Pilzen und Superfood werden große gesundheitliche Wirkungen zugeschrieben, aber es ist schwer, verlässliche Informationen zu finden, die diese Wirkungen belegen. Wo liegt die Grenze zwischen Vermarktung und Medizin? Wir haben uns umgeschaut.
Sehnsucht nach natürlicher und einfacher Heilung
Wenn wir durch die aktuelle Pandemie eines gelernt haben, dann ist es definitiv wie schwierig es ist, wissenschaftliche Daten und Studien als nichtwissenschaftliches Publikum zu lesen. Was für die Einschätzung eines global grassierenden Virus gilt, gilt genauso für die Wirksamkeit von bestimmten Nahrungsmitteln als Heilmittel oder gehypten Nahrungsergänzungsmitteln mit nahezu wundersamen Wirkungsbeschreibungen. Ab wann vertrauen wir unsere Gesundheit alternativmedizinischen oder simplen Marketingversprechen an? Und ab wann wird es gefährlich? Zwei Themen fallen auf dem Markt sofort auf: Da sind zum einen Heilpilze, allen voran der Shiitake-Pilz, der in vielen asiatischen Küchen eingesetzt wird. Auf der anderen Seite stehen Superfood-Pulver, die durch ihre einfache Einnahme und die vielen Wirkstoffe Wunder bei allerlei Leiden versprechen. Was sie können und wie ihre Versprechen von unseren Sehnsüchten erzählen, analysieren wir hier.
Heilpilze: Delikatessen als Heilmittel
In der chinesischen und japanischen Küche gelten Shiitake-Pilze als Delikatesse. Doch sie schmecken nicht nur gut, sondern gehören dort auch in die gesunde Küche. Auch anderen Pilzen, sogenannte Heil- oder Vitalpilze, werden medizinische Wirkung zugeschrieben. Dazu gehören Pilze wie der chinesische Raupenpilz, die Schmetterlingstramete oder der Lackporling. Sie sind als Pilzpulver getrocknet im Internet erhältlich. Trotz der vielen Versprechen im Internet steht hier die Forschung noch am Anfang und ist nicht frei von Widersprüchen. Es gibt Studien, die sich dafür aussprechen, dass Pilze bei Krebs und Entzündungen helfen können. Keine der Studien ging jedoch über Zellkulturen oder Tierversuche hinaus. Ihre Aussagekraft für den menschlichen Körper und unser Immunsystem ist nicht endgültig.
Andere Studien gehen davon aus, dass Shiitake-Pilze tatsächlich einen positiven Einfluss auf unser Immunsystem haben können. Eine regelmäßige Einnahme der Pilze als Nahrungsmittel hat hier bereits nach einem Monat nachweisbare Effekte auf das Immunsystem gehabt – unterstützend scheint Shiitake also zu wirken.
Die lange Geschichte der Verwendung von Pilzen in der traditionellen chinesischen Medizin unterstützt ebendiese Wirksamkeit. Die traditionelle chinesische Medizin (TCM) verfolgt, und hier unterscheidet sie sich von der westlichen Medizinlehre, das Ziel, den Körper präventiv zu stärken. Durch die Ernährung und andere Ergänzungsmittel soll der Körper vor Krankheit bewahrt und im Gleichgewicht gehalten werden. Die TCM geht in ihrer Zielsetzung nicht gegen Symptome vor, sondern beugt Krankheiten selbst vor. In der westlichen Schulmedizin herrscht hingegen ein symptomatischer Ansatz vor, der versucht, Symptome zu bekämpfen und einzudämmen. In diesem Gedankengebäude macht das Konzept der Heilpilze also durchaus Sinn: Sie wirken vorbeugend, indem sie das Immunsystem stärken. Eine regelmäßige Einnahme hält den Körper im Gleichgewicht. Wenn er dennoch ins Schwanken gerät, sind wir uns bei der Wirkung von Pilzen nicht mehr sicher. Gleiches gilt für andere Nahrungs- und Nahrungsergänzungsmittel.
Die verführerische Kraft magischer Pulver
Die Verführung ist groß: ganz ohne eigenes Zutun, nur mit einem Pulver, Stress abbauen. Nur mithilfe von pflanzlichen Wirkstoffen das Gefühl von Aufgeriebenheit, Müdigkeit und Ausgelaugtheit wegtrinken. Genau das versprechen sogenannte Superfood-Pulver. Der Begriff führt in eine ganze Welt von Produkten, die verschiedene Pflanzen beinhalten und sie in Pulverform darreichen. Einmal eingenommen sollen die (teuren) Pulver dazu führen, dass wir uns besser, vitaler und ausgeglichener fühlen. Dabei wird Stress als ein Zustand begriffen, den wir durch ein Gegenmittel wieder rückgängig machen. So wird aus Stress, der zugleich Körper und Geist betrifft, eine rein körperliche, eine somatische Problemstellung. Anstatt dem Stressauslöser auf den Grund zu gehen, sollen wir, so die Hersteller der Pulver, Superfoodwurzelpulver wie Ingwer oder Kurkuma im Mix mit Algen und anderen Pulvern zu uns nehmen. Kann das funktionieren?
Dünnes Eis in der Datenlage
Ein Begriff, der in diesem Kontext oft auftaucht: Adaptogene. Er bezeichnet eine Gruppe von Pflanzenstoffen, die den Pflanzen dabei helfen, sich an ihre Umgebung anzupassen. Diesen Effekt sollen die Adaptogene auch auf den menschlichen Körper haben, der gewissermaßen von den Pflanzen lernt sich anzupassen. Der Begriff Adaptogene wird vorrangig in alternativmedizinischen Diskursen genutzt. Wissenschaftlich hat der Begriff aktuell keine Verwendung mehr und führt in eine Sackgasse.
Was sollen wir also davon halten, wenn uns Adaptogene als Lösung für unsere Probleme präsentiert werden? Mischungen, die auf dem Markt sind, beinhalten eine Vielzahl von Pflanzen, von denen wir in der Regel, wenn überhaupt, nur Studien über die Pflanze an sich haben. Einzelne Pulver enthalten bis zu 30 verschiedene Pflanzen – weit mehr, als beispielsweise eine Mischung aus der TCM oder Kräuterheilkunde klassisch verschrieben wird. Hilft mehr auch mehr? Oder gibt es Wechselwirkungen? Trotz der vielen Versprechen und Annahmen, gibt es wissenschaftlich gesehen keine abschließenden Beweise.
In einer Zeit, in der wir lernen müssen, uns von der Arbeit abzugrenzen und in der die Medien uns mit weltbewegenden Informationen überhäufen, klingen Superfood-Pulver aber durchaus verführerisch. Wer will schon wissenschaftliche Nachweise, wenn das Versprechen gut klingt? Es fällt uns leichter, ein Mittel gegen Stress zu nehmen, als die Stressoren selbst zu beseitigen. Wir sind so darauf getrimmt, Symptome zu bekämpfen, dass wir gerne vergessen, dass diese Symptome eine Ursache haben. Bekämpfen wir den Stress an der Wurzel, dann kann ein Superfood-Pulver vielleicht nicht schaden, aber es ersetzt das Nachdenken und die eigene Arbeit an unseren Stressoren eben nicht. Man kann sich einen uncoolen Job oder eine toxische Beziehung eben leider nicht wegtrinken.
Informierte Verbraucher*innen im Informationszeitalter
Es ist eine große Herausforderung für uns als Verbraucher*innen mit der Flut von Informationen umzugehen, die wir zu gesundheitlichen Themen bekommen. Marketingversprechen und der aktuelle Stand der Forschung vermischen sich nur allzu schnell. Sie auseinanderzuhalten gelingt oft nicht ohne tiefergehend Recherche, sind sie doch keine einfach zu lesenden Quellen. Auch wenn es sich einfach anfühlt, sich durch Superfood-Pulver vom Stress zu befreien oder durch Heilpilze zu genesen, sollten wir diese Produkte immer kritisch hinterfragen. Shiitake zur Vorbeugung? Das macht Sinn und schmeckt im schlimmsten Fall nur gut. Aber Superfood-Pulver statt eines nachhaltig gesunden Lebenswandel? Das scheint keine gute Idee. Alles andere können wir einer medizinischen Beratung überlassen.