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Bild: Seven Shooter.

Bücher bald nur noch auf Instagram? “Instanovels” begründen eine neue Ära des hybriden Storytellings

Ein Blick in die U-Bahn oder den Bus zeigt: Immer mehr Menschen lesen auf ihrem Handy statt analog. Um mehr junge Menschen direkt zu erreichen, setzen einige Medien auf digitales Storytelling via Instagram. Das hybride Lesen kommt bei Gen Z gut an. Könnten Instanovels das analoge Buch bald ersetzen?

Deutsche lesen immer mehr online. Seit analoge Bücher und Printmedien mit Bildschirmen konkurrieren, sehen sich Verlage immer mehr dazu gezwungen, zeitgemäße Arten des Storytellings zu finden, die auch jungen Leser*innen erreichen.

Eine Umfrage der Stiftung Lesen fand heraus, dass sich das Leseverhalten von jüngeren und älteren Generationen stark unterscheidet. Während über 60-Jährige nach wie vor überwiegend Gedrucktes lesen, spielt sich der Lesealltag der 16 bis 29-Jährigen am häufigsten online ab. 

Das Leseverhalten der jüngeren Generation spielt sich zumeist online ab. Grafik: Stiftung Lesen. Ursprünglich erschienen in: Leipziger Zeitung.

Digitalisierung hat das Leseverhalten der jüngeren Generationen beeinflusst

Um die junge Leserschaft anzusprechen, setzen einige Medien deshalb nun auf digitales Storytelling. Wenn man die junge Leserschaft nicht weg vom Bildschirm bekommt, muss das Buch eben in den Bildschirm rein! Am besten so verpackt, dass die Leser*innen nicht gleich wegklicken, und ein Thema, mit dem sich besonders viele Gen Z Leser*innen identifizieren können: Liebe. 

Genauso hat es jetzt ein Autor aus Norwegen gemacht und damit die Kategorie “Instanovel” revolutioniert. Erst kürzlich veröffentlichte Alexander Kielland Krag im norwegischen Verlagshaus Gyldendal den wohl ersten Roman, der spezifisch für Instagram konzeptioniert wurde. In “Das bleibt unter uns” geht es um die Erfahrungen eines homosexuellen Jugendlichen bei seinem Coming-Out und um die Liebesgeschichte zwischen ihm und seinem Partner.  

Der Verlag veröffentlichte 45 Tage lang auf Instagram täglich ein Kapitel als Stories, die Fließtext, aber auch Video- oder Audioelemente, Bilder und Musik enthielten. Teilweise spielten Influencer die Rollen der Charaktere. Die Stories wurden in der Highlights Rubrik abgespeichert, um auch später aufrufbar zu sein. Durch das Tracking konnte der Verlag das Engagement der User*innen genau mitverfolgen. Das Resultat: User*innen beschäftigten sich im Schnitt ganze fünf Minuten lang täglich mit den Stories, 75 Prozent schauten sich sogar jede Story für 45 Tage lang an. 

In Krags Instaroman gibt es neben Fließtext auch multimediale Elemente wie Chats, Videos, Musik und Fotos. Foto: Screenshot aus “Das bleibt unter uns” Instagram Story.

Als Krag begann, “Das bleibt unter uns” zu schreiben, stand noch nicht fest, auf welcher Plattform der Roman veröffentlicht werden sollte. Vielmehr suchte er nach neuen Wegen, die junge Leserschaft direkt zu erreichen. Die Entscheidung für Instagram fiel erst, als Krag bereits etwa ein Viertel des Romans geschrieben hatte. Um die Geschichte auf das Social Media Format anzupassen, musste er viel kürzer, verdichteter und präziser als in einem Print-Roman schreiben.

Statt vieler Worte gibt es in Krags Instanovel Chats, Videos, Fotos und andere multimediale Elemente, die das Lesen zu einer hybriden Erfahrung machen und in einer Printversion so nicht möglich wären. Durch diese vielen Facetten gelingt es Krag, ein Universum rund um den Roman und die Charaktere zu erschaffen, mit dem sich die Leser*innen identifizieren können. “Sie lesen dann den ganzen Roman sozusagen aus Versehen”, sagt Krag. Der Verlag war mit den Verkaufszahlen des gedruckten Buchs zufrieden; der digitale Roman stellte sich als erfolgreiches Marketing für das analoge Buch heraus, obwohl der Roman kostenlos auf Instagram verfügbar ist – ein Zeichen dafür, dass Gen Z trotz der Offenheit für neue Leseformate auch das gute, alte Buch in den Händen wertschätzen kann.

Hybrides Storytelling kommt gut an

Der Norwegische Verlag ist nicht der erste, der Literatur auf Instagram präsentiert. Bereits vor drei Jahren brachte die New York Public Library Klassiker wie Kafkas Metamorphose, Carrolls Alice im Wunderland oder Gilmans Die gelbe Tapete als illustrierte Instanovels in die Instagram Stories ihrer Follower.

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Auch in Deutschland scheint der Instanovel-Trend angekommen zu sein: 2019 veröffentlichte RadioEins auf seinem Instagram Kanal Europas erstes Instanovel. 30 Tage lang konnten User*innen die Autobiografie von Alexander von Humboldt als grafischen Roman mit Frederic Lau in der Hauptrolle live mitverfolgen. Das Format stieß bei den Followern auf große Zustimmung.

Das hybride Storytelling mit multimedialer Gestaltung kommt bei vielen Followern gut an. Instanovels könnten deshalb das Potenzial haben, eine neue Ära des Storytellings zu begründen. Setzt sich das Modell durch, könnte das für Leser*innen die Integration von Literatur in soziale Medien bedeuten. Auch weniger bekannte Autoren hätten dadurch die Möglichkeit, Reichweite und Aufmerksamkeit für ihre Arbeit zu bekommen, selbst wenn sie nicht bei großen Verlagshäusern unter Vertrag sind. 

Jugendliche in Deutschland lesen seit 20 Jahren gleich viel

Doch bei einem Blick auf Gen Z’s Leseverhalten drängt sich eine andere Frage auf: Brauchen wir überhaupt digitalisierte  Literatur auf unseren Social Media Channels? Für viele ist das Buch immer noch so attraktiv, gerade weil es eine Bildschirmpause bedeutet. Das Bild des angeblich lesefaulen Jugendlichen täuscht; entgegen aller Vermutungen ist der Konsum von analogen Büchern unter Jugendlichen in Deutschland stabil geblieben. 

Alexander Kielland Krag veröffentlichte den wohl ersten für Instagram konzipierten Roman im norwegischen Verlag Gyldendal und erhielt dafür den  Fast Company’s World Changing Ideas Award 2021. Foto: Julianne Leikanger

Der Anteil derer, die in ihrer Freizeit mindestens mehrmals pro Woche gedruckte Bücher lesen, beträgt laut JIM-Studie seit 20 Jahren konstant etwa 40 Prozent. Auch die Umsätze der Buchindustrie in Deutschland waren während der letzten 10 Jahre stabil. E-Books hingegen können sich im Medienalltag Jugendlicher nicht durchsetzen, so die Studie. Nur sieben Prozent der Jugendlichen lesen regelmäßig E-Books, 75 Prozent beschäftigen sich nie mit digitalen Büchern. Andere Studien kommen zu optimistischeren Ergebnissen: Laut einer Bitkom Umfrage aus dem Jahr 2016 lesen 37 Prozent der 14 bis 29-Jährigen zumindest hin und wieder E-Books. Verwunderlich sind diese Ergebnisse nicht, denn ein E-Book ist eben keine Bildschirmpause. 

Krag glaubt, dass das Instanovel das analoge Buch nicht ersetzen wird. “Analoge Bücher werden immer einen Platz in unserer Kultur haben und spielen eine wichtige Rolle in puncto Konzentration”, sagt Krag. “Auf Instagram wird man schnell durch anderen Content abgelenkt, die Aufmerksamkeitsspanne ist viel kürzer. Trotzdem können Instanovels das Lesen gerade den Menschen näher bringen, die sonst vielleicht kein Buch in die Hand nehmen würden.”

So wie jedes Social Media Format wird auch Instagram früher oder später – im Gegensatz zum analogen Buch, das sich seit Jahrhunderten hält – aus dem Blickfeld verschwinden. “Deshalb brauchen wir eigentlich nicht unbedingt Instanovels. Was wir brauchen, sind Geschichten auf digitalen Plattformen, hybride Formen des Lesens, die Literatur mit Social Media verbinden”, sagt Krag.

Trotz der Kurzlebigkeit von digitalen Plattformen ist Krag sich sicher: “Der digitale Roman ist gekommen, um zu bleiben”. Welche Social Media Plattform in Zukunft genutzt wird, um Geschichten digital zu erzählen, sei dabei irrelevant. “Die Herausforderung ist, die Leser*innen dort zu erreichen, wo sie bereits sind.” Und neben der Couch, der Bibliothek oder der U-Bahn ist das eben online.