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Diese Therapeut:innen machen Schluss mit der Pop-Psychologie auf Instagram

Auf Instagram ist das Thema Therapie immer beliebter. Begriffe wie „triggern“ oder „toxisch“ werden dabei nicht immer richtig verwendet. Vier Psychologie-Influencer:innen berichten, warum eine ehrliche Debatte über psychische Gesundheit in den sozialen Medien notwendig ist.

Lesen, scrollen und Inhalte über „childhood trauma“ oder „anxiety“ per Click oder Swipe verarbeiten. Die digitale Popularisierung von Themen rund um die Psyche ist im vollen Gange. Auf Instagram tummeln sich bunte Kacheln mit kitschigen Kalendersprüchen oder anonyme Profile in Pastellfarben, die sich der „Selfcare“ verschreiben. Wissenschaftlich fundiert sind diese Posts selten. Überall blüht die Pop-Psychologie.

Doch neben unseriösen Halbwahrheiten gibt es auch Profile von ausgebildeten Psychotherapeut:innen. Sowohl in englischsprachigen als auch in deutschsprachigen Ländern. Besonders in den USA ist der Trend schon weit vorangeschritten. Der US-amerikanische Sexual- und Paartherapeut Todd Baratz (@yourdiagnonsense) etwa hat aktuell 352.000 Follower:innen.

Warum der Begriff Therapie-Influencen irreführend ist  

Egal ob unseriöse Love Coaches oder ausgebildete Psychotherapeut:innen, wenn Menschen auf Instagram über psychische Gesundheit informieren, werden sie von Medien als „Therapie-Influencer:innen“ bezeichnet. Ein Beitrag der amerikanischen TV-Sendung „Good Morning America“ sprach sogar von „Insta-Therapy“. Doch, Stopp! Der Begriff ist irreführend, denn seriöse Therapeut:innen behaupten in der Regel nicht, dass sie Therapie auf Instagram anbieten. Dennoch hat sich der Begriff um das Phänomen so etabliert.

Aufklären, informieren und möglichst viele Menschen erreichen, das wollen auch die Psychotherapeut:innen Umut Özdemir, Anke Glaßmeyer, Anatol Bräunig und Nesibe Özdemir. Neben ihrer praktischen Arbeit als approbierte Psychotherapeut:innen, posten sie auf Instagram in niedrigschwelligen Beiträgen über Themen wie Depressionen, Zwangsstörungen oder Schizophrenie. Und wollen damit einerseits mit Vereinfachungen oder gar Fehlinformationen von Medizin-Laien über Psyche brechen, andererseits psychische Krankheiten entstigmatisieren. Keiner der vier postet, um Geld zu verdienen oder Patient:innen zu akquirieren.

Mehr als jede:r Vierte erfüllt jedes Jahr Kriterien einer psychischen Erkrankung

Aufgrund des Mangels an Therapieplätzen hat es in der Regel kein:e Psychotherapeut:in in Deutschland nötig, Werbung zu machen. Denn der Bedarf an Therapieplätzen ist bundesweit enorm. In Deutschland sind jedes Jahr etwa 27,8 % der erwachsenen Bevölkerung von einer psychischen Erkrankung betroffen, also mehr als jede:r vierte Erwachsene. Zu den häufigsten Diagnosen zählen Angststörungen, Depressionen oder Defizite durch Suchterkrankungen. Von den betroffenen Personen nehmen im Schnitt allerdings nur 18,9 % Kontakt zu Leistungsanbietern auf.

Wer einen der wenigen Therapieplätze bekommt, erhält bei Verhaltenstherapie eine sogenannte Psychoedukation. Also eine systematische und strukturierte Wissensvermittlung über die entsprechende Erkrankung. Bei anderen Behandlungsmethoden ist dies nicht der Standard.

Instagram: Die rechtliche Grauzone

Der Begriff „Psychotherapeut:in“ ist in Deutschland zudem der einzige geschützte Begriff. Das heißt im Umkehrschluss: Jeder kann sich Therapeut:in nennen – auch ohne offizielle Ausbildung.

Das größte Problem ist allerdings: Instagram ist in Bezug auf das Berufsrecht eine Grauzone. Eine Berufsordnung für Social-Media-Profile existiert noch nicht. Zwar gibt es auf Instagram für Geschäftsprofile die Kategorie „Psychotherapeut“. Doch theoretisch kann jeder Laie diese einfach auswählen. Ein Verstoß hätte keine Konsequenzen. Somit stehen Profile mit wissenschaftlichem Mehrwert pseudowissenschaftlichen Influencer:innen gegenüber, die jederzeit einfach so Falschinformationen verbreiten können.

Glück ist zum Fetisch geworden

Zudem arbeitet sich eine ganze Industrie mit populärwissenschaftlichen Ratgeberbüchern und anderen Dienstleistungen am Markt der Psychologie ab. Die Soziologin Eva Illouz und der Psychologie-Professor Edgar Cabanas äußern sich kritisch gegenüber der positiven Psychologie, die seit Ende der Neunziger Jahre boomt. Ein Markt der Glücksindustrie, der die unersättliche Gier nach Glück mit permanentem Konsum verschaltet. Besonders in den sozialen Netzwerken scheint das neoliberale Mantra von Eigenverantwortung und Selbstdisziplin ein ideales Verbreitungsfeld gefunden zu haben. Denn dort zeigen wir demonstrativ, wie glücklich wir sind und konsumieren Inhalte, um möglichst noch glücklicher zu werden. Die Politologin und Journalistin Juliane Marie Schreiber fasst es in ihrem Buch „Ich möchte lieber nicht: Eine Rebellion gegen den Terror des Positiven“ treffend zusammen: „Alle versuchen immer besser zu werden, und setzen so den Standard des Normalen immer höher. So steigt der Druck aber für alle, und am Ende hat niemand einen Vorteil.“

Warum ehrliche unabhängige Beiträge rund um Therapie und Psyche wichtig sind und wo das Phänomen des Psychologie-Influencen an seine Grenzen stößt, erzählen Umut Özdemir, Anke Glaßmeyer, Anatol Bräunig und Nesibe Özdemir.

Umut Özdemir 

Umut Özdemir ist Verhaltens-, Paar- und Sexualtherapeut und baut gerade seine eigene Praxis in Berlin-Mitte auf. Alles fing bei ihm mit TikTok an. Als er dort Videos über sexualpsychologische Themen postete, bemerkte er, dass der Bedarf für Inhalte rund um Sexualität und Partnerschaft sehr hoch ist. Im Zuge dessen entstand sein Instagram-Profil.

Umut Özdemir ist Verhaltens-, Paar- und Sexualtherapeut und baut gerade seine eigene Praxis in Berlin-Mitte auf. Seine Karriere als Insta-Therapeut fing mit TikTok an. Bild: Birk Alisch/Viktoria Spokojna

Besonders stört es Özdemir, wenn Personen in den sozialen Medien „eine eigentlich reine Meinung als wissenschaftlichen Fakt verkaufen“. Eine große Gefahr des Trends Psychologie-Influencen sieht Özdemir in der Vermarktung von Therapie als Ware. Insbesondere in seinem Tätigkeitsschwerpunkt Partnerschaft und Sexualität greift manch ein gebrochenes Herz schnell zu Kursen oder Seminaren, die Heilversprechen geben, aber in Wahrheit Leuten Geld aus der Tasche ziehen wollen.

Durch das Informieren über psychische Gesundheit sieht Özdemir den Vorteil, dass betroffenen Personen ein wenig vom Leidensdruck genommen werden kann. Sie identifizieren sich schneller mit ihrem Krankheitsbild und bemerken, dass sie damit nicht allein auf der Welt sind.

Dennoch steht fest: Ein kurzer Post kann keine individuelle Therapie ersetzen, vor allem bei tief sitzenden Diagnosen wie Depressionen oder Persönlichkeitsstörungen. Trotz gelegentlicher Anfragen stellt Özdemir keine Diagnosen via Instagram. „Wenn man es vergleicht mit 200 Minuten, die ich im Schnitt für eine Diagnostik im psychotherapeutischen Setting habe mit ein bis zwei Direktnachrichten auf Instagram, kann das gar nicht funktionieren.“

Ein weiterführendes Qiio-Interview mit Özdemir findet man übrigens hier.

Anke Glaßmeyer 

Im Zuge ihrer Approbationsprüfung als Verhaltenstherapeutin begann Anke Glaßmeyer 2018 damit, Inhalte, die sie an einem Tag gelernt hatte, auf Instagram zusammenzufassen. Die Posts sollten einerseits „zeigen, dass Psychotherapie auch Spaß machen kann.“ Andererseits Vorurteile abbauen und aufklären, da „wir in der Schule nichts über psychische Krankheiten lernen.“

Anke Glaßmeyer ist Verhaltenstherapeutin und begann im Zuge ihrer Approbationsprüfung 2018 damit, Inhalte, die sie an einem Tag gelernt hatte, auf Instagram zusammenzufassen. Bild: Anke Glaßmeyer/Viktoria Spokojna

Zwar nimmt die Stigmatisierung von gewissen Krankheiten ab, wie etwa bei Depressionen oder Burn-outs. Doch „bei Diagnosen wie Schizophrenie oder dissoziative Identitätsstörung haben viele noch große Wissenslücken.“

Auch Glaßmeyer bekommt häufig Nachrichten auf Instagram, in denen sie nach therapeutischem Rat gefragt wird. Ihre Antwort darauf lautet immer: „Ich kenne dich nicht, ich weiß nicht, was meine Worte bei dir auslösen. In der Therapie dagegen kann ich viel mehr nonverbale Reaktionen zunächst einmal wahrnehmen und eventuell auffangen, weil ich die Person sehe und ihre Geschichte kenne.“

Gefährlich findet die Verhaltenstherapeutin Coaching-Posts, die auf der Annahme basieren, dass das eigene Wohlbefinden nach Belieben selbst steuerbar sei, als Resultat unserer inneren Stärken. Frei nach dem Motto: Wenn du dich nicht genug anstrengst, dann bist du selber schuld.

„Heilen braucht Zeit. Da helfen auch nicht irgendwelche Kalendersprüche.“ Mit der richtigen Portion an Achtsamkeit allein hat die psychische Genesung nicht viel zu tun.

Anatol Bräunig

Auch für Anatol Bräunig ging es während seiner Vorbereitung für die Approbationsprüfung als Verhaltenstherapeut mit Instagram los. Auf Karteikarten postete er dort Lerninhalte mit „der Idee, dass das vielleicht auch andere hilfreich finden – Psychotherapeut:innen wie Betroffene.“ Die Resonanz war relativ schnell da.

„Gewisse Bereiche, in denen ich noch keine feste Expertise habe, informieren mich tatsächlich auch einfach selbst, wie bei einer Mini-Fortbildung.“

Anatol Bräunig sieht in seiner Tätigkeit als Psychologie-Influencer einen präventiven Nutzen, indem die „Informationsvermittlung manchmal Schlimmeres verhindern kann.“ Bild: Anatol Bräunig/Viktoria Spokojna

Bräunig sieht in seiner Tätigkeit als Psychologie-Influencer außerdem einen präventiven Nutzen, indem die „Informationsvermittlung manchmal Schlimmeres verhindern kann.“ Denn Leute, die gut über psychische Krankheiten informiert sind, reflektieren in der Regel mehr und können bei Defiziten oder Krisen schneller gegenlenken.

Wer betrügerischen Lifecoaches fernbleiben will, sollte auf absolute Formulierungen achten: Aussagen „wie ‚wenn du meine Ratschläge befolgst, bist du in vier Wochen nicht mehr depressiv‘, sind „schlicht und weg unwissenschaftlich.“ Heilversprechen schüren zudem eine unrealistische Erwartungshaltung, die in der Regel eher zu Enttäuschungen führt. Für Betroffene einfach schrecklich.

Nesibe Özdemir 

Nesibe Özdemir ist als Psychotherapeutin „immer wieder aufgefallen, wie tabuisiert das Thema psychische Erkrankung noch ist.“ Sie hat früher einmal „in einer Praxis gearbeitet, in der viele Menschen die Hintertür zur Praxis genommen haben, um nicht beim Betreten der Praxis von anderen Menschen gesehen zu werden.“ In dem Moment wurde ihr klar, dass nicht nur die Betroffenen mit einer Enttabuisierung angesprochen werden sollten, sondern die gesamte Gesellschaft. Seitdem informiert Özdemir auf ihrem Instagram-Kanal, um aufzuklären und um die „Mythen rund um diese Themen zu beseitigen.“

Beim Phänomen Psychologie-Influencen sieht die Verhaltenstherapeutin die Gefahr, dass für Konsumierende „die Beiträge für eine Selbstdiagnose und -behandlung scheinbar ausreichen könnten.“ Deswegen sollten Follower:innen „immer wieder daran erinnert werden, dass Beiträge in den sozialen Medien der Komplexität der menschlichen Psyche nicht voll gerecht werden können.“ 

Beim Phänomen Psychologie-Influencen sieht die Verhaltenstherapeutin Nesibe Özdemir die Gefahr, dass für Konsumierende „die Beiträge für eine Selbstdiagnose und -behandlung scheinbar ausreichen könnten.“ Bild: Raisa Galifre/Viktoria Spokojna

Was der Trend Psychologie-Influencen über unsere Gesellschaft aussagt

Einerseits kann der Trend besonders für junge Menschen als zeitgemäße Alternative zu Ratgeberbüchern oder seriösen Artikeln in Zeitungen gelten. Andererseits befeuert der gesellschaftliche Druck, sich stets selbst zu optimieren, auch eine Hyper-Sensibilisierung und eine gefährliche Auslagerung staatlicher Aufgaben an Individuen.

Das deutsche Gesundheitssystem sollte qualifizierte Personen wie die Psychologie-Influencer:innen unterstützen. Denn der Sozialstaat zieht sich aus der Verantwortung, wenn wichtige aktivistische Aufgaben wie die der digitalen Psychoedukation nur an Privatpersonen hängen bleiben.

Psychologische Bildungsarbeit sollte zudem in der Gemeinschaft passieren. In Schulen könnten etwa staatlich finanzierte Verbände und Initiativen Workshops über psychische Gesundheit anbieten.

Damit das Phänomen Psychologie-Influencen weniger anfällig für unseriöse Betrugsmaschen ist, sollte Instagram eine Qualitätsprüfung einführen. Denn auch die sozialen Medien sind längst Lebensrealität. Auch die Berufsordnung für Psychotherapeut:innen braucht klare Regeln für die sozialen Netzwerke.

Der Trend Psychologie-Influencen ist ein offensichtlicher Appell an die Politik für eine bessere medizinische Versorgung. Ob die verantwortlichen Politiker:innen diesen hören, bleibt offen.