Vor rund zehn Jahren fügte der Künstler Volker Hermes einem historischen Gemälde eine Gesichtsmaske hinzu. Alsbald sollten hunderte maskierte Kunstwerke folgen.
Durch die Pandemie haben seine beeindruckenden Bildmontagen auf Instagram viele tausende Anhänger gefunden. Im Interview erzählt Volker Hermes uns, wie es zu seiner „Hidden-Portraits”-Serie kam und warum er glaubt, dass wir uns nach der klassischen Malerei sehnen.
Was hat dich dazu bewegt, bekannte Portraits historischer Gemälde zu verschleiern?
Irgendwann ist mir aufgefallen, dass wir uns als Besucher von Museen fast nur auf die Gesichter der Dargestellten konzentrieren. Sympathisch, hübsch, freundlich, grimmig, traurig usw. Damit verpassen wir aber einen großen Teil des Kunstwerkes an sich. Denn im ganzen Bild sind Informationen über die abgebildeten Menschen und die Umstände des Kunstwerkes versteckt, die viel mehr zu sagen haben als ihre Gesichtszüge. Nur wissen wir heute nicht mehr viel darüber. Die Balenciaga Sneaker von heute waren damals ein riesiger Kragen oder pompöse Stoffe. Der einzige Zugang für uns ist aber meist das abgebildete Gesicht, das wir auch ohne das Hintergrundwissen über eine bestimmte Epoche und Gesellschaftsformen begreifen können. Damit haben wir aber nur einen ganz begrenzten Zugang zu dieser Kunst. Und da kam mir die Idee, diesen Zugang mit mit meiner Verhüllung zu blockieren, damit der Fokus sich auch auf andere Details im Bild richten kann. Wenn ich die Bilder nun verfremde, nehme ich nur Elemente aus dem Bild selber, z .B. Stoffe, Schmuck oder andere Details. Ich füge also nichts hinzu, sondern ich bringe einen neuen Twist rein, der eine andere Gewichtung ermöglicht. Nun stehen die Elemente im Vordergrund, die Kunst als Machtdemonstration und Repräsentation einer Elite ausweisen und nicht mehr allein die Individualität.
Du hast die Portrait-Serie bereits vor 10 Jahren angefangen. Auf einmal erregt sie durch die aktuelle Situation weltweites Aufsehen. War deine Arbeit der Zeit voraus oder ist sie einfach nur zufällig jetzt durch die Corona-Pandemie dem Zeitgeist entsprechend?
Vor ein paar Monaten hätte ich darauf geantwortet, dass meine Arbeit und Denkweise einfach mit der Pandemie zusammengefallen sind. Die Leute sehen meine Arbeiten und erkennen sich jetzt dort auf irgendeine Art und Weise wieder. Heute denke ich aber, dass die Wiederentdeckung von alter Kunst tatsächlich wieder ein Anliegen ist. Als wären wir in einer neuen Biedermeierzeit angekommen, in der alles wieder lokaler und selbstbezogener wird. Die Globalisierung ist angehalten, man bleibt zu Hause. Plötzlich werden auch Altmeistergemälde wieder angesehen.
Glaubst du wirklich, dass wir mit einer Maske einen Teil unserer Identität verstecken? Oder wofür steht für dich der Begriff „Hidden Portraits”?
Es geht mir um Identität, aber es geht mir nicht um die Person, die dargestellt wird. Mich interessiert eher die Funktionsweise von Malerei. Wie Malerei Individualität zeigt. Allerdings möchte nicht so malen wie die Altmeister. Ich glaube nicht, dass altmeisterliche Malerei unserer heutigen Gesellschaft entspricht. Wir haben heute eine andere Bilderwelt, andere Materialien und Denkweisen, daher muss auch unsere Malerei anders sein. Aus diesem Grund habe ich mir Photoshop beigebracht, um künstlerisch mit diesen Bilder umgehen zu können.
Wie suchst du eine Vorlage für ein neues Portrait aus? Hast du bestimmte Lieblingskünstler, die dich besonders inspirieren?
Ich bin fast jeden Tag in irgendwelchen Online-Sammlungen unterwegs. Die großen Museen bieten eine Art Open Access an, wo man die Daten hochaufgelöst herunterladen kann. Dabei gehe ich absolut intuitiv vor. Ein Maler, den ich oft bearbeitet habe, ist Anthonis van Dyck. Seine Portraits haben besonders viel mit dem Repräsentationswillen von Kunst zu tun. Die aufwendigen Kostüme und Attribute bieten sich förmlich für eine Überhöhung an. Es gibt aber auch Künstler, die ich nicht bearbeite, wie beispielsweise Tizian und Vermeer. Denn ein wichtiger Teil meiner Arbeit ist, dass sich meine Interventionen glaubhaft in die Gesamtkompositionen einfügen. Auch wenn man bei Bildern wie „Das Mädchen mit dem Perlenohrring” ganz oft drastische Eingriffe mit Photoshop sieht, funktionieren die nie wirklich glaubhaft. Alles wirkt falsch und irgendwie herabwürdigend, wie ein wahnsinniger Bruch innerhalb des Gemäldes. Diese Künstler haben ein Geheimnis in ihren Bildern, das man einfach nicht adaptieren kann. Ich möchte dieses Geheimnis respektieren, genauso wie ich die historischen Gemälde respektiere und nicht zerstören will
Mittlerweile werden historische Kunstwerke oft auf Social Media als Vorlage für Memes verwendet. Spielen deine Portraits auch mit diesem Trend?
Ganz genau (lacht). Es ist nicht immer sehr geschmackvoll und auch nicht immer ein Kompliment an die alte Kunst. Dennoch zeigt es, dass es immer wieder Punkte in diesen alten Bildern gibt, die heute auch noch relevant sind. Meine Arbeiten haben Humor, aber ansonsten nichts mit Memes zu tun.
Viele der Portraits, mit denen du spielerisch umgehst, waren von sehr wohlsituierten Menschen, die sich auch aus Prestige haben porträtieren lassen. Ist der subtile Humor deiner Bilder auch eine versteckte Kritik an diese Idee von Kunst fürs eigene Ego?
Absolut, da stecken viele zeitkritische Aspekte drin. Ich finde, dass das freie Künstlertum heutzutage wieder bedroht ist. Indem ich aufzeige, was Künstler im Auftrag malen mussten, weise ich darauf hin, dass wir uns dort langsam wieder hinbewegen. Ich beziehe auch andere aktuelle Diskurse, wie z.B. die Genderdiskussion mit ein. Wenn man Gemälde nimmt, in denen Frauen eigentlich nur als Dekoration gezeigt werden, kann man nicht von Gleichberechtigung sprechen. Ich spitze das dann auch noch zu, um darauf explizit hinzuweisen. Oder auch Mode als Fetisch. Was Frauen in vielen Zeiten an Einschnürungen und Körperumformungen ertragen mussten, um einem gewissen Schönheitsideal zu entsprechen, war eigentlich reiner Fetisch. Das Interessante dabei ist, dass es noch nicht einmal abwegig aussieht, wenn ich einer Dame auf einem Barockportrait eine Fetischmaske aufsetze. Aber um noch einmal auf die Zeitkritik zurückzukommen: Nur eine kleine herausgehobene Schicht konnte sich übrigens solche Portraits leisten. Von der früheren Gesellschaft, vor der Fotografie, sehen wir quasi nur die Elite. Die Gesichter der anderen Menschen sind vergessen.
Vor kurzem hast du bei einer Versteigerung vom Auktionshaus Christie’s, in der berühmte Werke von Rembrandt und Co versteigert wurde, auch deine Werke präsentieren dürfen. Wie stehst du zur Versteigerung von klassischer Kunst?
Kunst ist ein begehrtes Produkt. Dafür gibt es einen Markt, zu dem so etwas wie Auktionen dazu gehören, was ja grundsätzlich überhaupt nicht verwerflich ist. Das Phänomen der Spekulation lässt sich leider nicht abschaffen. Es scheint ein menschliches Bedürfnis zu sein, wenn auch nicht meins. Ich gehöre aber ja auch irgendwie zu diesem Markt und sehe, dass dort vieles nicht immer schön, aber doch ein Teil unserer Lebensrealität ist.
Wäre es nicht besser, wenn Kunst mehr der Allgemeinheit zur Verfügung stehen würde und weniger dem Kunstmarkt?
Für mich war das Erlebnis mit Christie’s deshalb interessant, weil bei Auktionen viele Kunstwerke erscheinen, die aus privaten Sammlungen kommen und noch nie oder sehr selten gezeigt wurden. Dabei sieht man beispielsweise Werke aus der Renaissance, die man vorher noch nie gesehen hat. Das ist sehr aufregend. Und ich muss zugeben, dass ich es auch toll finde, wenn solche Bilder in privaten Haushalten hängen und mit den Menschen dort leben.
Wie erlebst du den aktuellen Kunstmarkt? Würdest du dir wünschen, dass mehr Menschen ihr Geld in Kunst investieren?
Ich bin ein glücklicher Outsider was den Kunstmarkt angeht. Ich kann dir jetzt nicht von zentralen Vorgängen im großen Rad der Szene oder den riesigen Global Player Galerien berichten, da ich kein Teil davon bin. Es gibt viele Exzesse auf dem Kunstmarkt, die wirklich nicht schön sind. Immer wenn es um Wert geht, geht es gleichzeitig darum, wer ihn bestimmt und wie damit umgegangen wird. Das hat sich von Qualität und Empfindung bereits lange abgekoppelt. Warum einige Bilder wahnsinnig wertvoll sind und andere nicht, das kann ich nur schwer nachvollziehen. Ich finde es aber natürlich wunderbar und im übrigen für mich und alle Künstler auch existentiell, dass Menschen Kunst kaufen, sie wertschätzen und entscheiden, mit ihr zu leben
Was würdest du dir bezüglich klassischer Kunst für die Zukunft wünschen?
Ich wünsche mir eine andere Form der Kontextualisierung von Kunst. Die Kontextualisierung bei großen Blockbuster-Ausstellungen findet oft in Texten neben den Bildern statt, die zwar anekdotenhaft zusätzliche Informationen über den Entstehungshintergrund geben, aber eigentlich nur von den Bildern ablenken und oft nur Gossip sind. Das ist zu wenig, wenn man bedenkt, dass die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen dieser Kunst oft nicht mit den Idealen unseren heutigen Gesellschaft übereinstimmen. Ich finde das sollte thematisiert werden, wenn man die historische Kunst in eine zukünftige Gesellschaft mitnehmen will. Kunst darf nicht zu einer reinen Dekoration oder Wertanlage werden, das haben die Kunstwerke nicht verdient. Sie haben so viel zu erzählen, was relevant und erhellend für unsere Zeit sein kann.
Die ganze Vielfalt von Hidden Portraits könnt ihr auf Instagram entdecken.