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Der Beziehungstrend LAT und die Technologisierung von Romantik

LAT – „living apart together“ – ist ein Beziehungstrend, bei dem sich Paare bewusst gegen das Zusammenwohnen entscheiden. Auch Fernbeziehungen können dank neuester Technologie immer einfacher realisiert werden. Doch wie führt man überhaupt in Zeiten von Skype, WhatsApp und Co. eine „richtige“ Beziehung?

Der Ausdruck „living apart together“ geht auf den niederländischen Journalisten Michel Berkiel zurück, welcher ihn in einem Artikel der Haagse Post 1987 erstmals erwähnte. Er beschreibt Paare, die sich bewusst gegen einen gemeinsamen Wohnraum entscheiden. Seitdem findet der Begriff vor allem in den Sozialwissenschaften Anwendung. Das LAT-Modell setzt nicht unbedingt – wie es bei einer Fernbeziehung der Fall ist – eine größere Distanz zwischen den Partner*innen voraus: Manchmal reicht auch ein Häuserblock, eine Straße oder sogar nur ein einziges Stockwerk zwischen den beiden Wohnungen aus.

Laut einer Studie der Berliner Humboldt-Universität stieg die Zahl der Partnerschaften mit LAT als dauerhaftem Beziehungsmodell in Deutschland zwischen 1992 und 2006 vor allem bei Partner*innen, die 38 Jahre oder älter sind, um mehr als 70 Prozent an. Bei jüngeren Altersgruppen stellt das LAT-Modell meist nur einen Übergangszustand dar.

Gemäß dieser Studie geht diese Verteilung vor allem darauf zurück, dass Frauen LAT als dauerhafte Beziehungsform bis zum hypothetischen Ende ihrer Reproduktionsfähigkeit mit 45 Jahren als ungünstig für die Familiengründung und -führung empfinden. Partner*innen ab einem Alter von etwa 38 bis 40 Jahren nehmen das LAT-Modell oft als angenehmer und stressfreier wahr, da sie in zuvor geführten Beziehungen bereits Erfahrungen bezüglich des Lebens in einer gemeinsamen Wohnung gesammelt haben. Zudem ist die Familienplanung in diesem Lebensabschnitt häufig schon abgeschlossen und eine Beziehung wird nur noch selten von diesem Faktor bestimmt.

Foto: Min An

Während LAT-Beziehungen mittlerweile hauptsächlich aus der bewussten Entscheidung von älteren Paaren gegen das Zusammenleben mit dem/der Partner*in entstehen, bleibt bei Paaren in einer Fernbeziehung oft der bittere Beigeschmack der Sehnsucht und Unfreiwilligkeit. Es sei jedoch anzumerken, dass in diesen Fällen meistens die Aussicht auf eine gemeinsame Zeit nach dem Studium oder dem Abschluss der Ausbildung besteht.

Einsam gemeinsam oder allein zu zweit?

Zeit ohne den/die Partner*in – sei diese nun eine bewusste Entscheidung oder nicht – haben beide Modelle gemein. Immer häufiger vertreten Pärchen, die einem dieser Konzepte folgen, die Meinung, dass eine Beziehung ohne gemeinsame Wohnung mehr Vorteile als Nachteile bietet. Dass man sich nur an den Wochenenden oder sogar noch seltener sehen könne, scheint kein allzu großes Problem zu sein.

Menschen in einem LAT-Verhältnis vermeiden gewissermaßen den Beziehungsalltag, mit dem sich zusammenwohnende Paare herumschlagen müssen: Müll runterbringen, abspülen, aufräumen, Anrufe von der Schwiegermutter und Marotten des/der Partner*in. Da erscheint es natürlich verlockend, sich nur den besten Aspekten einer Beziehung zu widmen – immer dann, wenn beide sich bewusst Zeit nehmen und den Alltagsstress hinter sich lassen.

Foto: Jonathan Pendleton

Wenn Frauen die Miete selbst bezahlen können

Mit der steigenden finanziellen Unabhängigkeit von Frauen wurde im Laufe der Zeit zunehmend die Notwendigkeit eines gemeinsamen Wohnortes in Frage gestellt. Eine freiwillige LAT- oder Fernbeziehung ist nicht zuletzt auch von der ökonomischen Situation der jeweiligen Partner*innen abhängig. Derartige Beziehungen führen kann nur jemand, der es sich auch leisten kann: Man bedenke nur den regelmäßigen Kauf von Zug- oder Flugtickets, zwei Mieten, Mobiliar in zweifacher Ausführung, zwei Stromrechnungen, getrennte Wasserkosten und vieles mehr.

Das Internet hingegen kostet fast nichts mehr – außer Datenvolumen. Das macht eine LAT- oder Fernbeziehung wiederum um einiges leichter als früher: Durch die vielfältigen Möglichkeiten der kostenlosen und ständigen Kontaktaufnahme – insbesondere sei hier die Videotelefonie (Skype, FaceTime und Co.) hervorgehoben – ist es trotz Distanz möglich, einander nahe zu sein. Lange Fahrten oder Flüge und die damit verbundenen Kosten gehören der Vergangenheit an. Auch die oft schwierige Vereinbarung von zwei verschiedenen Lebensstilen lässt sich auf diesem Wege erst einmal umgehen, schließlich kann es durchaus sein, dass ein/eine Partner*in das Stadtleben bevorzugt, der/die andere aber eine ländlichere Wohngegend. Einen Kompromiss zu finden, ist oft schwer und kostet in aller Regel Geld und Nerven.

Foto: Daria Nepriakhina

Digitale Liebe verändert unsere Beziehungsmuster

Morgens zusammen über FaceTime die Zähne putzen, mittags gemeinsam essen, zwischendurch schreiben über WhatsApp und abends Filme schauen inklusive (Selbst-)Befummelei über Skype. Alternativ auch intime Zweisamkeit repräsentiert durch WoW-Avatare – das alles sind Beziehungsrituale, die gerade einer Fernbeziehung auch ohne persönliche Präsenz des/der Partner*in Stabilität verleihen können. Sein Abendessen vor der Laptop-Kamera zu verspeisen oder vor eben dieser einen Striptease hinzulegen, mag natürlich zunächst etwas befremdlich sein.

Mit der fortschreitenden Technologisierung unseres Alltags haben sich unsere Beziehungsmuster ohnehin bereits deutlich verändert: Dank ortsunabhängigem Highspeed-Internet – das behaupten zumindest Telekom, Vodafone und Co. – ist unser Liebes-WLAN immer und überall verfügbar. Die Technologie ist in Fernbeziehungen immer häufiger dafür zuständig, dort Nähe zu vermitteln, wo noch zu Zeiten unserer Eltern schmerzliche Sehnsucht gepaart mit Angst vor der nächsten Telefonrechnung präsent war. Schickten sich Meg Ryan und Tom Hanks im Jahre 1998 noch E-Mails hin und her, so ziehen wir heute alle Register, um unseren einsamen, aber doch irgendwie gemeinsamen Alltag auf digitale Art und Weise zu romantisieren.

Mit dem erhöhten Aufkommen solcher Kurz- und Langstreckenpartnerschaften wird der Markt nur so überschwemmt von Apps und Gadgets, die einzig und allein zum Ziel haben, getrennt voneinander wohnende Paare digital näher zu bringen: Minivibratoren für Männer und Frauen, die sich über Handy-Apps steuern lassen, sorgen auch über weite Entfernungen hinweg für prickelnden Spaß. Dank der weichen Silikonkissen auf der Vorderseite des Kissenger-Gadgets lassen sich Küsse übertragen und es gibt sogar Apps, die das nervige Zählen der gemeinsamen Jahre, Monate und Tage übernehmen – damit man sich auf wichtigere Dinge konzentrieren kann und trotzdem den Jahrestag nicht übersieht.

Foto: Zane Lee

Und wenn sie nicht gestorben sind, dann skypen sie noch heute!

Das alles, um die getrennte Zeit voneinander mit so viel Liebe, Nähe und Erotik zu füllen wie nur möglich. Wenn es letztlich nur wieder darum geht, die tatsächliche Nähe durch eine digitale zu ersetzen – warum zögern dann viele Paare den Part des Zusammenlebens so weit hinaus oder verzichten womöglich vollständig darauf?

Forschungen haben ergeben, dass Paare, die ihre Zeit selektiver miteinander verbringen, länger glücklich sind als solche, die jeden Tag zusammen sind. Die gemeinsame Zeit bleibt durch die Entfernung im Alltag etwas Besonderes, Sex und Intimität ein kostbares Gut, das intensiver ausgekostet wird. Die genannten Apps und Gadgets helfen während der getrennten Zeit aus, vermeiden wöchentliche Reisen und ermöglichen den Partner*innen auf diese Weise ein selbstbestimmteres Leben. Ob wir in Zukunft dazu neigen werden, im Zeichen gesteigerter Effizienz und Selbstoptimierung gänzlich auf physische Nähe zu verzichten und ausschließlich auf digitale Liebe setzen? Bereits im Kompendium „Digitale Partnerschaft“ wurden Vermutungen angestellt, wie zwischenmenschliche Bindungen in naher und ferner Zukunft aussehen könnten. Auch unser Liebes- und Beziehungsleben kann sich in einer Welt, in der das alltägliche Leben immer mehr von Technologien durchdrungen wird, diesen nicht entziehen. Mit Algorithmen wird es in Zukunft immer leichter, nicht nur potenzielle Partner*innen zu finden, sondern auch das ideale Beziehungsmodell zu entdecken. Aufgrund der stetig präsenter werdenden Verschmelzung von Realität und Virtualität wird es wohl irgendwann keine Rolle mehr spielen, ob man in einer Nah- oder Fernbeziehung lebt – Technologie sei Dank.

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