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Foto: ThisIsEngineering.

Daten nutzen statt Daten schützen

Wer lebt, produziert Daten. Diese Daten schützen wir. Doch wer den Zugang beschränkt, der behindert die Bekämpfung wichtiger Probleme wie Krebs, Alzheimer, Klimawandel etc. Tatsächlich ist die Gesellschaft längst nicht so innovativ, wie die Menschen denken. „Wir leiden an Gegenwartseitelkeit, sagt Thomas Ramge. Er will stattdessen die Nutzung regulieren, damit Forschung und Fortschritt freie Bahn bekommen.

Mehr Datenschutz bedeutet, dass der Balken im Browser dicker wird. Mehr Datenschutz bedeutet momentan, dass Menschen noch etwas mehr Text ignorieren müssen, bevor sie den Balken gedankenlos wegklicken. Europa hat mit seinen Datenschutzgesetzen etwas Neues geschaffen, das ein Vorbild für alle sein sollte. Doch die Erneuerungen sorgen für Unmut. Heimische aufstrebende Unternehmen sind mit den Regeln überfordert. Internationale Konzerne haben sich in kürzester Zeit rechtssichere Einverständniserklärungen schaffen lassen, mit denen sie nun die gleichen Daten sammeln können wie zuvor auch. Und die Daten der Menschen? Die liegen in gigantischen Datenbanken, sicher weggeschlossen vor der Gesellschaft. Das könnte viel besser gestaltet sein. Fortschrittlicher und fortschrittsfreundlicher.

Thomas Ramge & Viktor Mayer-Schönberger wollen großen Datentöpfe in Ermächtigungsmaschinen wandeln, Informationsasymmetrien bekämpfen und mehr Lebensglück für alle schaffen. Foto: Thomas Ramge.

So, wie die Datenschutzgesetze derzeit gestaltet sind, behindern sie den Fortschritt, kritisieren Thomas Ramge, Tech-Autor und Research Fellow am Center of Advanced Internet Studies NRW, und Viktor Mayer-Schönberger, Professor für Internetregulierung an der Oxford University. In ihrer Arbeit setzen sie sich seit Jahren für einen anderen Umgang mit der digitalen Welt ein. Ihre These zum Datenschutz vertreten sie im Buch „Machtmaschinen – Warum Datenmonopole unsere Zukunft gefährden und wie wir sie brechen“.  Sie wollen die großen Datentöpfe in Ermächtigungsmaschinen wandeln, Informationsasymmetrien bekämpfen und mehr Lebensglück für alle schaffen. Die Grundlage: eine Datennutz-Grundverordnung.

Das Ziel: „Wir wollen, dass mehr Innovatoren Zugang zu Daten bekommen, um bessere technische Lösungen zu finden, als jene, die wir heute kennen“, sagt Thomas Ramge. Ich habe ihn angerufen und nachgefragt.

Herr Ramge, in Ihrem Buch „Machtmaschinen“ plädieren Sie für einen öffentlichen Datenraum. Müssen wir Angst vor Ihnen haben?

Nein. Sorgen sollte uns eher die jetzige Situation machen: die extreme Ungleichverteilung von Daten zwischen amerikanischen und zunehmend chinesischem Big-Tech-Unternehmen und uns. 

Aber wir haben doch unsere Datenschutzgesetze.

So wie der Datenschutz in Europa gestrickt ist, hat er die Machtasymmetrien verstärkt. Die komplizierten Regeln der DSGVO haben dazu geführt, dass die amerikanischen Unternehmen viel besser damit zurechtkamen als europäische Mittelständler. Der Wert europäischer Unternehmen sinkt relativ zum Wert der datenreichen Unternehmen außerhalb Europas dramatisch. Europa ist es in den vergangenen zwanzig Jahren nicht gelungen, beim großen Datenspiel mitzumachen. Wenn wir die Ressource „Daten“ verfügbar machen, nach unseren Regeln, dann haben wir die Chance, diesen Trend zu stoppen oder idealerweise umzukehren.

„Den großen Plattform-Unternehmen gelingt noch immer die Erzählung, sie seien innovativ. Aber objektiv betrachtet sind sie es nicht.“

Was wollt ihr ändern?

Unser Vorschlag ist eine Innovation des Wettbewerbsrechts. Das alte Wettbewerbsrecht hatte die Idee, dass Unternehmen zerschlagen werden müssen, wenn sie zu groß werden. Das funktioniert heute nicht mehr. Ein neues Wettbewerbsrecht können wir nur von Europa aus schaffen, indem wir die wichtigste Ressource, die Wettbewerb ermöglicht, die Daten, öffnen. So machen wir aus Machtmaschinen in den Händen weniger Personen Ermächtigungsmaschinen für alle. 

Damit findet die Informationstechnologie wieder zu ihrem Bestimmungszweck zurück: mehr Menschen Zugang zu Informationen verschaffen, damit sie bessere Entscheidungen treffen können, mehr Einsichten gewinnen und den Fortschritt voranbringen.

Aber gerade klappt es doch ganz gut mit dem Fortschritt.

Wir leiden unter Gegenwartseitelkeit. Wir glauben nur, dass wir in unglaublich innovativen Zeiten leben. Doch was gerade passiert, ist nicht besonders innovativ im Sinne eines Fortschritts. Hierfür definieren wir Fortschritt als das größtmögliche Glück für möglichst viele Menschen. Den großen Plattform-Unternehmen gelingt noch immer die Erzählung, sie seien innovativ. Aber objektiv betrachtet sind sie es nicht. Seit einigen Jahren passiert im Silicon Valley und in Seattle nicht mehr viel. Die Big-Tech-Unternehmen gründen ihre Macht auf den Modellen, die sie im letzten Jahrhundert oder in den Nullerjahren geschaffen haben. Und mit diesen weiten sie ihre Macht immer weiter aus. 

„Eine konsequente Öffnung der Datenzugangsrechte für alle, die bessere Lösungen suchen, ist der richtige Weg.” Foto: Thomas Ramge.

Macht ist eine der Grundlagen eurer Argumentation. Wo liegt das Problem?

Es wird immer dann gefährlich, wenn sich Wissen so konzentriert, dass andere Marktteilnehmer keine Chance haben, ebenfalls Wissen zu generieren. Diese Situation haben wir inzwischen bei vielen digitalen Märkten. Macht ist nach dem Soziologen Max Weber eine Situation, in der die eine Partei die andere zu etwas zwingen kann. In genau dieser Situation befinden wir uns. 

„Wir wollen, dass Daten ein digitales Gemeingut werden. Wir wollen, dass mehr Innovatoren Zugang zu Daten bekommen, um bessere technische Lösungen zu finden als jene, die wir heute kennen.”

Wozu können Unternehmen uns zwingen?

Die Corona-Apps sind ein gutes Beispiel dafür, wie sich Macht verschoben hat. Es gab eine politische Diskussion, ob die Corona-App eher datenreich gestaltet werden soll, so dass auch Epidemiologen aus diesen Apps Erkenntnisse zur Bekämpfung der Pandemie ziehen können. Und es gab die Fraktion, die Datensparsamkeit forderte. Dann haben Apple und Google die erste Option vom Tisch genommen, weil sie angekündigt haben, nur extrem datensparsame Corona-Apps in ihre Stores aufzunehmen. Was natürlich nicht heißt, dass sie selbst nicht viel mehr Daten sammeln.

Lassen Sie uns eine Nummer kleiner denken: Warum sollte ein Energieversorger einen offenen Datenraum wollen? Oder ein Unternehmen wie Zalando? Sie teilen damit auch die Basis ihrer Macht. 

Ja, das stimmt, aber sie bekommen Zugang zu anderem Wissen. Dahinter steht die Frage: Wie entsteht mehr Fortschritt? Indem ich Wissen teile oder indem ich es exklusiv halte? Die Mischung macht es. Wir wollen nicht, dass Daten als Geschäftsgeheimnisse preisgegeben werden oder den Patentschutz aufheben. Unternehmen sollen auch nicht ihre Algorithmen offenlegen müssen. Wir wollen aber, dass die Daten, vor allem jene, die durch Interaktion mit anderen entstehen, ein digitales Gemeingut werden. Wir wollen, dass mehr Innovatoren Zugang zu Daten bekommen, um bessere technische Lösungen zu finden als jene, die wir heute kennen. 

Was haben die Menschen davon?

Der Nutzen von Daten entsteht durch ihre Nutzung. Deswegen braucht die Europäische Datenschutz-Grundverordnung eine Ergänzung: die Europäische Datennutz-Grundverordnung. Sie kann einen Neustart bedeuten. Hin zu einem Europa, das in seiner ganzen Diversität mit diesen vielen klugen Köpfen, die wir überall haben, den Fortschritt voranbringt, indem sie die wichtigste Quelle des Fortschritts,die Daten, all jenen zugänglich machen kann, die sie benutzen können: ImpfstoffEntwickler, Entwickler erneuerbarer Energiesysteme, Menschen, die an der Bekämpfung von Krebs oder Alzheimer forschen. Darin ist Europa bislang nicht sehr gut. 

“So wie der Datenschutz in Europa gestrickt ist, hat er die Machtasymmetrien verstärkt. Die komplizierten Regeln der DSGVO haben dazu geführt, dass die amerikanischen Unternehmen viel besser damit zurechtkamen als europäische Mittelständler.” Foto: Pixabay.

„Eine konsequente Öffnung der Datenzugangsrechte für alle, die bessere Lösungen suchen, ist der richtige Weg.”

Was soll in der Datennutz-Grundverordnung stehen?

Unternehmen, die an dem europäischen Markt teilnehmen wollen, müssen einen Teil ihrer Daten anonymisiert jenen Unternehmen zugänglich machen, die diese Daten anfordern. Im Fall des autonomen Fahrens könnte ein kleines Unternehmen dann Daten abfragen, mit denen diese Autos trainiert werden. Im Gesetz sollte aber auch stehen, dass die Nationalstaaten und Europa im Bereich Open Government Data endlich kompetent und teilungsbereit werden müssen.

Wie kann in der Zukunft ein idealer Umgang mit Daten aussehen?

Ein Gedankenexperiment wäre eine vollkommen offene Datenwelt: Alle haben Zugang zu allen Daten,ausgenommen der personenbezogenen. Das wäre spannend. Eine Daten-Allmende würde vermutlich viele alte Unternehmen in die Bredouille bringen, weil neue Konkurrenten die dann allen zugänglichen Daten intelligenter nutzten. Die Frage ist: Wäre das Neue, das dann entsteht, besser als das, was wir haben?

Wäre es?

Das weiß niemand. In Studien ist klar belegt, dass es mehr Innovation gibt, wenn wir Informationen und Wissen teilen. Momentan versuchen wir in Europa vor allem mit Datenschutz den Zugang zu Daten zu verknappen. Die offensive Antwort wäre: Gib die Daten frei, aber bestrafe jeden hart, der sie missbraucht. Eine konsequente Öffnung der Datenzugangsrechte für alle, die bessere Lösungen suchen, ist der richtige Weg.

Über die Interviewpartner:

Thomas Ramge ist Technologie-Autor bei brand eins und The Economist sowie Research Fellow am Center of Advanced Internet Studies (CAIS NRW). Seine Bücher und Texte wurden mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Zuletzt erschien von ihm „Postdigital. Wie wir künstliche Intelligenz schlauer machen, ohne uns von ihr bevormunden zu lassen“.

Viktor Mayer-Schönberger ist Professor für Internetregulierung an der Oxford University, zuvor war er zehn Jahre lang Professor in Harvard. Im Deutschen Digitalrat berät er die Bundesregierung zur Datenpolitik. Er ist Autor der Weltbestseller „Delete“ und „Big Data“.