facebook-likehamburgerlupeoverview_iconoverviewplusslider-arrow-downslider-arrow-leftslider-arrow-righttwitter

Muralla Roja, Calpe, Spain ©Ricardo Bofill Taller Arquitectura

Ein glamouröser Sozialist der 1960er lieferte Instagram seine Pastell-Ästhetik

Wer kennt sie nicht, die Candy-farbige Kulisse aus Squid Game? Der Architekt Ricardo Bofill Levi war dem Trend Jahrzehnte voraus. In den 1960er-Jahren gab er Spanien ein Sci-Fi Makeover. Bofill, ein sozialistischer Träumer, verewigte sich mit Prunk und Übertreibung in über 30 Städten. Wie prägte der kürzlich verstorbene Virtuose den urbanen Raum von heute?

Der Außenseiterarchitekt der 1970er- und 80er-Jahre ließ sich auf keine Stilrichtung festschreiben. Er verband in seinen Arbeiten kulturelle Einflüsse aus aller Welt und wollte den Luxus in das soziale Wohnen einbauen. Seine skulpturalen Welten bezaubern eine ganze Generation aufs Neue. Instagram und psychedelische Filmsets quillen vor Referenzen an den Architekten über. Wer ist der Mensch, der die pastellfarbenen Kulissen entwickelte, vor denen sich Influencer*innen und Drehort-Scouts tummeln?

Ein Sozialist, der die Post-Moderne kommerzialisierte

Ricardo Bofill Levi in jungen Jahren ©Ricardo Bofill Taller De Arquitectura

 Der StararchitektRicardo Bofill Levi, 1939 in Katalonien geboren, wuchs in Spanien unter Francos Diktatur auf. Nachdem er wegen seiner marxistischen Ansichten von der Architekturschule in Barcelona flog, ging er zum Studieren in die Schweiz. Mit seiner Rückkehr begann er, was bald zur Legende werden sollte: Er versammelte Schriftsteller, Maler, Bildhauer, Philosophen, Ingenieure und Mathematiker um sich. Gemeinsam lebten und arbeiteten sie als Kollektiv. Das waren die Anfangsjahre seines 1963 gegründeten Architekturbüros Taller de Arquitectura (RBTA).

In einer alten Zementfabrik am Stadtrand von Barcelona richtete er sich sein Wohnhaus und eine Werkstatt ein. La Fábrica ist zur Pilgerstätte für Architekturbegeisterte geworden. Seine Söhne führen das Büro von dort aus weiter. La Fábrica ist auch im 21. Jahrhundert eine mögliche Antwort auf eine drängende ökologische Frage unserer Zeit: Wie können wir die Bauruinen unserer Gegenwart, wie Shoppingmalls, Bürogiganten und Fabriken, die sich mit der Digitalisierung entleeren, nachhaltig umfunktionieren?

Unter Bofills Führung entstanden über 1.000 Projekte in mehr als 30 Ländern. Wolkenkratzer, Firmensitze, Luxushotels, Theater, städtische Gebäude, Universitäten, Flughafen Terminals, die Liste ist lang. Das 1973 fertiggestellte La Muralla Roja ist ein spektakuläres Wohnprojekt in der Siedlung La Manzanera im spanischen Calpe. Es erinnert an die dichten Kasbahs traditioneller nordafrikanischer Städte mit ihren labyrinthischen Gassen, Höfen und hohen Lehmtürmen. Bofill, schreibt The Guardian, „übersetzte diese Vorlage in eine schwindelerregende, an Escher erinnernde Welt“. Die auffällige Farbwahl der Fassaden erzeugt ein sensationelles Licht und Schattenspiel an der von Sonnen geküssten Küste und kontrastiert ihre Umgebung. Berühmt wurde Bofill aber für seine sozialen Wohnungsbauprojekte. Es heißt, er wollte dem Massenwohnungsbau eine kulturelle Bedeutung und höhere Symbolik geben.

 „Mitten in der Sahara, inmitten von Dünen und Sand, lernte ich mehr als in einem französischen Palast.“

Mit La Muralla Roja schuf Bofill eine an Escher erinnernde Welt aus Pastellfarben und Tetris-Formen. Das Wohnprojekt ist in Calpe, Spanien zu finden ©Ricardo Bofill Taller Arquitectura

„Es ging um die Befreiung von der traditionellen Familienstruktur.”

Walden 7, eines seiner berühmtesten Wohnbauprojekte am Stadtrand von Barcelona, wirkt heute noch genauso radikal wie bei seiner Errichtung im Jahr 1975. Der monumentale Termitenhügel aus Terrakotta umfasst 450 Wohnungen, die in einem dichten 14-stöckigen Cluster um fünf Höfe gruppiert sind. Azurblaue Kacheln kleiden die Innenhöfe und verbinden sie durch Brücken und Balkone miteinander, sodass eine dramatische dreidimensionale Matrix aus Ausblicken und Einfriedungen entsteht. Auf ihrer Spitze befinden sich Dachpools. Die Wohneinheiten und ihre Verbindungsachsen sollten variabel, je nach Bedürfnissen ihrer Bewohner*innen, nutzbar sein. Bofills Vision war es, einer utopischen genossenschaftlichen Gemeinschaft Raum zu geben, um die Individuen von vorherrschenden traditionellen Familienstrukturen zu befreien. Die Menschen, die in Walden 7 wohnen, haben sich den Raum zwar wie gewünscht zu eigen gemacht, leben dort nach Bofills Ansicht glücklich und zufrieden und nach ihren eigenen Spielregeln. Allerdings in manchen Aspekten auch wiederum konservativer, als er erwartet hätte.

Der epische Sozialbau Walden 7, in Sant Just Desvern (Barcelona), Spanien, 1975 © Ricardo Bofill Taller Arquitectura

„Alle Orte der Schönheit haben eine sehr negative Seite an sich.”

In einem Interview wird Bofill darauf angesprochen, dass seine Gebäude etwas von einem Raum hätten, der zwischen Realität und Unwirklichkeit changiert, wie es Foucault mit seiner Idee der Heterotopie beschrieb. Darauf antwortet er: „Als ich Abraxas baute, war ich gut mit Michel Foucault befreundet. Seine Ideen waren mir nahe.“ Les Espaces d’Abraxas ist ein dystopisches Großsiedlungsprojekt, das sich in einem Pariser Vorort befindet. Einige werden es aus der Hunger Games Trilogie (2014) wiedererkennen. Auch für die groteske und dunkle Komödie Brazil (1985) von Terry Gilliam gab die Großsiedlung die ideale Filmkulisse ab. Abraxas sei theatralisch – auf eine andere Weise als das Theater des Alltags – stimmte Bofill im selben Gespräch mit seinem Interviewer überein. Der Bau sei überbetont und superlativisch und wenn man hineingehe, fühle es sich falsch an. Genau so wollte er diesen Ort haben.

 

Eine passende Kulisse für Hunger Games: Les Espaces Abraxas, 1982, Marne la Valle (Paris), France ©Ricardo Bofill Taller Arquitectura

 Luxus liegt für Bofill in einem Ort, in einem Lebensstil, nicht in goldenen Objekten

Manch einer bezeichnete seine sozialen Wohnsiedlungen wie das mit neoklassizistischen Elementen versetzte Abraxas als Versailles für das Volk. Ist das eine spöttische Bemerkung, die das Projekt als gescheitert abtut? Oder kann Bofill anerkennend nachgesagt werden, er habe den Massenwohnungsbau revolutioniert? Im Gespräch mit Deutschlandfunkkultur sieht Nikolaus Bernau die „vielleicht größte Tragik von Bofill” darin, dass er als sozialdemokratischer oder sozialistischer Wohnungsbaureformer angefangen habe und dann ein kapitalistischer Architekt geworden sei. Ist Bernaus Kritik an den richtigen Adressaten gerichtet? Ist es Bofills Scheitern oder nicht auch das der Gesellschaft, dass beispielsweise Walden 7, eine Wohnsiedlung, die offen für alle sein sollte, mittlerweile hohe Mietpreise hat und die Wohngemeinschaft sich nach außen abgrenzt? Bofill hatte eine sozialistische Vision. Es ist ebenso wichtig, die Frage zu stellen, wie eine Vision in ihrer Umsetzung geschützt werden kann. Auch darüber, ob Abraxas wirklich auf die Bedürfnisse der Bewohnenden hin entworfen wurde oder ob es eher als epische Kulisse für ein Leben im düsteren Neoklassizismus herhält, wird sicher auch zukünftig noch diskutiert. Aktuell sind Debatten um soziales und nachhaltiges Bauen und Umnutzung präsenter denn je. Ricardo Bofill hat einen bedeutenden Grundstein für kreative Überlegungen dazu geliefert, deren Ästhetik und Erfindungsreichtum bis heute in ihren Ambivalenzen nachwirken.

Ricardo Bofill Levi starb am 14. Januar im Alter von 82 Jahren an den Folgen einer Covid-19-Infektion in seiner Heimatstadt Barcelona.

Ricardo Bofill Levi bezeichnete sich selbst als ewigen Nomaden ©Ricardo Bofill Taller De Arquitectura

Einen Großteil seines Werkes deckt die Monographie „Ricardo Bofill: Visions of Architecture” des Gestalten Verlags von 2019 ab.