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Bild: Sohamkumar2002

Der Preis für die Gier nach Fame

Berühmt sein, kann jede*r! In der Ära der Influencer ist Fame demokratisiert und kommerzialisiert. Kim, Kylie und Co. machen es uns vor: Der Traum vom sorglosen Leben war noch nie so nah und Millionen Nutzer*innen greifen danach. Doch – woher rührt dieser existenzielle Wunsch nach Fame und was macht das mit unserer Psyche?

„Wer möchte eine Kreditkarte im Wert von 100.000 USD + zwei First-Class-Flüge und drei Hotelübernachtungen in Beverly Hills, Kalifornien, gewinnen? (…) Ist das der größte Preis, den wir JEMALS hatten?” Was sich liest wie schlechtes Sonnenklar.TV-Teleshopping nachts um halb drei, ist in Wahrheit ein Instagram-Post von niemand anderem als Influencer-Mogul Kim Kardashian.

Visualisiert wird der wahr gewordene Traum vom Luxuslifestyle durch Kim in freizügiger, schwarzer Robe, umzingelt von einem Berg aus Shoppingtüten, die mir „Gucci”, „Chanel” und „Prada” entgegenschreien. Dazu noch eine protzige, weiße Limousine als Kulisse und das Paradebeispiel zeitgenössischer Influencer-Selbstinszenierung ist perfekt –– derart überzeichnet, dass es wie ein satirisches Performance-Piece wirkt.

Ein ganz normaler Dienstagmorgen im Instagram-Zirkus.

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Desillusionierung zum Frühstück

Eigentlich kein nennenswerter Grund, um die automatisierte Swipe-Bewegung meines Fingers zu unterbrechen. Von kultureller Aneignung, dubiosen Kooperationen, bis hin zu zahllosen Urheberrechts-Verletzungen – der Kardashian-Jenner-Clan hat bereits einige Kontroversen in meine Timeline gespült.

Trotzdem starre ich nachdenklich meinen Smartphone-Screen an.

Die Influencerinnen der ersten Generation befanden sich in den letzten Jahren immer und immer wieder im Kreuzfeuer öffentlicher Kritik und wurden an ihre Vorbildfunktion für zusammengerechnet 1,2 Milliarden Follower*innen erinnert. Die gesellschaftliche Tragweite, die ihre Internet-Personas in den letzten 10 Jahren kreiert haben, ist nicht zu leugnen – vom Kylie-Cosmetics-Stand in jeder Douglas-Filiale bis hin zu plastischer Chirurgie als normalisierte Beauty-Behandlung.

Der Shitstorm der Online-Community lässt nicht lange auf sich warten. „Kim, es gibt Menschen, die sterben!“, schreibt eine Nutzerin zynisch in die Kommentarspalte. Der Post ist mittlerweile wieder gelöscht.

Doch scheint er sinnbildlich für derzeitige Entwicklungen in den USA und dem Rest der Welt. Die Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auseinander. Während Kim Kardashian das Geld aus dem Fenster zu werfen scheint, können andere Kreditkarten-Schulden und Studienkredite nicht mehr abbezahlen. Doch auf Social-Media scheint der Traum vom Luxusleben zum Greifen nah. Und für Luxus-Influencer*innen wird das Spiel mit der Illusion das täglich Brot. Hier gilt: Poste, was wolle. Hauptsache Reichweite!

Traumberuf: Influencer

Vor zehn Jahren hätten viele einen Vollzeitjob als Influencer nicht einmal in Erwägung gezogen. Content wurde aus Spaß hochgeladen – schlechte Webcam-Qualität und Valencia-Filter inklusive. Aber die Zeiten haben sich geändert.

86 Prozent der jungen Amerikaner*innen geben an, Influencer*in werden zu wollen, das fand eine Bloomberg-Studie aus dem Jahr 2019 heraus. Das Konzept ist simpel: Inhalte des eigenen Lifestyles werden auf Social-Media geteilt, um eine Fangemeinde an sich zu binden und diese Reichweite dann zu Geld zu machen. Der ‘Beruf’ scheint dabei einen ganz bestimmten Millennial-Zeitgeist zu treffen: maximale Selbstverwirklichung bei minimalem Aufwand.

Das Prinzip, die Inszenierung des eigenen Selbst zu Geld zu machen, ist nicht neu. Das Qiio-Kompendium Das Business der Selbstdarstellung zeigt, wie sich dieses Phänomen bis in die Antike zurückverfolgen lässt.

Kylie Jenner brach 2018 den Rekord des am meisten geliketen Bilds auf Instagram, bis sie 2019 von einem Ei abgelöst wurde. Bild: BipHoo Company

Karriere ohne Kompetenzen

Mamma, ich werde Influencer? Im amerikanischen Reality-TV bekamen Menschen zum ersten Mal vor Augen geführt, dass eine Form der Berühmtheit möglich ist, für die man nichts weiter benötigt als das eigene Sein. Tatsächliche Kompetenzen – Schauspiel, Tanz oder Gesang – wurden zur Nebensache. Ein verlockender Gedanke.

Wenn superreiche Lifestyle-Influencer*innen zahllosen Followern ihr absurdes Luxusleben zur Schau stellen, ist das nicht ‘nur’ ein Haufen Designertaschen und ein perfekt gestyltes Outfit. Eine derartige Inszenierung wird Messlatte und Moodboard zugleich, welcher Millionen Nutzer*innen als Bezugspunkt dient.

Ein Bezugspunkt, der unter Druck setzt. Keine Gucci-Bag, kein Lamborghini, kein Privatjet? So wird das nichts mit dem Insta-Fame! Für viele bedeutet das: ‘Fake it ‘til you make it’!

Schneller Aufstieg, schneller Fall

Jüngstes Beispiel ist die südkoreanische Influencerin Ji-a, aka Freezia. Nach ihrem Auftritt in der Netflix-Dating-Show Single’s Inferno explodierte die Popularität der 25-Jährigen und verschaffte ihr Millionen von Followern, die sie für ihre Designer-Garderobe und ihr selbstbewusstes Auftreten bewunderten. Doch der schöne Schein hielt nur kurze Zeit. Die online ‘Fashion-Police’ deckte auf, dass die zur Schau gestellten Luxusartikel allesamt gefälscht waren.

Infolgedessen wurde Freezia in Südkorea ‘gecancelt’, als Verräterin betitelt und zur nationalen Schande erklärt. Auf ihrem Instagram-Account findet man nur noch einen handschriftlichen Entschuldigungsbrief.

Diese überproportionale Reaktion verdeutliche grundlegende Klassenspannungen der modernen südkoreanischen Gesellschaft, schreibt Frances Mao für BBC News. Wie ihre Altersgenossen in vielen Industriestaaten tragen auch koreanische Millennials die Hauptlast zunehmender sozialer Ungleichheit und werden sich mit einem normalen Gehalt nie eine eigene Wohnung leisten können. Trotz hoher Bildung bleibt also die soziale Mobilität nur eine ferne Illusion.

Dass Freezia kein Einzelfall bleibt, scheint aber wenig überraschend.

Generation Aussichtslos

Es ‘zu etwas bringen’ durch ‘harte und ehrliche’ Arbeit erhält von Generation U-30 nur noch ein müdes: „Ok Boomer!“ Die Aussichten sind düster, auch in Deutschland: niedrigere Gehälter, höhere Kosten und keine ausreichende Altersvorsorge. „Die unter 30-Jährigen stehen unter einem sehr viel größeren Druck als die über 50-Jährigen beim Vermögensaufbau“, erklärt Professor Hurrelmann von der Hertie School of Governance. 85 Prozent rechneten damit, noch weit über ihr 67. Lebensjahr hinaus arbeiten zu müssen.

Fame – egal wie – scheint für viele der einzige logische Ausweg. Und da der ‘Rich-Bitch-Lifestyle’ und lukrative Markenkooperationen nicht vom Himmel fallen, wird Hochstapelei zum Mittel zum Zweck.

Fame – egal wie – scheint für viele der einzige logische Ausweg von niedrigen Gehältern und hohen Lebenskosten. Bild: Freestocks

‘Fake Reichtum’ hat sich sogar zu einem eigenen Business entwickelt, berichtet Vice –– von mietbaren Private-Jets als Fotokulisse bis zum Onlinehandel von Shoppingtüten bekannter Luxus-Designer. Der Absurdität sind keine Grenzen gesetzt. Es wirkt wie ein irrwitziges Theater, in dem eine aussichtslose Generation auf kleine Bildschirme starrt, um sich ihre unerreichbaren Träume immer wieder selbst vor Augen zu führen. Die Realität hinter den Kulissen wird dabei ausgeblendet.

Dabei spiegelt ein Bild selten unseren tatsächlichen mentalen Zustand wider. Ein Lächeln ist schnell aufgesetzt, ein Outfit zurechtgerückt. Machen Hunderttausende Follower*innen wirklich sorglos glücklich?

Bot yourself to the top.

Die HBO Dokumentation ‘Fake Famous’ veranschaulicht die extremen Bedingungen, die der Traum vom Social-Media-Fame für viele Menschen mit sich bringt.

Mehr als 140 Millionen Menschen weltweit haben mehr als hunderttausend Instagram Follower*innen, erklärt Filmemacher und Erzähler Nick Bilton, das entspreche der Hälfte der Einwohnerzahl der Vereinigten Staaten. Wie können so viele Menschen berühmt sein? Diese absurd hohe Anzahl ‘berühmter’ Menschen unterstreicht die zunehmende Bedeutungslosigkeit des Begriffs: Wenige werden dadurch von ihrem Fame-Traum abgehalten.

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Im Verlauf der Dokumentation werden drei Protagonist*innen von ‘Social-No-Names’ in Insta-Fame verwandelt. Dabei legen die Filmemacher*innen offen, wie einfach es ist, Likes und Follower*innen zu fälschen und eine realitätsferne Fassade aufzubauen.

Zwei der drei Probanden verlassen das Gesellschaftsexperiment vorzeitig aufgrund von Stress und Unbehagen darüber, ihren neu erlangten ‘Fame’ auf einer erlogenen Anzahl an Follower*innen aufzubauen. Und auch Dominique Druckmann, die bis zum Ende am Experiment teilnimmt, erscheint ausgebrannt und überfordert – trotz Hunderttausender (Bot-)Follower*innen, gratis Produkten und lukrativer Markendeals.

In den Fängen der Attention-Economy

„Wenn eine Person berühmt wird, richtet sich so viel Aufmerksamkeit auf sie, dass sie neurologisch gesehen vergisst, wie man wieder abschaltet“, erklärt Prof. Donna Rockwell, Psychologin und Forscherin zur Beziehung von Ruhm und Psyche. „Man erhält so viel Aufmerksamkeit, dass die Neuronen ihr Gedächtnis für das Notwendige verlieren.“ Mit anderen Worten: Man wird süchtig nach Aufmerksamkeit.

Bei Social-Media-Fame nimmt das neue Ausmaße an, denn der Strom virtueller Aufmerksamkeit ist konstant – ein Like nach dem anderen. Genauso konstant muss man die eigene Sichtbarkeit garantieren und den Algorithmus füttern, damit der Strom nicht abebbt. Ein ewiger Wettbewerb, bei dem im Endeffekt nur die Social-Media-Konzerne gewinnen.

Der Leak der ‘Facebook-Files’ im letzten Herbst verdeutlichte, wie sehr sich Instagrams Mutterkonzern Meta der Auswirkungen sozialer Medien auf die mentale Gesundheit insbesondere seiner jungen Nutzer*innen bewusst ist. Doch das scheint einkalkuliertes Risiko. Je obsessiver Nutzer*innen vor ihren Bildschirmen kleben, desto besser.

Das Unternehmen schmiedet bereits Pläne für sein ‘Metaverse’, das als Mix aus Virtual-Reality, Augmented-Reaiity und klassischer Bildschirm-App, Social-Media zum immersiven Erlebnis machen soll.

Virtual-Reality-Fame: Wir kommen … oder?

Kommt durch das Metaverse bald der Virtual-Reality-Fame? Bild: Enigma Rae

Der Exodus der Influencer

Seit Beginn der Coronapandemie ist unsere Beziehung zu sozialen Medien im Wandel. Durch die soziale Isolation sind die Beziehungen zu Influencer*innen für viele noch intensiver geworden. Doch die Ängste um COVID-19 und eine Empfindlichkeit gegenüber gesellschaftlichen Spannungsfeldern macht Follower reaktiver denn je.

Wer sich falsch verhält, wird schnell ‘gecancelt’ oder mit Hassnachrichten überschüttet. Einfach abschalten? So funktioniert Social-Media-Fame eben nicht – mit diesem extremen Druck können nicht alle mithalten.

Die A-Riege der Social-Media-Influencer erfährt derzeit einen regelrechten Exodus. MontanaBlack, Joey’s Jungle, Sophia Thiel, Melina Sophie – auch in Deutschland wird die Liste der Influencer, die ihren Social-Rückzug ankündigen, immer länger.

Die digitale Lüge

Wer macht sich da noch freiwillig auf den Weg, um den Influencer-Olymp zu erklimmen? Sogar ‘Fake-Fame‘ erweist sich als fordernder Vollzeitjob. Und in lukrativen Höhen führt der Weg genauso schnell und steil wieder nach unten.

Doch bei jedem Instagram-Post ertappe ich mich dabei, wie ich insgeheim darauf hoffe, endlich viral zu gehen …

Träume nach Berühmtheit manifestieren einen Mangel in unserem Leben –– viele Künstler*innen träumen von Anerkennung, Schauspieler*innen von großen Rollen und Sänger*innen von großen Bühnen. Doch dem populären Traum nach Social-Media-Fame liegt der Mangel an wahren Aussichten im Leben zugrunde.

Klimawandel, soziale Ungleichheit, dritter Weltkrieg – unsere Zukunft ist ungewiss. Nur eines scheint vielen Gen-Z’s und Millennials klar: „Harte Arbeit zahlt sich aus“ ist heute nichts weiter als ein angestaubtes kapitalistisches Märchen.

Dabei merken wir nicht, dass „einmal viral gehen und für immer sorglos leben“ nichts weiter ist als das digitale Update dieser Mär. Wir eifern mit allen Mitteln einem Traum hinterher, der nur für wenige Privilegierte in Erfüllung geht. Und selbst bei denen, die solchen vielleicht erreichen, sind die psychischen Konsequenzen langfristig kein Geld der Welt wert. Und dennoch wollen wir es alle. Reich, schön und Insta-famous sein!

Doch kann man uns das verübeln?

Als Spiegel unserer Gesellschaft steht der online ‘Wahnsinn’ sozialer Medien in direkter Verbindung zu sozialer Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit in der Offline-Welt. Solange die Aussichtslosigkeit vieler junger Menschen keine frischen Perspektiven erhält, werden sich immer wieder neue, bizarre Phänomene entwickeln: Der digitale Raum als Sprungbrett für unsere Träume. Wo wir bei diesem Absprung landen werden?