facebook-likehamburgerlupeoverview_iconoverviewplusslider-arrow-downslider-arrow-leftslider-arrow-righttwitter

Foto: Dainis Graveris.

Das abgebrühte Geschäft mit heißen Aktien

Der britische Staat machte unlängst Schlagzeilen, weil er während der Corona-Pandemie in ein Sexparty-Unternehmen investierte. Aber „Sexual Wellness“ ist mittlerweile ein globaler Markt. Anleger*innen sollten sich mit diesem Markt zumindest befasst haben. Denn eine Investition in Sex ist oft auch eine Investition in wertvolle Daten.

In schlechten Zeiten flüchtet sich der Mensch in Pornos. Vielleicht, weil Pornos Wärme geben, wenn das Leben sich gerade so kalt anfühlt. Der Sozialpsychologe Justin J. Lehmiller vermutet, dass das sexuelle Verlangen steigt, wenn unser Leben in Gefahr ist. So bewältigen wir die daraus resultierende emotionale Belastung.

Schon kurz nach dem Beginn der Corona-Lockdowns meldete die Webseite PornHub einen Anstieg des Traffics. Die Betreiber reagierten, boten Nutzer*innen gegen Registrierung die Premium-Inhalte kostenlos an und verkündeten einige Monate später eine Offensive als Werbeplattform. Die Strategie ist klar: Wachstum, Wachstum, Nutzerdaten sammeln, Wachstum. 

Der Corona-Schock traf auch die Pornoindustrie

Anleger*innen zeigten sich davon zunächst wenig überzeugt: Mindgeek, das luxemburgische Unternehmen hinter Plattformen wie Pornhub, YouPorn und RedTube, verlor zwischen Mitte Februar und Ende April ein Drittel seines Börsenwerts. Ein Blick auf die Kurse der vergangenen Jahre zeigt: Wer hier investiert, muss Schwankungen aushalten. In der realen Wirtschaft ist der Corona-Effekt leicht erklärt: Zu Mindgeek gehören auch Produktionsfirmen – und die mussten ihre Drehs stark zurückfahren.

Das sieht bei anderen Unternehmen aus der Sexbranche ähnlich aus. Die amerikanische RCI Hospitality Holdings betreibt über Tochtergesellschaften Nacht- und Stripclubs sowie Restaurants, in denen auf attraktive Kellnerinnen in knappen Outfits gesetzt wird. Mit dem Corona-Schock gab die Aktie zwischenzeitlich um mehr als 75 Prozent nach. 

Wer an Sex glaubt und investieren will, kann sich mit weniger offensichtlichen Konzernen befassen: Pharmaunternehmen. Auch für sie ist Sex ein Geschäft. Foto: Charles Deluvio.

Wertvoll ist, wer Daten sammelt und verwerten kann

Beide Titel erholen sich derzeit wieder, doch die Performance eines weiteren Players können sie derzeit nicht schlagen: Die Match Group, das Unternehmen hinter Dating-Plattformen wie Tinder, neu.de und OkCupid. Die Match-Aktie verlor zwar ebenfalls rund 45 Prozent an Wert, erreichte im August allerdings ein Allzeithoch und steht stärker da als vor der Corona-Pandemie.

Lohnt sich die Investition in das Sex-Business nun? Der Blick auf die drei Konzerne macht klar: Internetunternehmen sind während einer Pandemie potentiell robuster als solche, die auf direkte Interaktion mit Kund*innen setzen. Und sie haben einen weiteren Vorteil: Sie sammeln Daten. Sensible Daten, für die andere Unternehmen hohe Preise zahlen würden und die für die Werbebranche wertvoll sind. Auch Killing Kittens, ein Sexparty-Unternehmen, in das der Britische Staat Teile seines Corona-Hilfsfonds investierte, bezeichnet sich selbst als Soziales Netzwerk mit mehr als 180 000 Mitgliedern in zwölf Ländern.

Negativschlagzeilen sind schlecht fürs Geschäft

Ein Beispiel für den Wert der Daten zeigt die App Grindr, die vor einigen Jahren aus den USA an den chinesischen Konzern Beijing Kunlun verkauft worden war. Grindr ist eine Dating-App für Homo-, Bi- und Transsexuelle. Das amerikanische Committee on Foreign Investment in the United States hatte den Rückverkauf erzwungen, da mit der App sensible Daten verkauft worden waren, unter anderem über den Wohnort und den HIV-Status. 

HIV-Daten hatte das Unternehmen bereits weitergegeben, angeblich handelte es sich um menschliches Versagen. Nutzer*innen und Investor*innen können sich jetzt also überlegen, was schlimmer ist: einen gigantischen, sensiblen Datensatz zu verkaufen oder ihn, wie das Unternehmen offiziell behauptet, aus Dummheit zu verschludern. 

Auch Streaming-Dienste wie PornHub geraten immer wieder in die Kritik. Videos von Vergewaltigungen und mit Minderjährigen würden nicht schnell genug entfernt. Solche Verstöße sind ein gesellschaftliches und juristisches Problem. Fehler dieses Ausmaßes können Straftatbestände erfüllen und eine stärkere Regulierung begründen. Das Risiko für Investoren ist hier moralischer und wirtschaftlicher Natur gleichzeitig.

Den Begriff Sexual Wellness sollten Anleger*innen kennen, denn eine Investition in Sex ist oft auch eine Investition in wertvolle Daten. Foto: Nik Nikolla.

Alternative: Sexual Wellness aus der Medizin

Wer an Sex glaubt und investieren will, kann sich mit weniger offensichtlichen Konzernen befassen: Pharmaunternehmen. Auch für sie ist Sex ein Geschäft. Die Firma AMAG Pharmaceuticals will mit Bremelanotid ein Mittel auf den Markt bringen, das die Lust bei Frauen in den Wechseljahren steigert – dies allerdings mit unangenehmen Nebenwirkungen wie Übelkeit. Slidanfil, bekannt unter dem Handelsnamen Viagra, stammt vom Pharmariesen Pfizer. Pillen für die Lust standen und stehen allerdings immer wieder in der Kritik: Pharmakonzerne würden Krankheiten erfinden, um einen Markt für diese Präparate zu schaffen.

Dürfen Investor*innen nun prüde sein? Grundsätzlich schon, denn es gibt genügend Alternativen abseits des Sex-Business. Die Analyse der Unternehmen zeigt gleichzeitig, dass Investor*innen bei dieser Frage gar nicht ankommen. Solange die Konzerne regelmäßig wegen Fehlern und Fehlverhalten in die Kritik geraten, bleibt die Investition riskant. Renditechancen sind vorhanden, setzen aber, stärker noch als in anderen Branchen, eine sehr gute Kenntnis des Marktes, des politischen Umfelds und des Geschäftsmodells eines konkreten Unternehmens voraus. Hochrelevant wird in der Zukunft der Umgang mit sensiblen Daten sein. In dieser Entscheidung liegt das eigentliche moralische Dilemma für Investor*innen: Daten sind nur dann wertvoll, wenn das Unternehmen sie gewinnbringend einsetzt – oft also gegen die Interessen der Nutzer*innen.