facebook-likehamburgerlupeoverview_iconoverviewplusslider-arrow-downslider-arrow-leftslider-arrow-righttwitter

Bild: The Sleeping Beauty, John Collier

Dating Fatigue: Hast Du Tinder durchgespielt?

Alle kennen sie, gefühlt jede*r nutzt sie: Dating-Apps. Doch wie hilfreich sind Dating-Apps bei der Suche nach der großen Liebe? Und geht das alles wirklich so viel besser als im analogen Leben?

Um zu Beginn dieses Artikels ehrlich zu sein: Ich habe noch nie eine Dating-App heruntergeladen oder benutzt. Ich bin irgendwie drum herumgekommen. Weil sich immer auch „so“ irgendwas ergeben hat. Mit „so“ meine ich: Ich bin ausgegangen, habe einen Menschen getroffen, es hat gepasst, später gefunkt, jetzt sind wir zusammen. Tada, Jackpot. Jedenfalls hatte ich, was die Partner*innensuche offline angeht, bisher zweimal krasses Glück, wenn man so will.

Aber für viele andere läuft das „so“ eben nicht oder sie wollen das „so” auch gar nicht und das nicht erst spätestens seit der Pandemie. Obwohl Dating-Apps wie Tinder, Lovoo, Bumble, OKCupid, Grindr (um nur die Bekanntesten zu nennen) das Leben von schüchternen Menschen einfacher gemacht zu haben scheinen, kommen auch ihre Benutzer*innen langsam an ihr Limit. Statt Swipe-Lust übernimmt die Lustlosigkeit. Von „Dating Fatigue“ ist auch im neuen Buch der französischen Journalistin Judith Duportail die Rede. Sie beschreibt die Lustlosigkeit, diese Apps, obgleich immer dabei, immer noch darauf angemeldet, wirklich zu nutzen. Woran liegt das?

Obwohl Dating-Apps wie Tinder, Lovoo, Bumble, OKCupid, Grindr das Leben von schüchternen Menschen einfacher gemacht zu haben scheinen, kommen auch ihre Benutzer*innen langsam an ihr Limit. Foto: Yoann Boyer

Der Anfang vom Ende

Ganz neu ist das Phänomen nicht. Ein Artikel in „The Atlantic“ von 2016 beschreibt bereits das erste Aufkommen dieser Dating Fatigue. Die Müdigkeit oder der Burn-Out (Fatigue (frz.): Müdigkeit), an dem so viele der Benutzer*innen von Dating-Apps zu leiden scheinen, macht sich immer mehr bemerkbar. Immer weniger Menschen haben Lust, in diese „ach so einfache Art“ des Datings mehr Zeit zu investieren, weil es sich kaum noch lohnt.

Gründe dafür, so eruiert „The Atlantic“-Autorin Julie Beck mit ihren Gesprächspartner*innen, sind gar nicht so leicht zu erfassen, obwohl jede*r seine eigenen benennen kann. Und doch herrscht Konsens bei mindestens einem Aspekt: Man steckt viel Arbeit und Zeit ins Dating via Tinder, OkCupid und Co. und meist kommt dabei nur wenig oder nichts zustande. Oder zumindest nicht das, was sich die meisten von Becks Gesprächspartner*innen wünschen: eine langfristige, ernsthafte Beziehung.

Oft kommt das Gespräch auf die vermeintliche „Effizienz“ der Apps. Man würde schnell den oder die Richtige*n finden. Ist das eigentlich noch aktuell? Und war das jemals so leicht? Wir erinnern uns: Man swiped den nach links, die nach rechts, die wieder nach links und einen nächsten wieder nach rechts. Und auf einmal hat man einen Stapel voll mit Profilen, von denen sich mal jemand meldet oder auch nicht.

Immer weniger Dating-User*innen haben Lust, viel Zeit in Dating-Apps zu investieren, weil es sich kaum noch lohnt. Laut Geo Wissen verbringt der typische User immerhin 12 Stunden pro Woche mit dem „Sichten” von Profilen. Bild: Caleb Russel

Natürlich hängt die Erfolgsquote dieser Apps auch ganz stark davon ab, wie man sie benutzen möchte oder wofür man sie benutzt. Schnelle Bekanntschaften, die in unverbindlichem Sex enden, davon hört man viel, wenn man mit Freund*innen über Dating-Apps (Paradebeispiel Tinder) spricht. Klar, dafür ist der schnelle Swipe erfolgversprechend. Und das ist auch nicht im Geringsten verwerflich, wenn man(n) (oder Frau) das will. Übrigens ist es an dieser Stelle spannend zu erwähnen, dass nur etwa 32 % der Nutzer*innen von Dating-Apps in Deutschland Frauen sind, wie eine Infografik der Vergleichsplattform Zu zweit zeigt.

Genauso spannend ist die Frage, wie oft es bei einem solchen Match auch wirklich zu „gutem“ Sex kommt. Diese Studie müsste man vielleicht noch in Auftrag geben. Anyone? Vielleicht bleibt es bei den richtig guten One-Night-Stands dann auch nicht bei einem Mal? So oder so bleibt die Frage, wie oft aus solchen Matches auch wirklich eine echte Verbindung, die in einer Beziehung endet, entsteht?

Effizienz ist das Gegenteil von Liebe

Auch da sind ich oder Teile meines Umfelds ein schlechtes Beispiel für Misserfolg: Ich habe in meinem Freundeskreis mindestens drei Personen, die ihre Partner*innen über eine Dating-App kennengelernt haben und die sind sogar mittlerweile alle verheiratet. Daher mag die Ausbeute gar nicht so schlecht (gewesen) sein. Und zumindest lernt sich ein Drittel der Paare über Online-Dating kennen.

Aber warum gehen dann so viele Menschen leer aus? Vielleicht sind einfach keine „guten“ Matches mehr verfügbar? Alle schon weg? Alle ausverkauft? Keine „Ware mehr auf Lager“? Selbst dann nicht, wenn man auf mehreren Plattformen angemeldet ist? Oder wie es im „The-Atlantic”-Artikel heißt: „What if everyone who was going to find a happy relationship on a dating app already did? Maybe everyone who’s on Tinder now are like the last people at the party trying to go home with someone.”

Es lernt sich zwar ein Drittel der Paare über Online-Dating kennen, doch trotzdem gehen viele Menschen leer aus. Bild: Oscar Keys

Was übrig bleibt, ist die große Auswahl von potenziellen Dates, von denen der eine oder die andere vielleicht so gar nicht genau wissen will, ob es sich lohnt. Denn es sind zu viele, die man durchswipen muss, und ein Überangebot erschwert ja bekanntlich den Entscheidungsprozess. Die schiere Menge der Profile und Möglichkeiten, die sich einem bieten, wirkt derweil eher abschreckend und die vielen Stunden, die die Benutzer*innen dieser Apps ohne nennenswertes Outcome investieren, haben beinahe schon Bullshit-Job-Charakter. Laut Geo Wissen verbringt der typische User immerhin 12 Stunden pro Woche mit dem „Sichten” von Profilen.

Das ist wirklich viel Zeit und Arbeit ohne die Garantie, dass es bei einem oder einer passt. Und wenn wir Deutschen etwas wirklich lieben, ist es eine Garantie. Aber vielleicht gibt es noch jemand besseren hinter dem nächsten Swipe? Und da geht sie hin, die Sicherheit. Man swiped und swiped und geht am Ende des Tages müde, frustriert und zumeist auch alleine ins Bett. Nicht gerade effizient – und wenn die Suche nach einem oder einer Partner*in schon Arbeit ist, sollte sie doch effizient gestaltet sein, oder?

Die Zukunft der Apps – wie soll es weitergehen?

Natürlich klingt das alles nicht wirklich optimistisch. Aber vielleicht liegt das gar nicht mal unbedingt an den Apps selbst, sondern an der Art, wie die Menschen sie benutzen und vielleicht auch daran, welche Menschen sie verstärkt nutzen. Darüber hinaus sind die Dating-Apps selbst auch gar nicht unbedingt daran interessiert, dass jeder mit wenig Aufwand den/die perfekte*n Partner*in findet. Denn dann würden sie ja früher oder später das eigene Anzeigengeschäft (zer)stören.

Wird es daher vielleicht ein Comeback des „Real life“-Datings geben? Oder sind wir zu gefangen in der Welt der Algorithmen und die Digitalisierung mittlerweile zu sehr ein Teil unseres alltäglichen Soziallebens? Vertrauen wir bald wieder mehr auf den Zufall oder doch auf eine Weiterentwicklung der Apps?

Wird es ein Comeback des „Real life“-Datings geben? Bild: Cezar Sampaio

Laut Business Insider arbeiten Forscher der Universitäten Helsinki und Kopenhagen derzeit an einer KI, die es noch einfacher machen soll, den oder die Richtige*n zu finden. Mithilfe der Messung von Neuronenaktivität beim Anblick einer Datenbank von 200.000 fiktiven Gesichtern fanden die Forscher bei einer Testgruppe von 30 Proband*innen heraus, welche äußerlichen Merkmale diese besonders attraktiv finden. Eine KI soll im nächsten Schritt eine Datenbank von Bildern nach diesen Gehirnaktivitäten sortieren und die „Profile“ vorschlagen, die wirklich zu den Vorstellungen der Proband*innen passen. Aber auch der Tinder-Algorithmus checkt nach einer Weile, welchen „Datingtyp” die Benutzer haben. Kann es denn noch präziser werden?

Aber wie nimmt man denn jemanden wahr, der wirklich zu einem passt? Bisher beschränken sich Dating-Apps und auch der beste Algorithmus rein auf die äußerlichen Merkmale von Attraktivität: Haarfarbe, Augenfarbe, schlank oder mehrgewichtig. Wenn man sich vor seinem Porsche ablichtet, kann man(n) natürlich auch den Kontostand dokumentieren. Charakterzüge, Humor oder auch emotionale Intelligenz der „Traumfrauen und -männer“ sind dabei noch nicht berücksichtigt. Das ist „in etwa so, als solle ein Mensch beurteilen, ob er ein Fertiggericht mögen werde, wenn er nur die Kalorienangaben und die Liste der Zutaten auf der Verpackung lesen „darf“, heißt es bei Geo Wissen. Kein schlechter Vergleich.

Das macht Dating-Apps für mich persönlich einfach erst einmal nutzlos, wenn es darum geht, jemanden zu finden, mit dem ich zusammen sein will. Aber wer weiß, vielleicht findet man ja auch einen Weg, diese gar nicht mal so unwichtigen Dinge mit in die Online-Partnersuche einzubeziehen.

Bis dahin kann man ja etwas achtsamer tindern, ausschlafen oder vielleicht mal wieder in eine Bar gehen.