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Isabelle Boemeke speaks at SESSION 8 at TED2022: A New Era. April 10-14, 2022, Vancouver, BC, Canada. Photo: Gilberto Tadday / TED

Diese Influencerin möchte Nuklearenergie trendy machen

Ein brasilianisches Model engagiert sich als selbsternannte Nuklearenergieinfluencerin dafür, das schlechte Image von Atomenergie zu ändern. Der britische Streetwear Blog Highsnobiety titelte bereits vor einem Jahr, sie sei die Nuklearenergieinfluencerin, die die Welt jetzt brauche. Aber tun wir das wirklich? 

Noch vor vier Jahren teilte Model Isabelle Boemeke ihre Hautpflegeroutine mit ihren Followern und vermarktete ihre neue Kosmetikmarke ​​Maré auf Instagram. Heute ist sie Nuklearenergieinfluencerin – so schnell kann sich das Leben in unerwartete Richtungen wenden. Boemekes Leben veränderte sich wohl auf einen Schlag mit einem Tweet der amerikanischen Planetenforscherin Carolyn Porco:

Boemekes Leben veränderte sich wohl auf einen Schlag mit einem Tweet der amerikanischen Planetenforscherin Carolyn Porco. Bild: Screenshot Ted2022

Nachdem sie den Tweet gesehen hatte, habe sie „eine ungewöhnliche Idee“ gehabt, erzählt Boemeke während der TED2022 New Era Konferenz. „Ich wollte Atomenergieinfluencerin werden. Ich wollte Atomenergie cool machen. Also habe ich eine digitale Version von mir erschaffen und sie Isodope genannt“, sagt Boemeke auf der TED-Bühne. Seitdem schwebt Isabelle aka Isodope auf Instagram in digitalen Kleidern als nukleare Sci-Fi-Prinzessin durch virtuelle Welten oder posiert in frechen Slogan-Shirts. Nebenbei informiert sie das Publikum in monotoner, spaciger Stimme über Nuklearenergie, Klimawandel oder digitale Mode. Isodope ist nicht von dieser Welt.

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Aus Isabelle wird Isodope

Aber keine Angst: Boemeke versucht nicht, einen auf Klimaleugnerin à la EIKE zu machen: das berüchtigte Europäische Institut für Klima und Energie (EIKE), das Ängste vor einer Zukunft aus erneuerbaren Energien schürt und deshalb Nuklearenergie anpreist. Boemeke nennt Atomenergie in einem Atemzug mit erneuerbaren Energien und zählt sie zu den „clean energies“. Das Problem laut Boemeke: Die Energie aus erneuerbaren Energien sei nicht genug, um so viel Energie zu produzieren, wie wir bereits verbrauchen. Deshalb brauche es Nuklearenergie, um Energie aus fossilen Brennstoffen zu reduzieren und so die globalen CO₂-Emissionen zu verringern.

Glaubt man Boemekes Posts, Videos und Aussagen während der TED-Konferenz, ist Atomenergie nicht nur cool, sondern auch nachhaltig, vergleichsweise günstig und nimmt eine enorm wichtige Rolle in der Energiewende und im Kampf gegen Energieabhängigkeit ein. Atomenergie, so Boemeke, könne alle Probleme auf einen Schlag lösen. Wäre da nicht…

„das Meme”. So verpackt es Boemeke: „Was Atomenergie betrifft, wurde der Welt ein schlechtes Meme verkauft. Ein überholtes.” Ein Meme definiert sie in diesem Kontext als eine „festgesetzte Idee oder einen Glauben, gut oder schlecht, die bzw. der sich von Person zu Person verbreitet und definiert, wie wir die Welt sehen”. Und die Welt sieht Atomenergie als etwas Schlechtes.

„Was Atomenergie betrifft, wurde der Welt ein schlechtes Meme verkauft. Ein überholtes”, sagt Isabelle Boemeke auf der TED-Bühne im April in Vancouver. Photo: Ryan Lash / TED

Schuld daran seien die Anti-Atomkraftbewegungen der 1970er-, 80er- und 90er-Jahre, die ein falsches Bild von Atomenergie produziert hätten. „Deren Logik war eindeutig: Atombomben sind schlecht, demnach ist auch Atomenergie schlecht. Wenn man mal darüber nachdenkt, ist das, als würde man sagen: Der elektrische Stuhl ist schlecht, also ist Elektrizität schlecht. Das Argument gegen Atomenergie beruhte niemals auf Wissenschaft”, sagt die Influencerin. Tatsächlich macht die Wissenschaft deutlich, dass Atomenergie risikoärmer und umweltfreundlicher als fossile Energieträger ist. Doch Boemeke ignoriert bewusst bekannte Risikofaktoren, um Nuklearenergie als trendy zu verkaufen.

Vom Model zur Nuklearinfluencerin

Mit Atomenergie beschäftigt sich die Brasilianerin aber erst seit der Pandemie. Davor arbeitete sie hauptberuflich als Model und produzierte nebenbei Kosmetik. Boemeke wuchs im brasilianischen Bundesstaat Rio Grande do Sul auf, der bekannt für seine deutschsprachige Bevölkerung ist und für seine Städte, die aussehen wie ein Dorf in Bayern vor hundert Jahren. Boemeke bekam dort in einer Kleinstadt, die sie nicht benennt, eine klassisch katholische Erziehung und „hinterfragte nicht viel”, wie sie dem Podcast Titans of Nuclear, der von der Atom-Lobby Organisation „Energy Impact Center” finanziert wird, erzählt.

Isabelle Boemeke speaks at SESSION 8 at TED2022: A New Era. April 10-14, 2022, Vancouver, BC, Canada. Photo: Ryan Lash / TED

„Brasilien ist kein besonders wissenschaftliches Land”, sagt die in Los Angeles lebende Influencerin über ihre Heimat, in der sich die beste Universität Lateinamerikas befindet, wo während der Pandemie eine eigene Impfung gegen das Coronavirus entwickelt wurde und in der sich die Stadt mit den meisten geimpften Menschen auf der Welt befindet: São Paulo. Genau dort zog Boemeke hin, nachdem sie in ihrer Heimatstadt in Rio Grande do Sul auf dem Heimweg von der Schule von einem Modelscout angesprochen wurde.

Nach Stationen in São Paulo, Argentinien und Miami ließ sich Boemeke schließlich in Los Angeles nieder. Doch nach einiger Zeit war ihr das Modeln nicht mehr genug, es erfüllte sie nie wirklich auf intellektueller Ebene, wie sie in einem Interview sagt. Also brachte sie ihre eigene Kosmetiklinie auf den Markt. Doch als 2019 Waldbrände im Amazonas und in Australien wüteten und die Pandemie die Welt auf den Kopf stellte, fragte sich Boemeke: „Braucht die Welt wirklich eine weitere Kosmetikmarke?”, als hätte die Welt davor wirklich eine weitere Kosmetikmarke gebraucht. Ist Boemeke wirklich so naiv?

Als 2019 Waldbrände im Amazonas und in Australien wüteten und die Pandemie die Welt auf den Kopf stellte, fragte sich Boemeke: „Braucht die Welt wirklich eine weitere Kosmetikmarke?” Photo: Ryan Lash / TED

Genauso könnte man sich fragen: Braucht die Welt wirklich eine weitere Influencerin und dann auch noch eine Nuklearenergieinfluencerin? Darüber kann man streiten. „Ich habe Isodope als Identität erschaffen, weil ich etwas Provokatives machen wollte”, sagt sie in einem anderen Interview. Und das hat sie geschafft: In weniger als zwei Jahren hat sie es in Magazine und Zeitungen und bis auf die Bühne des TED2022 Panels gebracht, wo, abgesehen von Boemeke, mehrheitlich WissenschaftlerInnen stehen.

Atomenergie ist besser als Energie aus fossilen Brennstoffen

Zugegeben, Boemeke hat in Zeiten von Pandemie, Ressourcenmangel, Klimawandel und Ukrainekrieg trotz Naivität einen Nerv getroffen. Ganz Deutschland diskutiert fieberhaft darüber, wie und wie schnell wir unabhängig von russischem Gas werden können. Und Boemeke hat auch nicht Unrecht, wenn sie darauf besteht, dass Kernenergie CO₂- und risikoarm ist und um einiges „grüner” als fossile Brennstoffe, die viel umweltbelastender sind. „Flugzeuge sind viel sicherer als Autos, genauso wie Atomenergie viel sicherer als fossile Brennstoffe ist”, sagt Boemeke in ihrem TED-Vortrag und verweist auf diese Tabelle, welche sie in ihren Überzeugungen beeinflusst hat.

„Flugzeuge sind viel sicherer als Autos, genauso wie Atomenergie viel sicherer als fossile Brennstoffe ist”, sagt Boemeke in ihrem TED-Vortrag und verweist auf diese Tabelle, welche sie in ihren Überzeugungen beeinflusst hat. Bild: Our World in Data, CC-BY License

Die Energieversorgung der Welt beruht zum größten Teil ausgerechnet auf eben jenen Energiequellen, die am umweltfeindlichsten und risikoreichsten für Mensch und Umwelt sind. In diesem Sinne betont Dr. Hannah Ritchie, Forscherin und Autorin dieser Grafik und der dazugehörenden Studie: „Aus der Perspektive für menschliche Gesundheit und Klimaschutz ist es weniger wichtig, ob wir zu Atomenergie oder zu erneuerbaren Energien wechseln. Wichtiger ist, dass wir aufhören, Energie aus fossilen Brennstoffen zu beziehen.”

Denn sowohl Atomenergie als auch erneuerbare Energien sind viel, viel sicherer als fossile Brennstoffe, wie diese Daten zeigen. „Tatsächlich hat Atomenergie entgegen der öffentlichen Meinung Leben gerettet, indem sie fossile Brennstoffe ersetzt hat”, heißt es in der Studie von Geowissenschaftlerin Dr. Hannah Ritchie, Klimaexpertin und Leiterin der Forschungsabteilung bei Our World in Data der Oxford Universität.

Deutschland bezieht immer mehr Energie aus fossilen Brennstoffen

Laut Angaben des Statistischen Bundesamtes ist die Stromerzeugung aus „konventionellen Energieträgern”, wie das Bundesamt fossile Energieträger nennt, im letzten Jahr deutlich gestiegen, während die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien gesunken ist. Wie das Statistische Bundesamt mitteilte, stieg die Stromerzeugung aus fossilen Energieträgern gegenüber dem Jahr 2020 um 11,7 % und machte einen Anteil von 57,6 % an der gesamten Stromerzeugung aus. Die Einspeisung aus erneuerbaren Energien sank dagegen um 7,6 % auf einen Anteil von 42,4 % (2020: 47,1 %), heißt es in einer Pressemitteilung vom 17. März 2022. Hinzu kommt die nach wie vor große Energieabhängigkeit Deutschlands von anderen Ländern. Kein Kontinent ist so abhängig von russischem Gas wie Europa und kein Land so abhängig wie Deutschland. 2020 importierte Deutschland 56,3 Milliarden Kubikmeter Erdgas aus Russland, gefolgt von Italien mit 19,7. Zurzeit liegt der Anteil russischer Gaslieferungen in Deutschland bei 35 %.

Boemeke hat in Zeiten von Pandemie, Ressourcenmangel, Klimawandel und Ukrainekrieg einen Nerv getroffen, denn ganz Deutschland diskutiert fieberhaft darüber, wie und wie schnell wir unabhängig von russischem Gas werden können. Photo: Gilberto Tadday / TED

„Was, wenn wir aufhören würden, Kernenergie als zerstörerisch zu sehen und es stattdessen als Mittel zur Energieunabhängigkeit sehen würden, sogar für Frieden? Was, wenn diese Technologie unsere beste Hoffnung für die Zukunft ist? Eine Zukunft, in der Kriege nicht von unserer Sucht nach fossilen Energieträgern gesponsert werden. Eine Zukunft, in der Energie clean ist und alle Zugang haben. Die Idee, dass Kernenergie schlecht ist, kostet uns diese Zukunft”, so beendet Boemeke ihren Vortrag auf der TED-Bühne. Ist Atomenergie also eine Lösung, solange wir nicht genügend Energie aus erneuerbaren Energien aufbringen können? ExpertInnen sind in diesem Punkt zwiegespalten.

ExpertInnen und PolitikerInnen sind sich uneinig

Während Finnland und Schweden bereits dabei sind, Endlager für radioaktive Abfälle fertigzustellen, sehen deutsche ExpertInnen Atomenergie nach wie vor kritisch. „Man sollte auf gar keinen Fall in die Falle tappen, jetzt die Laufzeit von Atom oder Kohle zu verlängern, das wäre genau im Sinne Russlands. Die beste Antwort auf einen fossilen Energiekrieg ist eine beschleunigte Energiewende”, sagte Claudia Kemfert, Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in einem Interview mit dem Spiegel.

Ende dieses Jahres sollen die letzten drei Atomkraftwerke in Deutschland abgestellt werden. Doch durch den Angriffskrieg in der Ukraine hat sich das Meinungsbild der Deutschen geändert. Wollten im Sommer laut einer Umfrage des Bundesamts für Sicherheit der nuklearen Entsorgung noch 76,2 % einen Ausstieg aus der Atomkraft, sind es jetzt laut ARD-Deutschlandtrend nur noch 38 %. Damit wollen rund 53 % an der Atomkraft festhalten. Trotzdem hält Bundeskanzler Scholz am Atomausstieg fest und auch das Wirtschafts- und Umweltministerium rät von einer Prüfung von Laufzeitverlängerungen ab.

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Das dürfte wohl auch daran liegen, dass Deutschland bisher einfach noch keine Lösung für die Lagerung des Atommülls gefunden hat. Deutschland produziert jährlich rund 230 Tonnen Atommüll, bis 2011 haben Deutschlands Atomkraftwerke rund 400 Tonnen hochradioaktiven Müll erzeugt. Eine Endlagerung gibt es nicht, da nie ein passender Standort für ein Endlager gefunden wurde. Derweil schlummert unser Atommüll also in 16 Zwischenlagern verteilt auf die Bundesrepublik – ein Zustand, den der Bund für Umwelt und Naturschutz als problematisch einstuft.

Erfolgsgeschichte Finnland?

Anders als Deutschland ist Finnland mit dem Endlager auf der Insel Olkiluoto bereits in den letzten Zügen. ExpertInnen kritisieren aber auch diese angebliche Erfolgsgeschichte der Endlagerung, in der der Müll einfach für immer in einem massiven Fels verschwindet.

„Ein Lager einfach der Zukunft zu überlassen, ist nicht mehr aktuell”, sagt der Schweizer Geologe Marcos Buser, der unter anderem Mitglied der Expertenkommission für das Schweizer Endlagerprojekt und der Eidgenössischen Kommission für nukleare Sicherheit war. Die Firma Posiva, die das Endlager auf Olkiluoto baut, verspricht, mögliche Risiken für mehr als 250.000 Jahre im Voraus berechnet zu haben.

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Buser hält so ein Versprechen aber für unrealistisch: „Das sind alles Modelle. Ich bin überhaupt nicht gegen Modelle, aber die Prozesse der Natur sind zu komplex, um sie vorhersehen und als Beweismittel nutzen zu können.” Ohne Überwachung des Lagers, so Buser, könne nicht gewährleistet werden, dass keine Radioaktivität ins Grundwasser gelange oder sonstige Fauxpas passieren. Zudem seien auch die Kapazitäten eines solchen Endlagers limitiert, man könne also nicht endlos Atommüll produzieren, sonst benötige man immer mehr Endlager.

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Bei allem Optimismus und Enthusiasmus für Kernenergie: Influencerin Boemeke idealisiert die Atomenergie und präsentiert reale Probleme und Nachteile als Nichtigkeiten und politische Fehlentscheidungen. Damit betritt sie gewissermaßen ein Minenfeld, denn den Energieträger, der keinerlei Nachteile hat und alle Probleme mit einem Mal verschwinden lässt, gibt es einfach bisher noch nicht – höchstens auf Instagram.

Braucht die Welt also eine Atomenergieinfluencerin? In Anbetracht der Datenlage, leider ja, denn der Druck, schnell aus „konventionellen Energieträgern” auszusteigen, muss deutlich erhöht werden. Wie Dr. Hannah Ritchie betont: Das wichtigste ist, dass der Ausstieg aus fossilen Energieträgern so schnell wie möglich vollzogen wird. Mit Isodope gelingt Boemeke vor allem eins: Sie revitalisiert die Atomkraftdiskussion für ein junges, weibliches Publikum und bringt ein bisschen Sci-Fi und Glamour in eine sonst eher trockene Diskussion, die von Fachbegriffen und Zahlen dominiert ist. Ist nukleare Energie deshalb cool? Auf gar keinen Fall.