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Bild: Screenshot Youtube/Iggy Azalea: I am the Stripclub

Blackfishing und Asianfishing: Darf man sich seine „race“ aussuchen?

Promis und Influencer machen es vor, Fans in den sozialen Medien machen es nach: Die Aneignung von afrikanischen, lateinamerikanischen oder asiatischen Features durch Make-Up, Filter, Gestik oder Tanzbewegungen ist zu einem Trend in der Popkultur aufgestiegen, der kaum noch hinterfragt wird. Ariana Grande oder die Kardashians können sich nach Lust und Laune in unterschiedliche Race*-Phänotypen „verwandeln”, ohne dass ihre Karrieren darunter leiden. Blackfishing und Asianfishing sind gefährliche Trends, die durch soziale Medien immer mehr normalisiert werden.

*Der folgende Artikel handelt von einem Phänomen, das sich in der westlichen, nordamerikanischen geprägten Popkultur abspielt und greift thematisch „critical race theory“ auf, weswegen das Wort „race“ statt „Rasse“ benutzt wird. Der englische Begriff „race“ gilt als zentraler Analysebegriff in den Rechtswissenschaften und Sozialwissenschaften in den USA. Der deutsche Diskurs um das Wort „Rasse“ gilt als noch nicht beendet und es gibt noch keinen Konsens über die Benutzung des Wortes. Auch sind Bedeutungsebenen und der Anwendungskontext in Deutschland anders als in Nordamerika.

Langgezogene Augen, verrucht und sexy: für einige der Look des Abends, für mich meine ganz normale Augenform, die ich am Ende des Abends nicht einfach abwaschen kann. Vor knapp einem Jahr entstand online der sogenannte „Fox-Eye-Trend“, bei dem junge Frauen mit Make-Up oder Gestik ihre Augen mandelförmig aus dem Gesicht ziehen. Der Trend erzeugte in der asiatischen Diaspora-Community, zu der auch ich gehöre, einen Aufschrei. Es handele sich dabei um „Asianfishing“, denn viele wuchsen mit Spott für ihr asiatisches Aussehen auf. Auf Social Media und in der Popkultur sind solche Trends zur Normalität geworden. Einerseits werden dabei Vorwürfe von Rassismus und „Cultural Appropriation“ laut, andererseits gibt es Personen, die diese Art der „Verwandlung“ als harmlos erachten.

Youtuberin Sherliza Moé erklärt in ihren Videos den “Fox-Eye-Trend” und warum dieser problematisch ist. Bild: Screenshot Youtube/Sherliza Moé.

Was bedeuten „Blackfishing“ und „Asianfishing“?

„Blackfishing“ und „Asianfishing“ beschreiben den visuellen Akt der Aneignung schwarzer oder asiatischer stereotypisch physischer Merkmale für wirtschaftlichen Profit. Hauptsächlich findet dieses Phänomen in den sozialen Medien statt, ist eine Form von „Cultural Appropriation“ und kritisiert diese Art der Aneignung als Vermarktung von Stereotypen.

Prominente Beispiele für Blackfishing sind z. B. die Kardashians und Ariana Grande. Die Kardashians, die armenische Wurzeln haben, jedoch in Amerika als Weiße gelten, stehen schon lange in der Kritik für Blackfishing. Der Kultstatus der Kardashians war nur möglich durch Kim Kardashians operierten Hintern. Mit der Vermarktung ihres kurvigen Körpers und ihrer eigenen Shapewear-Linie SKIMS hat Kim nicht nur einen festen Kundenstamm und Fans gewonnen, sondern auch den Wert ihrer Firma auf mittlerweile 3,2 Billionen US-Dollar gesteigert. Von Fashionstyles bis Fulani-Braids präsentieren sich die Kardashians in einer visuellen Hülle, die eigentlich mit „African American Culture“ verbunden wird.

Ariana Grande, die italienisch-amerikanischer Abstammung ist, startete als „weißer“ Disney-Star und vermarktete sich erfolgreich in ihrer Karriere als „Latina“, „schwarz“ und zuletzt als „ostasiatisch“. Die Meinung mancher ihrer Verteidiger:innen, man „dürfe sich doch bräunen“, wird beim Anblick von alten Konzertfotos von Ariana Grande neben Nicki Minaj, beide im selben Hautton, schnell unglaubwürdig. Auch wenn nicht klar ist, ob dies für ihren Erfolg ausschlaggebend war, ist es unbestreitbar, dass diese Veränderungen immer dann stattfanden, wenn eine „race“ gerade „trendiger“ erschien. Zuletzt präsentierte sich Ariana in einem Fotoshoot als „Ostasiatin“, bei ihren letzten Auftritten als Jurorin bei „The Voice USA“ sieht man einen deutlichen Unterschied im Hautton und ihrem Style. Und das gerade jetzt, wo K-Pop und koreanische Serien wie Squid Game einen globalen Korea- und Ostasien-Trend auslösen – reiner Zufall? Ariana Grandes Vermögen wird auf über 200 Millionen US-Dollar geschätzt, auf Instagram hat sie eine Followerschaft von 328 Millionen.

Ein Extrem mit „Asianfishing“ setzt die Online-Persönlichkeit Oli London. Oli, weiß und britisch, behauptet, koreanisch zu sein und hat sich über 20 Schönheitsoperationen unterzogen, um wie das beliebte koreanische K-Pop-Idol Jimin von der Boygroup BTS auszusehen. Zu diesen Schönheitsoperationen gehörte angeblich die Anpassung ihrer Brustwarzen in „koreanische Brustwarzen“– was immer das auch heißen mag. Sie befinde sich in einem „Übergangsprozess” von weiß zu asiatisch. Zuletzt entschuldigte sich Oli London bei der asiatischen Community in einem Instagram Post, in dem sie ihr Verhalten mit psychischen Problemen begründete. Oli London behauptet jedoch weiter, aus existenziellen Gründen Koreanerin werden zu wollen, hat ihre Identifizierung in den sozialen Medien offen vorgeführt und profitiert ökonomisch von dieser Performance. Als Influencerin besitzt sie einen Vermögenswert von 1,5 Millionen US-Dollar. Koreanisch spricht Oli London allerdings nicht.

Was sind die Kritikpunkte an „Asianfishing“ und „Blackfishing“?

„Wenn also Weiße ,schwarze‘ Charaktermerkmale performen, ist der Effekt immer schon in den Diskurs des Andersseins verstrickt; das historische Gewicht des Privilegs der weißen Haut erzeugt notwendigerweise eine angespannte Beziehung zum Anderen“, schreibt der amerikanische Performance-Artist und Soziologe E. Patrick Johnson in Appropriating Blackness. Eine solche Art der Performance kann demnach also gar nicht losgelöst von Geschichte und sozialen Gegebenheiten gesehen werden. Sie sind, wie Ayanna Thompson in ihrem Buch Blackface beschreibt, „Performances der Macht”. Denn die Performer:innen müssen nicht in der Realität von BIPOCs leben, können sie doch immer zurück in ihre „weiße” Existenz. So hört Ariana Grande einfach auf, ins Sonnenstudio zu gehen und schminkt sich ihre Fox Eyes nach dem Konzert wieder ab.

Die Phänomene „Asianfishing” und „Blackfishing” setzen die lange Tradition des fetischistischen Voyeurismus fort, den E. Patrick Johnson als „Zurschaustellung einer Kultur durch eine Performance, aber mit einer herablassenden Distanz“ beschreibt. In seinem Buch Appropriating Blackness legt er dar, wie in vielen Fällen als weiß geltende Menschen Schwarzsein exotisieren und/oder fetischisieren. Die Prozesse der Aneignung und der anschließenden Darstellung beruhen häufig auf rassistischen Stereotypen. Darüber hinaus wird die Wiederaneignung dieser Stereotypen genutzt, um dem eigenen „Weißsein zu entkommen“. Dadurch wird ein schädliches und oberflächliches Bild dieser Menschengruppe gefördert und verfestigt.

Asianfishing-Influencer:innen imitieren durch Make-Up, Körperhaltung und Stimme von Anime inspirierte Charaktere. Oftmals tragen sie infantilisierende, stark sexualisierte Kleidung und verstärken damit den gefährlichen Stereotypen einer unterwürfigen asiatischen Frau. Dieser Stereotyp stammt aus kolonialistischer und rassistischer Geschichte, wonach asiatische Männer „verweiblicht“ und asiatische Frauen sowohl als super feminin, als „China Doll“, als auch als kastrierend, als „Dragon Lady“, dargestellt werden. Männer wurden „entmannt“, damit ihre Frauen niemandem „gehörten“ und damit genommen werden durften. Asiatische Frauen, oft sexualisiert oder verteufelt, leiden noch heute unter diesem Bild. In einem Tweet des iOS-Entwicklers Steven Shen wurde 2021 festgestellt, dass unter der Kinderschutzfunktion „Erwachsenenwebsites einschränken“ keine Website geladen werden konnten, die das Wort „asiatisch“ in der URL enthält. Es wird vermutet, dass der Begriff nicht mit Absicht geblockt wurde, sondern weil „asiatisch“ zu oft auf pornografischen Websites für Inhalte verwendet wird. Der japanische Kimono, oder auch chinesische Qipao, gehört zu den traditionellen Kleidungsstücken, die mitunter am meisten sexualisiert werden. Durch die moderne Mediendarstellung und den Aufstieg der koreanischen Popkultur scheint die Hypersexualisierung asiatischer Männer und Frauen noch weiter zugenommen zu haben. Der Attentäter, der im Frühjahr 2021 in Atlanta sechs Frauen asiatischer Abstammung ermordete, gab an, er wollte damit seine sexuelle Sucht bekämpfen.

Gibt es auch Whitefishing?

Wenn Weißsein Privilegien und Macht bedeutet, ist es nur logisch, dass Menschen gerne weiß sein möchten. Es gibt viele Beispiele von BIPOC, die sich in der Vergangenheit und der Gegenwart als „weiß“ ausgegeben haben und „weiße Eigenschaften“ angenommen haben, um eine bessere wirtschaftliche oder soziale Stellung zu erlangen. Diese Art der Anpassung steht im kausalen Zusammenhang mit den Ideologien „White Supremacy“ und „Colorism“, eine Form des Rassismus, bei der schwarze Menschen mit hellerer Haut bevorzugt werden. Die Diskriminierung aufgrund der Hautfarbe ist ein großer Teil davon.

Viele berühmte schwarze Menschen wie Beyoncé, Nicki Minaj, Halle Berry oder Tyra Banks operieren ihre Nasen kleiner oder hellen ihre Haut durch chemische Mittel auf. Seit Jahrzehnten werden für dunkelhäutige Menschen Bleaching Cremes verkauft und vermarktet, um die eigene Haut oft auf Kosten der Gesundheit aufzuhellen. Es sind die meist verkauftesten Schönheitsprodukte auf der Welt. An dieses Phänomen sind wir mittlerweile so gewöhnt, dass wir es als ganz „normal“ erachten. Denn die Norm, das gängige Schönheitsideal, ist immer noch das weiße Abbild. Da es sich bei Blackfishing und Asianfishing allerdings um eine Aneignung handelt, kann man im Fall von Whitefishing nicht von einer Aneignung, sondern eher von einer erzwungenen Anpassung sprechen – somit gibt es kein Whitefishing. Sowohl Blackfishing als auch Asianfishing sind Formen der Auslöschung, weil sie das Ergebnis und die Förderung eurozentrischer Norm sind. Colorism ist Realität und muss aufhören, denn eine „überlegene Rasse“ existiert nicht.

Der Wunsch der Menschen, sich physisch oder kulturell zu verändern, ist kein neues Konzept. Allerdings war es noch nie so schnell möglich oder sichtbar wie heute, da der virtuelle Raum allgegenwärtig ist. Durch Filter, Apps, Avatare, Make-Up, Operationen und den Willen, sich auf Social-Media-Plattformen zu präsentieren, ist eine visuelle „Verwandlung” in eine andere „race“ einfacher und greifbarer geworden.

Shudu Gram ist ein virtuelles schwarzes Model, kreiert vom Fashion Fotografen Cameron-James Wilson, einem weißen Mann. Dieses dystopische Beispiel eröffnet noch weitere Problematiken: eine weiße Person, die einen schwarzen Körper „besitzt“? Fragwürdig. Mit dem Metaverse rückt eine Realität näher, in der wir ganz einfach unseren Race-Phänotypen selbst festlegen könnten. Rassenkategorisierung als individuelle Entscheidung zu sehen, wird aber für viele BIPOC wie ein Schlag ins Gesicht bleiben, leugnet und minimiert es doch die brutale Vergangenheit und Gegenwart derer, die unter Diskriminierung und Gewalt aufgrund ihrer Hautfarbe leiden. Solange wir also in der physischen Realität die Ideologie von „White Supremacy“ nicht verlernen, wird sie auch virtuell weiterexistieren.