facebook-likehamburgerlupeoverview_iconoverviewplusslider-arrow-downslider-arrow-leftslider-arrow-righttwitter

In São Paulo tummeln sich Wolkenkratzer mit Privatpools, nur durch eine Straße von Favelas getrennt. Bild: Johnny Miller

Die brutale Dissonanz der menschlichen Ungleichheit auf Drohnenfotos

Manchmal ist es nur eine Straße, die luxuriöse Villen mit Privatpools von Townships oder Favelas trennt. Die Bilder des amerikanischen Fotografen Johnny Miller zeigen schonungslos auf, wie urbane soziale Ungleichheit aussieht – von oben.

Auf der einen Seite sieht man einen Wolkenkratzer mit Privatpools und Tennisplatz, auf der anderen die roten Backsteinhäuser einer Favela im Stadtteil Paraisopolis in São Paulo. Nur eine Straße und ein paar hochgewachsene Bäume trennen die Favela von den Luxuswohnungen. Von der Straße aus könnte man die Swimmingpools und den Tennisplatz wahrscheinlich nicht erkennen, doch die Vogelperspektive versteckt nichts: So sieht soziale Ungleichheit aus.

Südafrika, 2016. Der in Kapstadt lebende amerikanische Fotograf Johnny Miller besorgte sich eine Drohne und fotografierte das Township Masiphumelele und die benachbarte, wohlhabende Gemeinde Lake Michelle. Zu seiner Überraschung geht das Foto mit dem Motiv, was er auf Facebook hochlädt, über Nacht viral. „Meine Facebook-Seite hatte nur 200 Likes, ich habe keine Ahnung, wie das Foto viral gehen konnte“, sagt Miller im Gespräch. Damit ist ein Stein ins Rollen geraten für das bisher erfolgreichste Fotografieprojekt seiner Karriere: Unequal Scenes.

Südafrika – ein geteiltes Land

27 Jahre nach dem Ende der Apartheid sind soziale Ungleichheit und Rassentrennung in Südafrika immer noch die brutale Realität. Die Machtstrukturen haben versagt, jeden Tag gebe es Stromausfälle und zivile Unruhen, die Arbeitslosenquote sei mit 34 % die höchste weltweit, erzählt Miller im Interview.

In Südafrika besitzen die reichsten 3500 mehr als die ärmsten 32 Millionen Menschen – in einem Land mit 60 Millionen Einwohnern. Am Beispiel von Masiphumelele erkennt man, wie ungleich Südafrika bis heute ist: In dem Township verdienen 35 % der Einwohner*innen weniger als umgerechnet 1000 € im Jahr, es fehlt an der Grundversorgung; ungefähr 25 % der Erwachsenen sind mit HIV infiziert und 80 % mit Tuberkulose.

„Für mich fühlt sich Kapstadt wie zwei Städte an, die sich nur für die Arbeit vermischen. Schwarze und weiße Menschen wohnen nicht in denselben Vierteln, sie kaufen nicht an denselben Orten ein, sie gehen noch nicht mal zum selben Strand. Schwarze Menschen sind immer diejenigen, die im Restaurant das Essen servieren und weiße Menschen immer diejenigen, die das Essen serviert bekommen. Wäre ich kein weißer privilegierter Amerikaner, würde sich Kapstadt sehr brutal anfühlen”, sagt Miller.

2016 besorgte der Fotograf Johnny Miller sich eine Drone und fotografierte das Township Masiphumelele und die angrenzende, wohlhabende Gemeinde Lake Michelle in Kapstadt. Das Foto ging über Nacht viral. Bild: Johnny Miller

Die Drohne als demokratisierendes Tool

Die Drohne und sein erstes virales Bild machte Miller zum Aktivisten. Er fotografierte soziale Ungleichheiten auf der ganzen Welt, wurde Forschungsstipendiat für soziale und ökonomische Gerechtigkeit an der London School of Economics und gründete die pan-afrikanische Organisation africanDRONE, die Afrikaner*innen dabei unterstützt, Drohnen für soziale Gerechtigkeit einzusetzen. Aus seinen Bildern, die bereits unzählige Titelseiten schmückten, entstand das fotojournalistische Projekt Unequal Scenes. „Ich musste ziemlich schnell zum Experten für soziale Ungleichheit werden”, lacht Miller im Gespräch.

Soziale Ungleichheit zu fotografieren sei nicht das gleiche, wie Armut festzuhalten, findet Miller. „Historisch war der Fokus immer auf Armut statt auf Ungleichheit, weil Ungleichheit einfach schwerer zu visualisieren war. Die Drohnentechnologie ermöglicht es, beides gleichzeitig zu sehen. Ungleichheit drückt sich auch durch unsere erbaute Umwelt aus und das sind reale, greifbare Beispiele von systematischen Machtstrukturen.”

In den Medien werden Bilder oft verzerrt und gefiltert dargestellt, man muss diese immer wieder kritisch hinterfragen. Die Drohne als nichtmenschlicher Fotograf, so Miller, schaffe durch die Vogelperspektive ein objektiveres Bild, das sonst verborgene Muster aufzeige. Eine Perspektive, die bis dato eher Regierungen und der Elite vorbehalten blieb. „Für mich ist die Drohne ist ein demokratisierendes Tool. Jeder kann eine Drohne fliegen, es ist einfach und billig”, sagt Miller.

Diese Perspektive holt einen aus der Komfortzone heraus, sie eröffnet dem Betrachter einen analytischen Blick, in dem sie Ungleichheit durch das „neutrale” Auge der Drohne darstellt. Manchmal erzeugen die Bilder dadurch Unbehagen und das sollen sie auch, findet Miller. Für ihn ist soziale Ungleichheit genauso eine existenzielle Bedrohung für die Menschheit wie der Klimawandel. Die beiden seien aber keineswegs nur einzeln zu betrachten, im Gegenteil: „Klimagerechtigkeit, soziale Gerechtigkeit und wirtschaftliche Gerechtigkeit sind alle miteinander verwoben. Vor allem in ärmeren Ländern verschärft die Kombination von Klimawandel, Pandemie, Big Tech und der Gig-Economy bestehende Ungleichheiten weiter”, sagt Miller.

Vor dem Rathaus von San Fransico tummeln sich Zelte von Obdachlosen. Die Coronapandemie und die steigenden Immobilienpreise in einer der wohlhabendsten Städte der Vereinigten Staaten haben dafür gesorgt, dass viele sich die Mieten nicht mehr leisten können. Bild: Johnny Miller

Soziale Ungleichheit wächst

Soziale Ungleichheit wächst praktisch auf der ganzen Welt. Für mehr als 70 % aller Menschen geht die Schere weiter auseinander und das nicht nur in ärmeren Ländern, sondern auch in den größten Volkswirtschaften der Welt wie in den USA oder China. In der Reichtumspyramide sind die, die sich im obersten Prozent befinden, immer noch die großen Gewinner. 2020 besaß 1,1 % der Weltbevölkerung 45,8 % des weltweiten Vermögens.

Miller erklärt die immer weiter wachsende Ungleichheit so: „Reiche Menschen werden nicht von ihren Gehältern reich, sondern von ihren Investments und ihren Besitztümern. Untere Einkommensschichten haben keine Investments und ihre Gehälter sind gleich geblieben oder sogar gesunken, während die Investments der Reichen immer mehr an Wert gewonnen haben.”

Die Lösung für soziale Ungleichheit liegt auf der Hand

Ungleichheit ist nicht unvermeidbar, im Gegenteil. Miller sagt, dass Ungleichheit eigentlich ziemlich einfach zu lösen sei. „Die meisten guten Lösungsansätze von Wirtschaftswissenschaftler*innen drehen sich um Steuern. Ein progressives Steuersystem wäre ein guter Ansatz, um zu verhindern, dass das wohlhabendste Segment der Bevölkerung am wenigsten Steuern zahlt. Auch die Einschränkung von Vermögensaufbau durch spekulative Investitionen und Steuern auf finanzielle Transaktionen würden dabei helfen, Vermögen gleicher zu verteilen. Ungleichheit ist ein menschengemachtes Problem, also können wir Menschen es auch lösen.”

Unequal Scenes könnt ihr auch auf Instagram folgen und dort auch mit einer Spende unterstützen.