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Bild: Ehimetalor Akhere Unuabona

Feuer mit Feuer bekämpfen: Kann uns nur der radikale Öko-Aktivismus noch retten?

Der Klimawandel hat begonnen. Die 1,5 Grad Erderwärmung ist unaufhaltsam. Für viele bedeutet das vor allem Angst um ihre Zukunft. Mit drastischen Protesten versuchen Organisationen bereits seit Jahren, ein Umdenken zu erzielen. Kann uns der radikale Öko-Aktivismus noch retten?

Der aktuelle wissenschaftliche Klimareport der UN malt ein düsteres Bild für unsere Zukunft: Ein Anstieg der globalen Temperatur um 1,5 Grad Celsius in den nächsten 30 Jahren ist nicht mehr aufzuhalten. Wenn wir uns jetzt für radikale Maßnahmen einsetzen, so steht es im Bericht, können wir einen weiteren Anstieg in den nächsten 60 Jahren und damit noch katastrophalere Auswirkungen verhindern. Doch selbst dann ist eines klar: Wir müssen uns auf verheerende Änderungen in den nächsten Jahren einstellen.

Vor allem die jüngere Generation macht das wütend, denn sie werden die meisten Folgen des Klimawandels zu spüren bekommen. Für viele reicht der Verzicht auf Fleisch, Flug und Verpackungsmüll nicht mehr: Bewegungen wie Extinction Rebellion aber auch Fridays for Future fordern drastischere Maßnahmen. Doch schon vor Greta Thunberg gab es Bewegungen und Organisationen, die sich mit radikalen Protesten dem Klimawandel stellten. Vom zivilen Ungehorsam bis Rohrbomben: Woher kommt der radikale Öko-Aktivismus? Und können uns drastische Maßnahmen noch retten?

Vor allem die jüngere Generation macht der Klimawandel wütend, denn sie werden die meisten Folgen spüren. Aktivistin Greta Thunberg setzt sich auf einer Fridays for Future Demo in Hamburg für mehr Umweltbewusstsein ein. Bild: Christoph Bellin

Die Wut wächst: Entstehung eines Umweltbewusstseins

Umweltbewusste Bewegungen gibt es bereits seit Jahrhunderten. So propagierten zum Beispiel die Romantiker*innen des 19. Jahrhunderts die Rückkehr zu einem naturverbundenen Leben im Einklang mit der Natur. Im Laufe des 20. Jahrhunderts entstand u.a. mit der vermehrten Veröffentlichung von Studien ein zunehmendes Bewusstsein für den Einfluss des Menschen auf die Umwelt. Während sich Forderungen wie Willy Brandts „Der Himmel über dem Ruhrgebiet muss wieder blau werden“ 1961 zunächst noch auf die Gesundheit der Menschen konzentrierte, rückte im Laufe der 1970er und 80er Jahre auch der Einfluss auf Tiere und Ökosysteme weiter in das Zentrum des allgemeinen Umweltbewusstseins.

Grund hierfür war auch eine Vielzahl an Umweltkatastrophen, die über die Jahre hinweg passierten: Die Ölkatastrophe von Santa Barbara 1969, bei der 10.000 Tiere verendeten, die zunehmende Ausdünnung des Ozonlochs und das Tschernobyl-Unglück von 1986 trugen zu einem verstärkten Umweltbewusstsein bei. Bilder von leidenden Tieren, verpesteten Meeren oder kranken Menschen im Fernsehen und in Zeitungen verstärkten die emotionale Auseinandersetzung mit den Umweltthemen und führten mehr Menschen in den Öko-Aktivismus, der sich teilweise radikalisierte.

Das Tschernobyl-Unglück trug zu einem verstärkten Umweltbewusstsein bei, das bis heute anhält. Bild: Oliver Schöpgens

Nur darüber reden ist nicht mehr genug

Die Anti-Atomkraft-Bewegung war in den 1970er Jahren eine der ersten großen Öko-Bewegungen in Deutschland. Während es in den 50er und 60er Jahren noch selten zu Protesten kam, wurden durch die zunehmenden Bestrebungen zur Errichtung neuer Atomkraftwerke auch die Gegenbewegungen lauter und radikaler. So wird im Jahr 1976 das Kernkraftwerk Brokdorf an der Unterelbe zum Schauplatz bürgerkriegsähnlicher Zustände, als Polizist*innen und militante Atomkraftgegner*innen aufeinandertreffen.

Auch Greenpeace ist 1971 mit der Anti-Atombewegung entstanden. Auslöser für die Gründung der Organisation waren Kontroversen um unterirdische Atombombentests auf der Amchitka Insel in Alaska. 1980 eröffnete auch in Deutschland ein Büro. In den ersten Aktionen protestierten die Mitglieder in der niedersächsischen Stadt Nordenham gegen eine Verladebrücke der Unternehmen Kronos Titan und Bayer, die Dünnsäure in die Weser leiten sollte. Um dies zu verhindern, wurden Rettungsinseln am Verklappungsschiff Kronos angeleint, welches den Giftmüll im Wasser entsorgen sollte. Zudem schütteten sie zentnerweise missgebildete Fische vor das Bayer-Werk in Brunsbüttel, um auf die Einleitung der Gifte ins Meer aufmerksam zu machen.

Öko-Terrorismus – eine echte Gefahr?

In den 90er Jahren wird der Ton zunehmend schärfer und Protestierende international vernetzter: Organisationen wie die Earth Liberation Front (ELF) wollen keine Kompromisse mehr für die Rettung des Planeten in Kauf nehmen. Aktivist*innen platzieren Rohrbomben vor Pelzfarmen, legen Feuer in Schlachthöfen und sabotieren mit dem sogenannten Tree Spiking (das Einführen von Metallnägeln ins Holz, um Kettensägen zu beschädigen) das Abholzen von Wäldern. Dabei ist ihnen immer wichtig: Kein Mensch oder Tier soll zu Schaden kommen. Trotzdem wächst in der Politik die Angst vor der „grünen Bedrohung”: Öko-Terrorismus wird zum immer größeren Schlagwort, vor allem in den USA. Immer härter wird gegen teilweise legale Proteste vorgegangen. Aktivist Jeffrey Luers wurde 2008 zu 22 Jahren Haft verurteilt, nachdem er durch das Anzünden von drei LKWs einen Schaden von gerade einmal 40.000 Dollar verursacht hat.

In der Politik wächst die Angst vor der „grünen Bedrohung”, Öko-Terrorismus wird zum immer größeren Schlagwort. Die Berliner CDU erfragte die Möglichkeit, die 2018 gegründete Extinction Rebellion beim Verfassungsschutz als „extremistische Organisation” beobachten zu lassen. Bild: Ehimetalor Akhere Unuabona.

Auch die 2018 gegründete Extinction Rebellion fällt immer wieder unter den Verdacht des Ökoterrorismus. Gegründet als Aktion von Hunderten Wissenschaftler*innen, wuchs die Organisation, ähnlich wie die Fridays for Future Bewegung, schnell zum Hoffnungsträger einer verzweifelten Generation an. Bei den Protesten setzen Mitglieder auf zivilen Ungehorsam; die Aktionen sollen immer gewaltfrei bleiben. In einer spektakulären Aktion vergossen Protestierende mehrere Liter Kunstblut vor dem Wohnsitz des englischen Premierministers. Während die Straßenblockaden und Kunstaktionen einige Autofahrende und Klimaleugner*innen zur Weißglut bringt, ist für andere Organisationen das Vorgehen von Extinction Rebellion nicht radikal genug. Von vielen Seiten kommt Kritik an der engen Zusammenarbeit mit der Polizei, Mitglieder werden angewiesen, sich nicht gegen Verhaftungen zu wehren. Trotzdem blieb auch die Empörung in der deutschen Politik nicht aus: Die Berliner CDU erfragte die Möglichkeit, Extinction Rebellion beim Verfassungsschutz als „extremistische Organisation” zu beobachten. Berlins FDP-Fraktionschef Sebastian Czaja nannte die Aktionen sogar „dummdreist“.

Zeit für radikale Politik

Politik und Staat sehen im Öko-Terrorismus eine Bedrohung für den zivilen Gehorsam, doch sind es vor allem Sachschäden, die durch radikale Aktionen, wie die der Earth Liberation Front entstanden sind. Auch wenn gelegentlich Aktionen durch Unfälle zu Verletzung von Menschen führen (wie zuletzt bei einer Motorschirm-Protestaktion von Greenpeace): Ein Vergleich zu anderen terroristischen Vereinigungen, wo Menschen gezielt getötet werden, ist nicht zu erkennen. Zudem werden gefährliche Aktionen wie das Tree Spiking, das potenziell Menschen verletzen kann, mittlerweile auch von radikalen Aktivist*innen abgelehnt.

Klimaaktivist*innen werden mittlerweile angewiesen, sich nicht gegen Verhaftungen zu wehren. Bild: Ehimetalor Akhere Unuabona

Der Soziologe Jürgen Habermas nennt zivilen Ungehorsam einen „Wesenszug einer reifen politischen Kultur“. Es ist also ein legitimes Mittel, wenn der Staat an konkreten Herausforderungen scheitert. Bisher haben friedlichere Proteste, wie die der Fridays for Future Bewegung, nur wenig gebracht: Forderungen, die an die Politik gestellt wurden, werden größtenteils ignoriert oder übergangen.

Die jahrelange Arbeit von teilweise radikalen Aktivist*innen, die durch spektakuläre Aktionen unser Umweltbewusstsein schärften, haben dagegen den Klimawandel auf die Titelseiten unserer Zeitungen gebracht. Der Gegenwind, der heute selbst friedlicheren Aktionen wie der Fridays for Future entgegenschlägt, zeigt zudem, dass ein Nerv getroffen wird. Die Themen Klimawandel und Umweltverschmutzung sind nicht nur durch das Wahljahr 2021 so wichtig wie nie zuvor. Ohne die drastischen Aktionen der letzten Jahre, die große Emotionen ausgelöst haben, wäre dies wohl nicht geschehen.

Ob man die radikalen Aktionen von Greenpeace und Co. daher gut findet, ist zweitrangig: Sie haben zu politischen Umstrukturierungen, Regulationen von Unternehmen und zum Umdenken in der Gesellschaft beigetragen. Kann unser Planet durch radikale Proteste also doch noch gerettet werden? Aktivist*innen haben in den letzten Jahrzehnten ihr Bestes getan, durch radikale Aktionen die Politik unter Druck zu setzen. In Anbetracht einer globalen Erderwärmung um 1,5 Grad ist es an der Zeit, dass die Politik jetzt auch radikal handelt.