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Alles lol im Internet? Memekultur als Gradmesser für gesellschaftliches Klima

Britney Spears macht es. Marijke Amado – ja genau, die ikonische 90er-Jahre Moderatorin macht es: Memes bauen. Memes sind unverzichtbarer Teil unserer Gegenwartskultur. Aber warum könnten sie die Zukunft gestalten?

Memes haben mittlerweile durch ihre Dauerpräsenz in den Timelines einen beachtlichen Einfluss auf unseren Meinungsbildungsprozess. Vor ein paar Jahren hätte ein Artikel über Memes vielleicht noch erklären müssen, was ein Meme genau ist, aber in einer Zeit, in der Boomer und Impfgegner*innen sich in ihren Telegram-Gruppen und Familienchats sogar Memes schicken, gibt es eine gemeinsame Wissensgrundlage. Der Journalist und Meme-Kenner Michael Aniser sagt dazu: „Memes funktionieren mit einfacher, reduzierter Sprache und repetitivem Bildmaterial. Einerseits leicht zu verstehen, andererseits suggeriert die Kenntnis der sich wiederholenden Bilder eine Art Zugehörigkeit zur „in-crowd”.

Memes umgibt eine ganze Internetkultur und so lässt sich jedes Meme theoretisch auf seinen Ursprung zurück recherchieren (die Datenbank knowyourmeme hilft dabei), aber das ist in der Regel ein Fall für Nerds und Meme-Connaisseure. Memes gab es bereits in den Internetdiskussionsgruppen der frühen 90er-Jahre. Ein frühes (dokumentiertes) Meme ist der „Hampster Dance”, basierend auf einer Website, die tanzende Hamster zeigte und bis auf den Entertainmentfaktor der kleinen pixeligen Nager keinen weiteren Zweck erfüllte.

Der „Hampster Dance” von 1998 basierend auf einer Website, die tanzende Hamster zeigte und bis auf den Entertainmentfaktor der kleinen pixeligen Nager keinen weiteren Zweck erfüllte, ist wohl eins der ältesten Memes. Quelle: Knowyourmeme.com

In der Gegenwart sind Memes mehr als nur tanzende Hamster. Sie stehen im direkten Austausch mit der Gefühlslage der Internetuser, ihre Bildquellen bedienen sich aktuellen popkulturellen Ereignissen wie den Oscars oder Interviews auf dem roten Teppich einer Gala. Aber was heißt denn, dass Memes so dauerpräsent sind? Und warum wird jede Nachrichtenlage in der Welt mittlerweile nicht nur von Journalismus, sondern auch von einer Flut von Memes kommentiert? Um die Flut zu beziffern: Instagram gab an, dass 2020 jeden Tag ca. 1 Million Posts mit  #meme gepostet werden.

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Einfach zu produzieren

Memes als Medium sind erst mal neutral, sie kommen weder von links noch von rechts, sind weder liberal noch konservativ, weder nerdy noch Mainstream. Das Meme-Format hat es aus seiner Internetforen-Nische in den Hauptblutstrom des Internets geschafft und zirkuliert wild durch alle Generationen, Meinungsbubbles und Communities. Es gibt damit auch eine Vielzahl an Nischen und Subströmungen: Memes über Astrologie, queer culture, übers Gärtnern oder über deutsche Klischees. Das Rezept für gute Memes: Sie bedienen genug spezifisches Wissen aus der angesprochenen Zielgruppe und sind zugleich noch verständlich genug, um zugänglich zu sein. Dadurch schaffen Memes eine emotionale Schnittstelle. Sie geben den Betrachtenden das Gefühl, verstanden zu werden. Eben genau darum folgt auf ein Meme auch oft der Kommentar: Yo, das bin voll ich.

Hinzu kommt, dass Memes einfach herzustellen sind. Ein Screenshot auf dem Handy, dann eine Bildbearbeitung-App und los geht’s. Zusätzlich gibt es Meme-Websites, auf denen in Sekundenschnelle Memes gebaut werden können. Memes sind eben keine reingezeichneten Werbeplakate. Die Copy-Paste-Screengrab-Ästhetik ist Teil des Programms von Memes – die ästhetische Fortsetzung ihrer inhaltlichen Schnelligkeit. Die Meme-Ästhetik lässt sich aber nicht ausbeuten, wenn sie einen werblichen Zweck erfüllt. Wenn Werbeagenturen Kampagnen konstruieren, die eine Meme-Ästhetik haben, cringed gern mal das Internet. Der Autoverleih sixt hat vorgemacht, wie es nicht geht.

Tagesgeschehen mit Weichspüler

Karina Chernenko arbeitet als Kunstvermittlerin und baut aus Kunstgeschichte Memes. Dabei kombiniert sie historische Darstellungen aus der Malerei mit Gegenwartsgeschehen. Sie beschreibt den Effekt von Memes als „Weichspüler für das Tagesgeschehen“. Gleichzeitig ist ihre Praxis als Memerin vom Tagesgeschehen abhängig, denn „natürlich kannst du das Tagesgeschehen in Teilen ignorieren, aber dann verliert dein Content schnell an Aktualität.“ So wie das Internet kurz explodierte, weil Will Smith auf der Oscar-Verleihung Chris Rock körperlich Angriff. Was war zuerst da, das Meme oder die Information?Chernenko sah zuerst die Memes: „Das Bild war dann die Anregung, mich mit dem Zwischenfall auseinanderzusetzen.“

Wenn es möglich ist, einen Teil der aktuellen Nachrichtenlage durch Memes zu konsumieren, was heißt das für unsere emotionale Verfassung? Memes sind durch ihre schnelle Erzählform und die Pointe ein willkommenes Werkzeug zur emotionalen Regulation in einer Welt, die konstant überfordert. Memes sind, wie es auf Denglisch heißt, einfach so verdammt relatable und schaffen darüber Entlastung.

Memes schaffen Gemeinschaften

Memes schaffen auch politische Wertegemeinschaften, beispielsweise wenn ein junger CDU-Politiker wie Philipp Amthor, der schon oft eine dankbare Zielscheibe für Internet-Spott bot, zum Zentrum eines konservativen Meme-Accounts wie @philipp_amthor_memes wird. Dann sieht man auch mal den Politiker mit einem Baby auf dem Arm lächelnd und die vermeintliche Punchline „Wenn du ein Neugeborenes mit konservativen Werten segnest.“ Wir sind im rechten Spektrum von Politik – überrascht also nicht, dass hier Memes auftauchen, die Waffen mit Humor unterlegen wollen. Dann wird aus der Panzerfaust eine PA-nzerfaust und Philipp Amthor (kurz PA), der – genau – eine Faust in die Kamera hält. Trotz über 300 Likes sucht man vergeblich kritische Kommentare unter dem Post.

Hier wird das Meme zur politischen Haltung hochgeschraubt. Während sich viele Memes über etwas lustig machen, wie beispielsweise die Essgewohnheiten von deutschen Gartenpartys (Auftritt: Mettigel) oder das Dating-Verhalten von schwulen Männern, werden die konservativen Memes zur Selbstbeweihräucherung und zur defensiven Offensive gegen den Spott. Ob Angriff hier die beste Verteidigung ist? Der Account hat eine stabile Fanbase, der Rest ist Filterbubble.

Memes als Nachrichtenquelle?

Memes als Weichspüler, Memes als politische Werbung, Memes als probate Nachrichtenquelle? Der Meme-Experte Michael Aniser merkt an: „Die Geschwindigkeit, mit der Memes reagieren, führt oft zu Missverständnissen – diese passieren aber auch im gegenwärtigen schnelllebigen Headline-basierten Clickbait Newsgame.” Damit sind Memes weniger der Auslöser als das Symptom einer Haltung zu Nachrichten, die auf Schnelligkeit und einfaches Erfassen fußt. Der Kampf um unsere Aufmerksamkeit ist ein Kampf, der mit Humor und Punch-Lines einfacher gewonnen wird. Ob sich die Nachrichtenkultur ändern wird, ist an dieser Stelle schwer zu sagen. Genauso schwer lässt sich absehen, wie Memes sich in Zukunft entwickeln. Wenn Memes aber bereits in den frühen Versionen des Internets vorhanden waren, gibt es keinen Grund zur Annahme, dass sie einfach so verschwinden. Sind wir peak meme? Das wird die Geschichte zeigen.

Halten wir fest: Memes sind nicht der geeignete Ort, um sich über Nachrichten zu informieren. Allein schon wegen ihrer Kürze erlauben sie keinerlei Informationstiefe. Dennoch zeigen Memes eine Haltung, lösen Emotionen aus und kommunizieren damit Werte. Wenn Memes zu viel Raum in unserem Nachrichtenkonsum einnehmen, wird unsere Realität auf Punch-Lines und kleinen Formaten reduziert. Wie also verantwortungsbewusst mit Memes umgehen? Wie immer im Internet gilt: Fakten gegenchecken, die Quelle anschauen und nachrecherchieren. Wir kommen nicht um die Sogkraft von guten Memes herum. Ein Internet ohne Memes? Auch in Zukunft unvorstellbar.