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Pride ist ein weltweites Phänomen. Foto:Tanushree Rao

„Die Queere Bewegung muss global denken“

Der Autor und LGBTQI-Aktivist der ersten Stunde Bernd Gaiser war einer der Mitbegründer des ersten Berliner CSD 1979. Die Stonewall-Aufstände und Rosa von Praunheim’s Film “Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Gesellschaft, in der er lebt” waren erste Impulse für seinen Aktivismus. Wir sprachen mit ihm über die Geschichte und die Zukunft der queeren Bewegung.

Herr Gaiser, während der Stonewall-Aufstände Ende der 60er Jahre waren Sie knapp Anfang 20. Wie wurden Sie selbst Aktivist der LGBTQI-Bewegung?

Bernd Gaiser in seiner Wohnung – Foto: Alexander Meron

 Stonewall war die Initialzündung, die Botschaft war “Wehrt euch!”. Von dort ausgehend verbreitete sich das Bewusstsein, dass wir für unsere Rechte kämpfen müssen. Im Jahr 1971 gründete ich die HAW (Homosexuelle Aktion Westberlin) mit. 1973 veranstalteten wir die erste Demo auf dem Ku’damm mit 800 Lesben und Schwulen. “Man hätte euch vergasen sollen”, hat man uns damals nachgerufen. Etwa zur gleichen Zeit kam es zum Tuntenstreit. Äußerlich unauffällige schwule Männer meinten, feminine Männer würden dem Bild des schwulen Mannes schaden. Die Tunten schlugen vor, dass alle den rosa Winkel aus den KZ’s tragen sollten. Daraus ist bei uns die Erkenntnis erwachsen, dass wir nur dann etwas erreichen, wenn wir uns sichtbar machen und nicht mehr verstecken. Es dauerte aber noch sechs Jahre, zum zehnten Jahrestag von Stonewall 1979, als wir in Berlin den ersten CSD organisierten. Das war im Juli 1979. Die zentrale Forderung lautete: “Mach dein Schwulsein öffentlich.” Indem wir uns outeten, war plötzlich eine Öffentlichkeit da für unsere Belange.

 Wie hat ihr Umfeld reagiert? 

Ich arbeitete in einer großen Berliner Buchhandlung. Büchermenschen sind ja liberal und aufgeschlossen. Anfangs haben die mir das gar nicht geglaubt, weil ich sonst so unauffällig war. Einmal hat mich ein Mitbewohner meiner Wohngemeinschaft in meiner Mittagspause geschminkt und so kam ich dann an den Arbeitsplatz. Mein Vorgesetzter hat das natürlich mitbekommen, fand es aber alles sehr mutig und hat mich später sogar zum Filialleiter ernannt. So etwas war ein Ausnahmefall. Lehrer, die sich damals outeten, sind zum Beispiel oft fristlos entlassen worden.

Und die Begründung dafür war der Paragraf §175, der Homosexualität unter Strafe stellte

Nein, dahinter stand eine Theorie der Verführung. Wenn man sich outete, wurde einem das als Werbung für die Homosexualität ausgelegt. Die Idee war, dass Menschen zum Schwulsein verführbar seien, und ein homosexueller Lehrer seine Schüler ja dazu verführen könne. Dazu kam, dass die WHO Homosexualität in den 70er Jahren noch als Krankheit führte. So war das bis 1994.

Bernd Gaiser auf einer CSD-Demonstration in Berlin

Den Paragraf §175 abzuschaffen, war aber ein Hauptziel der Bewegung? 

An dieser Wahrnehmung waren vor allem die Medien beteiligt. Stern, SPIEGEL, all die großen Blätter machten damals Titelgeschichten über den Paragrafen §175. Der Paragraf wurde nach dem Zweiten Weltkrieg auch nur deshalb in das Grundgesetz mit aufgenommen, weil das Justizsystem noch von Nazi-Juristen dominiert war.

Was änderte sich nach seiner Abschaffung? 

Die Entkriminalisierung war natürlich die Voraussetzung dafür, dass wir uns nicht mehr verstecken mussten. Aber hatte der Paragraf hatte eine nachhallende, traumatisierende Wirkung. Ich kenne noch heute schwule Männer in Pflegeheimen oder Seniorenstätten, die Angst haben, ihr Schwulsein öffentlich zu machen.

 Kommen Sie in Ihrer Arbeit Sie auch in Kontakt mit der jüngeren Generation? 

Ja, das ist sehr wichtig für mich. Kürzlich wurde mir die Ehrenmitgliedschaft des Schwuz auf Lebenszeit verliehen, Mit Urkunde, Krönchen und freiem Eintritt auf Lebenszeit. Wenn ich heute ins Schwuz gehe, merke ich, dass die queere Community auf einem viel breiteren Fundament steht als noch vor 50 Jahren. 

Inwiefern breiter? 

Diverser, vielfältiger. Lesben, Schwule, Transexuelle, Bisexuelle – die Menschen haben ganz unterschiedliche Lebenswirklichkeiten und passen doch zusammen. Da spielt es wirklich keine Rolle, ob sie alt, jung, dick, dünn, krank oder gesund sind. Was sie verbindet ist das Bewusstsein, die politischen Errungenschaften zu bewahren.

Die Queere Community ist ein Vorzeigebeispiel für gesellschaftliche Vielfalt. Foto: CSD New York von Brian Kyed

 Worin sehen Sie heute die größten Herausforderungen für die queere Bewegung?

Transexuelle spielen heute die gleiche Rolle wie wir Schwule vor 50 Jahren. Ihre Identität gilt noch immer als Krankheit. Als letztes Jahr das Gesetz zum dritten Geschlechtseintrag im Bundestag diskutiert wurde, sagte Beatrix von Storch ganz bewusst, dass Transexuelle kranke Menschen seien. Außerdem befinden wir uns in einer Transformationsphase: von schwuler hin zur queeren Kultur. Auch das aber ist aber in manchen Institutionen umstritten. Im Jahr 2006 wurde die erste lesbische Frau in den Vorstand des schwulen Museums gewählt. Viele ältere schwule Männer fühlen sich dadurch angegriffen oder in Frage gestellt, obwohl das natürlich nicht der Fall ist. Es ist einfach eine Erweiterung des Spektrums.

Viele Marken nutzen Diversity-Themen zu Marketing-Zwecken. Nicht wenige in der LGBTQI-Community betrachten diese Entwicklung kritisch und bezeichnen sie als “Pinkwashing. Foto: Karl Bewick

 Seit mehreren Jahren tobt ein Streit um die Kommerzialisierung des CSD. Wie lautet Ihre Position dazu?

Ich finde es wichtig, dass es eine Kritik am CSD gibt. Doch trotz seiner Kommerzialität ermöglicht der CSD es der ganzen queeren Community, sich sichtbar zu machen.

Die LGBTQI-Bewegung stellte seit ihrer Entstehung klassische Modelle von Liebe und Monogamie in Frage. Gleichzeitig sehen wir in den letzten Jahrzehnten einen Trend zu mehr Teilhabe an traditionellen Institutionen wie der Ehe. Was halten Sie davon?

 Hier bin ich sehr gespalten. Ich finde es toll, dass wir uns die gleichen Modelle erkämpfen können wie die Mehrheit der Gesellschaft, auch wenn die Ehe für mich persönlich keine Option wäre. Gleichzeitig glaube ich auch, dass die Abschaffung der Ehe als Institution kein allein schwules Ziel sein kann, sondern nur ein gesamtgesellschaftliches. Wir können als Schwule lediglich eine Vorreiterrolle spielen.

Inwiefern bestimmte HIV die Community in Ihren Augen?

 Die 80er Jahre waren sehr dramatisch. Das Westberliner Drogeninstitut, damals die einzige Stelle, wo man in Berlin einen Aids-Test machen konnte, explodierte regelrecht. Und wir wussten ja auch nicht, womit wir es zu tun hatten. Wir hatten nur diese diffuse Angst vor einer “Schwulenseuche”. Ein guter Freund von mir, ein junger Autor im Alter von 26, der zwei Jahre zuvor nach Berlin gezogen war und noch gar nichts richtig vom Leben gesehen hatte, war plötzlich einfach weg. Seine Familie im Schwarzwald weigerte sich, seine Asche bei sich zuhause beizusetzen. Er hatte eine Patentante in Sizilien, die er als Schuljunge immer besuchte. Sie nahm seine Asche dann dorthin mit und zerstreute sie unter seinem Lieblingsbaum. Auch in unserer Wohngemeinschaft gab es mehrere Menschen, die an Aids gestorben sind, die wir auch bis zum Tod begleitet haben. Zu gleichen Zeit forderte die Bayerische CSU, insbesondere Herr Gauweiler, alle HIV-positiven Menschen in abgesonderten Quarantäne-Lagern zu internieren. Rosa von Praunheim musste in Talkshows zusammen mit dem Moderator aus einem Glas trinken, um zu beweisen, dass man sich dadurch nicht infizieren kann. Das waren sehr traumatische Zeiten, auch für mich persönlich.

Bernd Gaiser mit Dragqueen und Aktivistin Conchita Wurst

 Medikamente wie Truvada minimieren heute das Risiko einer HIV-Infektion fast durchweg

Ja, das stimmt, aber ich halte es für ein großes Problem, dass wir in der westlichen Welt das Privileg besitzen, uns zu schützen, während der Rest der Welt dieses Privileg nicht genießt. Die queere Bewegung muss global denken. 

 Wie blicken Sie heute auf die Zukunft der queeren Bewegung? 

Ich finde es toll in einem Haus zu leben, das die Schwulenberatung als Träger hat, aber alle Gruppen der Community mit einbezieht. Inzwischen kommen sogar vorpubertäre Kinder mit ihren Eltern hierher, um sich beraten zu lassen, weil ein Mädchen ein Junge werden will oder andersrum. Das rührt mich an und macht mir Hoffnung. Ich freue mich auch sehr auf das “E2H” Projekt, das queere Kulturhaus in Berlin, das im alten Taz-Gebäude entstehen soll. Dort soll beispielsweise die hohe Selbstmordrate queerer Jugendlicher aufgearbeitet werden, oder die Frage, warum die Lebenserwartung querer Menschen zwölf Jahre niedriger als die Heterosexueller. Dieses Projekt sollten wir alle fördern.

Hat die queere Bewegung ihr Ziel nicht gewissermaßen bereits erreicht? 

Nein, ich denke, das ist ein Prozess, der uns noch lange begleiten wird. Es wird leider immer wieder Menschen geben, die homophob oder rassistisch oder antisemitisch sind. Solange unsere Gesellschaft so gespalten ist wie heute, hat die queere Bewegung sich nicht überholt.