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Feiern ohne Rausch – Die Revolution der Sober Raves

Ausgelassen auf Partys tanzen geht nur mit Alkohol? Die Sober Rave-Bewegung ist Teil einer gesellschaftlichen Trendwende und überzeugt Partygänger vom Gegenteil.

Wummernde Bässe, vernebelte Sinne, ein dunkler Raum voller ausgelassen tanzender Menschen und ein Alkoholpegel, der das Schamgefühl reduziert und Selbstbewusstsein schenkt. Warum gehen Menschen eigentlich feiern? Für viele ist eine Party ein Szenario, das es einem erlaubt, seinen Alltag abzustreifen, sich von Sorgen frei zu machen und sich gehen zu lassen. Eine häufig gebrauchte Phrase in der Partyszene ist die Flucht in eine nächtliche Parallelwelt. Oft steht dieser Gedanke im Zusammenhang mit dem dabei geläufigen Konsum von Alkohol und Drogen, der dieser Welt ein Stück als Bausubstanz dient. Brauchen wir den Einfluss von Alkohol und Drogen, um in diese zwanglose Parallelwelt abzutauchen oder geht all das auch ohne?

Europa lebt immer gesünder

Auf den sozialen Medienplattformen, in der Werbung und in Zeitschriften wird ein Trend seit einigen Jahren besonders intensiv vermarktet: ein gesunder, nachhaltiger Lifestyle. Hashtags wie #healthylifestyle (47,3 Millionen Beiträge) oder #vegan (79 Millionen Beiträge) dominieren die soziale Medienwelt und bewegen die Nutzer zum Nachahmen. Auch das wachsende globale Umweltbewusstsein bringt veränderte Ess- und Lebensgewohnheiten mit sich. Immer mehr Menschen ernähren sich vegetarisch oder vegan, treiben Sport und achten auf ihren ökologischen Fußabdruck. Und wer das noch nicht tut, der hat bereits davon gehört. Denn eine neue Studie der WHO beweist, dass wir Europäer immer gesünder leben und unser Altersdurchschnitt allein in den letzten 5 Jahren um ein Jahr gestiegen ist. Das Ergebnis einer repräsentativen Befragung durch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung hat ergeben, dass die Anzahl an Jugendlichen in Deutschland, die noch nie Alkohol getrunken haben, mit 38 Prozent auf einem Rekordhoch ist. Alkohol scheint unter Jugendlichen aus der Mode zu kommen.

Beim Tanzen produzieren Menschen Endorphine. Foto: Max Pixel

Party als bewusst gesunde Erfahrung

Nach der intensiven Ära der Techno-Raves in den 90er- und 00er-Jahren folgte eine aus den eigenen Reihen der Raver angestoßene Rückbesinnung auf den wesentlichen Aspekt einer Party, ohne den Alkohol- und Drogenkonsum. Aus dem Wunsch heraus, seinen Körper gesundheitlich zu entlasten und sich dennoch der Party-Atmosphäre hinzugeben, entstanden vor 20 Jahren in den USA die ersten „Sober Raves“ (auf Deutsch: nüchterne Partys). Im Zuge dessen finden auch in Deutschland „nüchterne“ Events statt, die diesen Trend unterstützen.

Olivia Wellensiek ist eine Pionierin auf dem Gebiet der deutschen Sober Raves. Sie ist die Initiatorin der beliebten Veranstaltung Oase in Berlin, die Menschen, die sich dem unbetäubten Party-Genuss hingeben möchten, miteinander verbindet.

 

Ich denke, dass sich das Bedürfnis entwickelt hat, nachhaltig zu handeln. Das bezieht sich eben nicht nur auf Mobilität, Nahrung und den Umgang mit unseren Ressourcen, sondern auch auf das allgemeine Konsumverhalten und wie wir mit unseren Körpern und der Umwelt umgehen.“ – Olivia Wellensiek

Der Ursprung des Rauschzustands

Menschen auf einem Sober Rave widmen sich voll und ganz dem Erleben einer Party. Ein Sober Rave bringt den Partygänger zu den Ursprüngen des Rauschs zurück, nämlich dem gemeinschaftlichen Genuss der Musik, der Atmosphäre, den ausgelassen Menschen und dem gelösten Tanz. Eine der bekanntesten Party-Reihen dieser Art ist der Ecstatic Dance. Dieser hat sich mittlerweile auf der ganzen Welt etabliert. Von Thailand über Neuseeland nach Deutschland – gesund zu raven wird immer beliebter. „Ohne Einfluss“ bedeutet in diesem Fall auch eine Party ohne Smartphones und Selfies, ohne Gespräche auf der Tanzfläche und ohne Schuhe. Man konzentriert sich allein auf die Musik, die Menschen um einen herum und auf die Bewegungen, die der Beat in einem hervorruft.

Das kann schon mal sehr ausgefallen, andersartig und wild sein. Ecstatic-Dance-DJ Pascal de Lacaze ist begeisterter Sober Raver sowie Mitbegründer der Veranstaltung und legt regelmäßig bei den Events auf. Für Ecstatic Dance ist er bereits weit gereist, spielt mehrmals pro Jahr in verschiedenen Städten und verbreitet die gesunde Party-Reihe so auf der ganzen Welt.

„Die einzigen Stimulanzien bei Ecstatic Dance sind Endorphine, gute Musik und Kakao, wenn man mag. Unsere Besucher schätzen eine sichere Atmosphäre, in der sie sich entspannen und loslassen können.“ – Pascal de Lacaze

Doch realistisch betrachtet ist es in einer Gruppensituation in gewohnter Party-Atmosphäre nicht einfach, auf Alkohol zu verzichten. Nachdem Olivia für sich entschieden hatte, ihren Körper nicht mehr mit Alkohol und Drogen zu belasten, war es fast noch schwerer, dass sich auch ihr Umfeld mit ihrer neuen Lebensweise anfreundete. „Es war ein langer Weg für mich, dabei zu bleiben. Ich habe mir immer wieder gewünscht, Menschen zu treffen, die es ebenfalls wertschätzen, einen klaren Kopf zu behalten und nur durchs Tanzen high zu sein.“ So ist ein Sober Rave nicht nur ein Konzept, das einschlägt, sondern auch eines, das verbindet. Das findet auch Pascal: „Die Leute wollen aufgeschlossene und offenherzige Menschen treffen. Sie tanzen gerne frei zur Musik – ohne verurteilt zu werden, wie sie aussehen oder wie sie sich bewegen.“

So wurde mit Veranstaltungen wie der Oase und dem Ecstatic Dance ein Raum geschaffen, in dem man sich vorurteilsfrei bewegen kann. Vorbereitung braucht es keine, man kann einfach hinkommen und mittanzen. Oft folgen die Veranstaltungen denselben Grundregeln, jedoch mit verschiedenen Abläufen. Bis zu 150 Leute können dabei in den noch kleinen Event-Locations angetroffen werden. Ob mit oder ohne Begrüßungskreis, Kakaozeremonie und Meditation, am Ende geht es im wahrsten Sinne des Wortes immer um die Entdeckung des eigenen Selbstbewusstseins während eines kollektiven Loslassens. Olivia war es wichtig, eine Atmosphäre zu kreieren, in der ihre Besucher sich ausprobieren können und erleben, wie Tanz und Sound auf uns einwirken. „Ich habe mit der Oase einen Ort geschaffen, an dem das passiert, was mich am meisten berührt und – im wahrsten Sinne des Wortes – bewegt. Keine Chemie, keine Betrunkenen und kein Müll.“

Der Sober Rave als Gegenbewegung

Der Sober Rave lebt zwar aktuell durch den anhaltenden Gesundheitstrend auf, fungiert allerdings gleichzeitig als Gegenbewegung zu den Verhaltensweisen, die unsere Gesellschaft seit einigen Jahren dominieren. Der Druck der Selbstdarstellung auf sozialen Medien, der ständige Smartphone-Gebrauch, die Erreichbarkeit, der Konsum von chemischen Drogen und Alkohol sowie der Verlust von echtem Kontakt. Alkohol hilft nicht, eine Verbindung zu sich und seiner Umwelt zu finden, sondern schließt sie eher aus. Eine nüchterne, bewusste Annäherung verbindet uns Menschen mehr, als es Alkohol je könnte.

Realistisch betrachtet werden Menschen auch zukünftig das Bedürfnis haben, ihrem Alltag zu entfliehen. Jedoch wird mit Wellness-Bewegungen wie dem Sober Rave ein wachsendes Bewusstsein dafür geschaffen, auf gesündere Art mit seinen Sorgen und seinem Alltagsstress umzugehen. Olivia blickt der zukünftigen Entwicklung der nüchternen Party-Szene positiv entgegen: „Ich hoffe, dass die Menschen realisieren, dass Alkohol und Drogen zwar spannend wirken, die Party aber mit der richtigen Herangehensweise auch nüchtern genau so intensiv erlebt werden kann.“