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Foto: Mossmann Gorge Center

Australien: Das älteste Regenwald-Volk der Welt erhält seinen Wald zurück

Eine neue Welle der Dekolonisation bahnt sich im 21. Jahrhundert an: In einem historischen Abkommen erhalten die australischen Ureinwohner*innen des Kuku Yalanji Volkes ihr Land zurück. Werden andere Länder folgen?

Seit rund 50.000 Jahren gibt es das Kuku Yalanji Volk im heutigen Australien schon. Ungestört lebten sie dort im Einklang mit der Natur, bis ihnen ihr Land von europäischen Siedlern weggenommen wurde. Das Kuku Yalanji Volk wird auch das Regenwald Volk genannt, weil sie seit Jahrtausenden eine besonders enge Beziehung zur Natur und Umwelt um sie herum pflegen. Ihr traditionelles Wissen über die Zyklen der Natur geben sie von Generation zu Generation weiter. Seit 1986 teilen sie ihr Wissen auch mit anderen: In Queensland eröffneten Vertreter des Kuku Yalanji Volks das Mossman George Center, in dem Besucher*innen mehr über ihre Geschichte und Kultur erfahren können.

Damals hätte keiner der australischen Ureinwohner*innen daran geglaubt, dass sie im Jahr 2021 ihr eigenes Land zurückbekommen würden. Doch genau das ist geschehen. Am 29. September gab die Regierung des australischen Bundesstaats Queensland die historische Entscheidung bekannt, dass sie dem Kuku Yalanji Volk ihr Land zurückgeben wird. Insgesamt soll eine Fläche von 160.000 Hektar Land auf der Kap-York-Halbinsel, die den Daintree Nationalpark, den Ngalba-Bulal-Nationalpark, den Black Mountain Nationalpark und den Hope Islands Nationalpark umfasst, von nun an gemeinsam von den australischen Ureinwohner*innen und der Regierung von Queensland verwaltet werden. Somit dürfen die Kuku Yalanji auch wieder in ihrer traditionellen Heimat leben und können nicht mehr von dort vertrieben werden.

Das Kuku Yalanji Volk lebt traditionell an und um den Daintree Fluss in Queensland herum. Bild: State Library of Queensland, ca 1892.

Opfer des Goldrausches

Doch zunächst ein Sprung in die Vergangenheit. Als im Juni 1873 das Gerücht die Runde machte, dass es am Palmer Fluss Gold gibt, dauerte es nicht lange, bis tausende von Europäer*innen und Chines*innen in das Gebiet der australischen Ureinwohner*innen eindrangen. 1877 gab die australische Regierung das Gebiet zur Kolonisation frei. Abertausende Einwanderer aus Europa und China besiedelten die Region auf der Suche nach Gold. Es folgten etliche Versuche der ethnischen Säuberung, kulturellen Ausrottung und Konversion. Doch die Kuku Yalanji ließen sich nicht einfach ausrotten, sie zogen in den Krieg – vergeblich.

Unter der “White Australia Policy”, einer Reihe rassistischer Gesetze, die von 1901 bis 1973 bestanden, wurde das Kuku Yalanji Volk aus “weißen”, von Siedlern besetzten Gebieten vertrieben und in Konzentrationslager gezwungen. Heute sind die übrigen ca. 3000 Kuku Yalanjis größtenteils um den Mossman Fluss, den Daintree Fluss und Wujal Wujal angesiedelt. Viele von ihnen leben weiterhin gemäß ihrer ursprünglichen Traditionen, andere, wie zum Beispiel die Sprinterin Cathy Freeman, die als erste Indigene eine Goldmedaille für Australien einholte, sind im urbanen Raum aufgewachsen.  

Zurück ins 21. Jahrhundert. Australiens rassistische Gesetze, sowie die Langzeitfolgen der Kolonialisierung spüren die übrig gebliebenen 787,000 (ca 3.3 % der Gesamtbevölkerung) Aborigines bis heute. Sie sind immer noch von Diskriminierung, Armut und Arbeitslosigkeit betroffen, haben schlechteren Zugang zu Gesundheitsversorgung und Bildung und kommen häufiger ins Gefängnis, wie aus dem Australia Health Report  aus 2018 hervorgeht.

Versöhnung in Sicht?

“Australien hat eine unangenehme und hässliche geteilte Vergangenheit”, kommentierte Queensland’s Umweltministerin Meaghan Scanlon die historische Landrückgabe. Insofern sei das Ereignis ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Versöhnung, so Scanlon. Doch ist eine gemeinsame Verwaltung tatsächlich eine Rückgabe, geschweige denn eine Versöhnung? An dem Rückgabe-Abkommen wird bereits seit 2017 verhandelt. Das Ziel des beiderseitigen Abkommens ist, dass die Ureinwohner*innen bald alleinige Verwalter der Region sind. Wann das eintreten soll, ist noch unklar.

Dafür soll eine Stiftung gegründet werden, die Ausbildungs- und Arbeitsplätze schaffen soll und den Aborigines die notwendigen Kenntnisse vermitteln soll, sodass sie Herren bzw. Damen ihres eigenen Schicksals werden können. Das gab Chrissy Grant, die als Vertreterin des Kuku Yalanji Volkes mit der Regierung verhandelte, bekannt. Dabei sollen sie vor allem durch Innovationen im Tourismus- und Forschungssektor wirtschaftlich unabhängig werden. 

Dekolonisationswelle

Die Landrückgabe an das Kuku Yalanji Volk, das als eine der ältesten Kulturen der Erde gilt, reiht sich in eine neue Welle der Dekolonisation ein, die das 21. Jahrhundert prägt. Erst kürzlich, am 20. September 2021, kündigte die Regierung von Queensland an, den Touristenhotspot Fraser Island in seinen ursprünglichen Namen K’gari umzubenennen, was auf Deutsch “Paradies” bedeutet.  

Auch im benachbarten Neuseeland hat die Maori-Partei kürzlich eine Petition mit dem Ziel veröffentlicht, Neuseeland in den ursprünglichen Namen Aotearoa (“das Land der langen weißen Wolke”) umzubenennen, mitsamt allen Städten und Dörfern, die bis 2026 ebenfalls ihre Ursprungsnamen wieder erhalten sollen. Ob die Petition Erfolg haben wird, ist noch ungewiss. 

“Es ist längst an der Zeit, dass Te Reo Maori an ihren rechtmäßigen Platz zurückkehrt und als die offizielle Sprache dieses Landes wiederhergestellt wird. Wir sind ein polynesisches Land, wir sind Aotearoa. Tangata Whenua [indigenes Volk] haben es satt, dass unsere ursprünglichen Namen verstümmelt, verfälscht und ignoriert werden. Es ist das 21. Jahrhundert, das muss sich ändern”, sagt Rawiri Waititi, stellvertretender Vorsitzender der Māori Partei. 

Rawiri Waititi fordert, dass Neuseeland ihren ursprünglichen Namen Aotearoa zurück erhält. “Es ist das 21. Jahrhundert”, sagt der stellvertretende Vorsitzende der Māori Partei. Bild: Erica Sinclair / Maori Party

Geschichte lässt sich nicht ungeschehen machen

Fast hundert Jahre nach dem Abzug der Briten aus Australien, im Fall von Neuseeland sind es neunzig Jahre, ist es an der Zeit, das Erbe der Kolonialisierung global neu zu bedenken. Rassistische Straßennamen, die Anerkennung von Völkermorden und der Schutz der indigenen Bevölkerung treffen gerade in Zeiten von Black Lives Matter und Klimawandel auch in Deutschland auf mehr öffentliche Aufmerksamkeit. 

Zum Beispiel hat die Berliner Bezirksverordnetenversammlung letztes Jahr beschlossen, die Mohrenstraße in Berlin-Mitte nach dem afrikanischen Gelehrten Anton Wilhelm Amo zu benennen. Der Berliner Verein “Berlin Postkolonial” hat ebenfalls ein Informationszentrum in der Wilhelmstraße zur deutschen Kolonialgeschichte eröffnet. Es ist die erste Anlaufstelle der Stadt, die sich diesem Thema widmet. 

Dass andere Staaten der australischen oder Berliner Initiative folgen werden, ist trotzdem leider erstmal unwahrscheinlich. Indigene Völker machen gerade einmal 6,2% der Weltbevölkerung aus. Die Mehrheit von ihnen lebt in undemokratischen oder autoritären Staaten. Ungefähr 70% leben in Asien und in der Pazifikregion, gefolgt von 16,3% in Afrika und 11,5% in Lateinamerika und der Karibik. In Nordamerika sind es nur 1,6%, in Europa und Zentralasien knapp 0,1%. Die Rechte und Territorien indigener Völker sind auf der ganzen Welt trotz weitreichender Kampagnen unter Beschuss. Innerhalb der letzten fünfzig Jahre sind knapp 17% des Amazonas-Regenwaldes zerstört worden, unzählige Ureinwohner*innen wurden vertrieben und ihre Lebensräume vernichtet. 

Gerade deshalb sind demokratische Strukturen der wichtigste Bestandteil der Dekolonisationswelle. Um die Dekolonisation global voranzutreiben und indigenen Völkern ihre Rechte und Länder zurückzugeben, müssen demokratische Strukturen gefördert werden, in denen indigene Völker die Möglichkeit zur Teilhabe bekommen. Zu schade ist es daher, dass die Demokratien in gerade den Ländern, in denen viele indigenen Völker Leben, auf dem absteigenden Ast sind, wie man am Beispiel Australien oder Brasilien gut erkennt. 

Wusstet ihr, dass es indigene TikToker gibt? Wir stellen euch in diesem Artikel ein paar von ihnen vor.