arreturetas ihn zu einer Oldtimer-Rallye in Buenos Aires mitnahm, passte er den perfekten Moment ab. Während die Eigentümer der Ferraris und Lamborghinis drinnen wie gebannt vor den Bildschirmen saßen, um die Ergebnisse der Rallye zu erfahren, konnte Arretureta draußen mit den automobilen Designerstücken allein sein. Um den flüchtigen Moment zu konservieren, überlegte er sich eine Perspektive, die die vollendeten Designs am besten wiedergeben würde. „Ich wollte das fantastische Design aber auch für Menschen zugänglich machen, die nicht so verrückt nach Oldtimern sind wie ich”, erzählt Arretureta.

#topviewheadlights 🚘👀 Foto von Alejandro Arretureta auf seinem Instagram-Kanal alexberlinetta

Synthese aus Profession und Leidenschaft

Schließlich hatte er einen originellen Winkel gefunden, der seinen Ansprüchen genügte. Ein ziemlich minimalistischer Blickpunkt der Motorhaube von oben. „Dadurch werden die Kurven, die makellose Oberfläche und Details wie die Frontlichter betont, während alle störenden Details, die den Betrachter ablenken können, ausgelassen werden.” Um diese Bilder, die sowieso schon einen hohen Wiedererkennungswert haben, anschließend zu kategorisieren, versah Arretureta sie bei Instagram mit einem Hashtag: #topviewheadlights. Er arbeitet als Fotograf. Daher veröffentlichte er die Autofotos neben Architekturaufnahmen und urbanen Impressionen auf seinem Kanal. Doch gerade die Fotos der Oldtimer provozierten ausgesprochen viele positive Reaktionen und Kommentare.

Das brachte Arretureta auf die Idee, einen neuen Kanal nur für Oldtimer zu erstellen. Hier konnte er sich ausprobieren: andere Winkel, andere Formate, andere Stile. Ziel blieb dabei aber immer, das großartige Design dieser motorisierten Kunstobjekte zu betonen. Damit war „Carphiles” geboren, ein Projekt, das inzwischen weit mehr ist als ein Instagram-Kanal.

Inzwischen ist Carphiles ein Online-Magazin, in dem Arretureta sich die Zeit nimmt, die Aufmachung jedes Oldtimers individuell zu erkunden. Dadurch sind Menschen aus aller Welt auf ihn aufmerksam geworden, die seine Leidenschaft teilen. Heute kann Arretureta davon leben. „Es ist ein Geschenk und Privileg seine Profession um eine persönliche Leidenschaft stricken zu können, wie es Blogger und Influencer tun. Ich habe zuvor schon in anderen Bereichen gearbeitet, aber nie war ich so glücklich mit meiner Arbeit wie jetzt, wo ich mich voll und ganz auf Oldtimer spezialisiert habe.”

Ohne den digitalen Wandel, ohne Instagram und WordPress hätte Arretureta wohl heute nicht die Möglichkeit seinen Beruf so gut mit seiner Leidenschaft zu verknüpfen.

Den Maserati Ghibli SS hat Arretureta während einer Tour um Berlin aufgenommen. Die Fotos hat er auf Carphiles veröffentlicht.

Das Memphis-Kollektiv wollte eine Revolution

Ein anderer Fall zeigt, wie ein ambitioniertes Projekt der 80er Jahre trotz durchschlagenden künstlerischen Erfolgs letztendlich ökonomisch scheiterte. Heute hätte es ganz anders ausgehen können. 1980 gründen Ettore Sottsass und Michele De Lucchi das Memphis-Kollektiv. Zuvor hatten beide bereits im Studio Alchimia, einem einflussreichen Designstudio, mitgewirkt. In der Tradition mittelalterlicher Alchemisten versuchten sie banale Alltagsgegenstände durch ihre Arbeit in wertvolle Schätze zu verwandeln.

Sottsass und De Lucchi hatten sich aber über die Jahre weiterentwickelt und ihre konsumkritische Haltung aus den Zeiten des Studio Alchimia abgelegt. Die beiden Designer brachten ihre internationalen Kollegen an einen Tisch und diskutierten ihre Vision. Während dieses ersten Treffens lief im Hintergrund, so die Erzählung, aufgrund eines tiefen Kratzers in der Platte immer und immer wieder die Zeile „stuck inside of Mobile with the Memphis Blues again” von Bob Dylan. Memphis, die Stadt von Elvis Presley, die Stadt des Rock ’n’ Roll, schien ein passender Name für das gerade entstehende Kollektiv.

Gleichzeitig wollte Memphis sich nicht mehr gegen die kapitalistischen Grundstrukturen stellen, sondern sich mit ihnen arrangieren. Doch um ihre Möbel, Textilien und Keramiken auf den Markt zu bringen, hätten sie die Wertschöpfungskette der Industrie revolutionieren müssen. Bis dato gab diese nämlich als Auftraggeber vor, welche Produkte wann und wie designt werden sollen. Für die Industrie stand jedoch Funktionalität immer vor Design. Dieses Verhältnis wollte das italienische Designkollektiv umkehren.

Eine Sammlung verschiedener Objekte von Memphis. Foto: Zanone | Wikimedia Commons

Revolutionäres Design und kommerzieller Erfolg?

In die Popkultur fügte sich diese Negation der altbewährten Muster gut ein: Schrill, bunt, irgendwie daneben. Die ambivalenten Gefühle, die viele in Bezug zu Memphis hegen, hat der britische Designer Japser Morrison sehr treffend formuliert: „It was the weirdest feeling – you were in one sense repulsed by the objects, but also freed by this sort of total rule-breaking.” Inzwischen wird das Memphis-Design als Symbol der 80er gefeiert.

Während sie also ihre Vision des revolutionären Interior Designs vollendeten, scheiterte dagegen ihr Vorhaben, auch kommerziellen Profit zu erzielen. Das hatte mehrere Gründe: Zum einen schien es vielen schwierig, die kunterbunten Möbel in ihre bestehende Einrichtung zu integrieren. Zum anderen bewegten sich die meisten Stücke preislich zwischen 2.000 € und 10.000 €.

Aber selbst wenn sich jemand dazu entschließen sollte, eines der teuren Designerobjekte zu erwerben, so war auch das nicht wirklich einfach. Zunächst waren die Stückzahlen aufgrund des aufwendigen Produktionsprozesses begrenzt, des Weiteren konnten Ausstellungsstücke oft erst Monate später überhaupt erst in die Produktion gehen. Der ausbleibende kommerzielle Erfolg brachte Sottsass schließlich dazu, Memphis 1988 aufzulösen. Später kommentierte er das Ende relativ trocken mit folgenden Worten: „There are moments when something happens, and then it’s over. Basta.’’

Der BMW i8 auf der internationalen Automobil-Ausstellung. Foto: Alexander Migl

Das Revival des Totgeglaubten

Dabei muss man der Designlegende widersprechen. Auf Instagram-Kanälen wie ettoresottsass wird das Memphis-Erbe lebendig gehalten, die Sotheby’s-Versteigerung von Bowies Memphis-Sammlung im November fuhr gigantische Summen ein und BMW hat ihr zu Ehren einige Elektroautos umgestalten lassen.

Darüber hinaus haben Künstler von heute die Möglichkeit, ihre Werke in Museen zu inszenieren und gleichzeitig online zum Verkauf anzubieten. Auch Möbeldesigner können heute in Online-Stores ihre Möbelstücke anbieten. Diese sind ganz unabhängig von der Industrie und müssen sich nicht dem Funktionalitätsdiktat unterwerfen muss. Sprich Möbelstücke, die optisch und zweckmäßig etwas aus dem konventionellen Rahmen fallen. Mutige Möbeldesigner können daher dank des digitalen Wandels potentielle Kunden aus aller Welt erreichen.

Die jeweiligen Gründe, die ein Revival eines bestimmten italienischen Vintage-Produkts ermöglichen, sind letztlich sehr verschieden. Der digitale Wandel aber schafft neue Nischen, und damit neue Möglichkeiten für Macher, die früher im Reich der Träume lagen. So können sich Ideen auch weit abseits vom Mainstream als erfolgreiche Businessmodelle behaupten, und so werden wunderbare italienische Produkte, die zum Teil einhundert Jahre alt sind, auch heute noch geschätzt.

Mein geliebtes Rennrad kann mir das Internet leider nicht zurückbringen. Aber wenn ich das nötige Geld zusammengespart habe, weiß ich jetzt, wo ich mir ein richtig schönes italienisches Rad zulegen kann – gefertigt in meisterlicher Handarbeit vor über 50 Jahren und immer noch ein begehrtes Design-Objekt.