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Digitales Lust-Prinzip

Ein neues soziales Netzwerk schickt sich an, die Lust über eine Fotoplattform auf die Screens zu holen. Facebook kündigt an, eine Dating-Funktion aufzusetzen. Was haben soziale Medien mit Lust und Liebe zu tun?

Im Mai kündigte Facebook an, dass in Zukunft eine neue Dating-Funktion integriert werden soll. Dafür können die 200 Millionen Menschen, die sich dort als Single eingetragen haben, ein zweites Profil anlegen und unter ihrem Vornamen neue Menschen kennenlernen. Die Kommunikation läuft über einen gesonderten Chatdienst. Der Staat im Staate sorgt für datenschutzkonformes Online-Dating. Aber ist Facebook nicht auch ohne diese Funktion schon ein Marktplatz der Begehrlichkeiten? Nur wenn es soft zur Sache geht. Denn sobald mal weibliche Nippel gezeigt werden, fliegen auf Facebook und auch auf Instagram die Bilder raus. Dabei besteht das Internet doch zu 25% aus Pornowebsites.

Der Gegenwartsphilosoph Byung Chul-Han postuliert in diesem Zusammenhang die Ästhetik des Glatten, die eine Ästhetik der Pornografie sei. Das Ideal des digitalen Zeitalters sind glatte Haut und glatte Bildschirme. Beide bedingen einander. Sie seien pornographisch im Sinne eines Konsumierbaren, dem keine Erotik, kein Spiel innewohnt. Vielleicht gilt das ja für das Design von Apple-Produkten. Aber hinter den Bildschirmen ist es nicht glatt. Denn das Internet ist für viele wie ein geheimer Cyber-Garten der Lüste, in dem Fremde sich ihre sexuellen Wünsche offenbaren und Bekannte sich über Chatlines zu Sex Partys verabreden.

Wird Sexualität im Netz so glatt, wie die Oberflächen unserer Desktops?

Die digitale sexuelle Revolution?

Ein neues soziales Netzwerk macht gerade in Berlin Plakatwerbung. Sensshub gibt sich in Millennial-Pink und zeigt zensierte Portraits von Menschen, die sich zu verschiedenen Formen der Sexualität bekennen. Die Zielgruppe wäre damit klar: hippe, liberale Großstädter. Das Netzwerk erlaubt seinen Nutzern, denen zu folgen, die sie inspirieren und lädt dazu ein, sich unter Gleichgesinnten auszutauschen. Zusätzlich bietet es eine Dating-Funktion an. Der Hashtag #daretoshare fordert dazu auf, ohne Hemmungen zu teilen. Während der Registrierung kann sich der Nutzer aus einer Wolke der Spielarten bedienen: Von „music” bis „rough”, von „rainbow lover” bis „daddy” sollte wohl für jede Spielart der Lust etwas dabei sein. Das eigene Profilfoto kann man mit Stickern bekleben und sich so unkenntlich machen. Trau dich zu teilen, aber ein Rest Scham bleibt. Beim Scrollen durch die Explore-Funktion kann man neben Geschlecht und Sexualität auch nach Interessen filtern. Dabei sieht man die typische Melange von Spiegel-Selfies, Internet-Bildern und Nacktbildern, die es auch auf einschlägigen Dating-Apps gibt. Der rosa Anstrich von Sensshub und die Follow-Funktion gibt dem Nutzer offiziell die Möglichkeit zum digitalen Voyeur zu werden. Wir werden alle zu potenziellen Objekten der Pornografie, müssen uns dabei aber nicht den Diskursen der Glattheit unterwerfen, die nach Byung Chul-Han die digitale Ästhetik prägen. Noch ist das Netzwerk ruhig, die meisten Menschen haben kaum Follower und außer den Profil-Fotos gibt es wenig zu sehen. Bis auf die Startseite des Netzwerks gibt es auch keine Informationen zur Vision des Prager Startups.

Selbstversuch vom Autor: Wie ist es Mitglied bei Sensshub zu sein?

Soziale Netzwerke kommen aus den Nischen

Gehen wir einen Schritt zurück und machen uns bewusst, wo soziale Netzwerke eigentlich herkommen. Facebook war zu Beginn ein Ersatz für die gedruckten Jahrbücher von amerikanischen Elite-Universitäten. Die Zielgruppe war also eindeutig begrenzt, bevor es für alle zugänglich wurde. Andere Netzwerke aus Nischenkontexten sind zum Beispiel die Seite animexx.de, die seit dem Jahr 2000 aktiv ist. Hier können sich Fans „japanischer Zeichenkunst und Kultur” austauschen, befreunden und Bilder hochladen. Auch das Netzwerk Planetromeo (früher Gayromeo) gibt es bereits seit 2002: Unter dem Claim „make friends, get dates, have sex” zählt es mit 1,8 Millionen Nutzern weltweit zu einem der größten und ältesten Dating-Plattformen für homosexuelle Männer. Seitens der Dating-Plattformen mit spitzer Zielgruppe kommen Grindr, Scruff und später Tinder für alle hinzu. Diese Plattformen kamen aus der Nische und erfüllten einen bestimmten Zweck: Sei es der Austausch über ein Nischenthema wie japanische Popkultur oder Dating für homosexuelle Männer. Aber: Sie förderten nur den direkten Kontakt, eine Inspirationsfunktion oder einen Feed hatten diese Netzwerke nur begrenzt. Dabei ist es gerade der Feed, hinter dessen Horizont eine Überraschung warten könnte, die Facebook und Instagram so interessant machen.

Tumblr war schon früh Inspiration für Erwachsene

Mit ca. 22% pornografischen Inhalten unter den Top-Domains von Tumblr, zeigt sich das Mikroblogging-Netzwerk freizügiger als Instagram. Das 2007 gegründete Netzwerk stieg mit seiner multimedialen Mischung von Posts und der viralen Share-Funktion um 2010 zu einem der beliebtesten Netzwerke auf. Tumblr’s Charme bestand darin, dass hier ohne Begrenzung und ohne Zensur alles eingespeist und wiedergepostet werden konnte. So konnten Nutzer hier Fotografie neben Kunstgeschichte, neben erigierte Penisse stellen. Tumblr wurde zum Moodboard der Begehrlichkeiten. Schon früh (oder: noch immer) gab es hier GIF-Bilder als Kommentare. Netzwerke von Blogs rebloggten einander, wobei jedes Blog für seinen eigenen Nutzer Stand. Wer sich hier an der Grenze zwischen Pornografie und Kunst bewegen wollte, konnte sich an Tumblr kaum satt scrollen. Aber mit dem Aufkommen neuer Netzwerke mit besseren Such-Funktionen und mehr Nutzern war Tumblr bald obsolet. Facebook hatte auch einen Feed, Instagram die cooleren Bilder und Pinterest die bessere Suchfunktion. Aus der Anonymität des Blogs wurden die verbürgten Accounts echter Menschen. Das Internet wurde authentischer – wir wollten echten Menschen folgen. Aber damit kauften sich die Nutzer auch in die Standards der neuen Netzwerke ein: Keine Nippel, keine Genitalien, kein Sex.

Keine Genitalien und doch pornographisch? Auf Instagram sind die Richtlinien sehr streng. Photo: Annie Spratt

Die neugierige Lust des Netzes

Wie glatt ist das Internet? Oder raut und taut es gerade wieder auf? Ob Sensshub jetzt ein großer Erfolg wird oder einfach nur ein Startup, das verpufft, kann keiner voraussehen. Das Internet verändert sich laufend, die in den letzten Dekaden den Hype und Fall vieler Netzwerke gesehen hat. Dass jetzt jeder auf Facebook ist, scheint Platz dafür zu machen, dass wieder Nischennetzwerke aufkommen. Wir sind beinahe jedem Menschen auf der Welt so nahe, dass wir uns mit ihnen per Klick anfreunden können. Aber Sexualität, Neugierde und Lust gehören zum Internet wie sie zum Leben gehören. Auch wenn die Netzwerke unser Verhalten steuern und wir in einer Kultur des Likes leben, dürfen wir uns fragen, was unsere Bedürfnisse sind – und aktiv ihre Befriedigung einfordern.