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Food Racism ist real – Interview mit Food Content Creator Sissi Chen

Sissi Chen liebt Essen. Auf ihrem Instagram-Kanal eatinginberlin beschäftigt sie sich bildgewaltig mit verschiedenen Esskulturen und ihre Geschichte. Über ihren persönlichen Zugang zu Essen, ihrer Haltung gegenüber kultureller Aneignung und die rassistischen Vorurteile gegenüber chinesischer Küche hat Sissi mit uns gesprochen.

Wie geht es dir mit dem Wort Heimat? Kannst du mit dem Konzept etwas anfangen?

Tatsächlich finde ich persönlich das Wort schwierig, weil ich aus vielen verschiedenen Gründen keinen Ort habe, den ich als Heimat bezeichnen würde. Damit können sich vielleicht andere, die so wie ich zwischen zwei verschiedenen Kulturen aufgewachsen sind, oder auch die sogenannten „third culture kids“, die sich nirgendwo heimatlich fühlen, identifizieren. Heimat steht auch für Wurzeln und Herkunft. Das wäre für mich China, weil ich in China geboren bin und dort die ersten sieben Jahre meines Lebens verbracht habe. Aber auch das ist nicht so richtig meine Heimat, weil Heimat für mich ein Ort ist, an dem man sich wohlfühlt, und nicht diskriminiert oder anders behandelt wird. Und das werde ich in China leider schon, denn sobald die Leute merken, dass ich nicht so gut Chinesisch kann, bin ich für sie sofort „westlich“ und keine „richtige“ Chinesin.

Welche Beziehung hast du heute mit chinesischem Essen?

Essen ist mein Zugang zum Thema Herkunft. Um deine Frage zu beantworten, muss ich ein bisschen weiter ausholen: Meine Eltern haben eine sehr schwierige Zeit Chinas miterlebt: Kulturrevolution, größte Hungersnot der Welt, alleine aufwachsen, da meine Großeltern aufs Land verbannt wurde. Diese Erlebnisse waren für meine Eltern traumatisch. Das hat dazu geführt, dass sie, als wir nach Wien gezogen sind, die chinesische Kultur abgelehnt haben. Deshalb ist für mich das Einzige, was von meinen chinesischen Wurzeln geblieben ist, das Essen. Ich bin bei meinen Großeltern aufgewachsen, weil meine Eltern schon in Österreich waren, und die guten Momente, die ich in Erinnerung habe, sind eigentlich fast alle mit Essen verbunden, weil Essen in der chinesischen Kultur stark verankert ist. Auch Intimität, Nähe und Liebe werden in der chinesischen Kultur vorwiegend über Essen ausgedrückt. Und das ist etwas, was ich mit Eating in Berlin zelebriere. Einerseits versuche ich über das Essen, meine Herkunft für mich persönlich aufzuarbeiten. Andererseits möchte ich auch, dass andere Leute einen leichteren Zugang zur chinesischen Küche haben.

Du bist in China geboren, in Wien aufgewachsen und lebst heute in Berlin. Wie haben diese verschiedenen Stationen deine kulinarische Biografie geprägt?

Dadurch, dass ich die ersten Jahre in China verbracht habe, sind meine Geschmacksknospen sehr chinesisch. Chinesisches Essen besteht in der Regel aus drei, vier verschiedenen Geschmäckern gleichzeitig. Es ist nie flach, man hat immer Kombinationen aus süß, sauer, salzig oder scharf, süß, sauer und die meisten Gerichte haben einen gewissen Grad an Komplexität. Dadurch, dass ich damit aufgewachsen bin, suche ich nach dieser Komplexität von Geschmäckern auch, wenn ich essen gehe oder etwas koche.

Auf deinem Kanal interessierst du dich nicht nur für gute Restaurants oder spannende Gerichte, sondern auch für die Esskultur anderer Länder. Wie bist du dazu  gekommen, die Kultur hinter Gerichten in den Vordergrund zu stellen?

Ich habe Eating in Berlin angefangen, weil das für mich ein Weg war, mehr über meine Herkunft zu erfahren. Ich bin in Peking geboren, aber die Familie meines Vaters kommt aus Yunnan. Das ist ganz im Süden Chinas und grenzt an Vietnam, Laos und Myanmar. Für mich war es spannend, die Unterschiede zwischen Nord- und Südchina besser zu verstehen. Und so ähnlich gehe ich auch beim Essen aus anderen Ländern ran, weil mich tatsächlich interessiert, wo das herkommt und wie es dazu gekommen ist. Essen hat ja immer verschiedene Komponenten. Man kann es zum Beispiel über die Zutaten betrachten. Aber für mich ist tatsächlich der kulturell-historische Kontext am spannendsten. Und deshalb reise ich viel. Mich interessiert, wie Essen regional die Menschen beeinflusst, die dort leben, wie und warum es so entstanden ist. Wie wird mit Gerichten aus der Kolonialzeit umgegangen, werden sie zelebriert und als fester Bestandteil einer Kultur gesehen oder kritisch hinterfragt? Man kann nur durch das Essen sehr viel über das Land erfahren, ohne mit jemandem sprechen zu müssen, weil man die Sprache zum Beispiel nicht kann. Und das ist das, was ich beim Thema Essen am spannendsten finde.

“Was Menschen als lecker und als eklig empfinden, als essbar und nicht essbar, was
akzeptiert und was abgelehnt wird, ist kulturell bedingt”, sagt Food Content Creator Sissi Chen. Bild: Sissi Chen.

Welche Rolle spielt Esskultur in unserer Biografie?

Was Menschen als lecker und als eklig empfinden, als essbar und nicht essbar, was akzeptiert und was abgelehnt wird, ist kulturell bedingt. In der aktuellen zentraleuropäischen Kultur wird Fleisch zum Großteil losgelöst vom ursprünglichen Tier konsumiert. Man versucht oft, das Tier bis aufs Filet runterzustrippen, gerade auch in der gehobenen Küche. Du siehst gar nicht mehr, dass es mal ein Tier war, du siehst nur ein geschnittenes Stück Fleisch. In der chinesischen Küche sieht man zum Beispiel oft Hühnerfüße, Fisch wird immer ganz serviert. Man isst alles vom Tier. Und ich glaube, je nachdem, wie man aufgewachsen ist, empfindet man Sachen als fremd und eklig oder halt nicht. Gerade wenn es um Essen geht, müssen Menschen verstehen, dass ihre Perspektive nur eine Perspektive ist und dass andere Perspektiven nicht eklig sind. Ich habe oft erlebt, dass Menschen dann rassistisch werden und sagen ‘Oh, die Chinesen, die essen alles, was kriecht’. Das ist eine sehr eurozentrische Perspektive. Aber für den Großteil der Menschen auf der Welt ist das ganz normales Essen. Da wird nicht unterschieden zwischen Hamster und Kuh, weil Tier ist halt Tier. Solche kulturell angelernten Paradigmen prägen unsere Biografien ganz stark.

Was ist für dich so besonders an deutscher Esskultur?

(lacht) Ich finde deutsche Esskultur sehr fleischlastig und sehr deftig. Wenn ich mal mit Freunden, die vegan oder vegetarisch sind, essen gehe, ist es relativ herausfordernd, etwas zu finden. Was ich ganz gut finde, ist, dass immer viel serviert wird. Ich komme auch aus einer Kultur, wo es immer mindestens doppelt so viel Essen gibt, wie man essen kann. Beim deutschen Essen ist das auch so, ob das jetzt Kohlrouladen, Schweineschnitzel, Schweinebraten oder Käsespätzle sind… Es ist auf jeden Fall immer genug da.

Wie stehst du zu dem Thema Food Appreciation vs. Food Appropriation also kultureller Aneignung beim Essen?

In meiner Position komme ich gar nicht darum herum, mir über das Thema Food Appropriation Gedanken zu machen. Ich finde es schwierig, weil ich nicht der Meinung bin, dass Essen jemandem gehört und auch nicht, dass es einer Kultur gehört. Wenn man sich zum Beispiel die japanische und koreanische Küche anschaut, sieht man, dass sie sehr stark von der chinesischen Küche beeinflusst ist – einfach aus historischen Gründen. Ganz viele Gerichte, wie zum Beispiel Jajangmyeon, Nudeln mit schwarzer Bohnenpaste, das gerade in der koreanischen Küche superpopulär ist, ist quasi die koreanische Adaption von dem chinesischen Zhajiangmian. Wo fängt Appropriation an und wo hört Appreciation auf? Diese Grauzone finde ich sehr interessant. Was häufig passiert – und das ist dann eindeutig Appropriation – ist, wenn Leute, die nicht aus der Kultur kommen, etwas nehmen und sich daran bereichern. Zum Beispiel, dass Leute plötzlich Kurkuma Shots oder Golden Milk machen und das als völlig neu verkaufen, ohne dabei zu erwähnen, dass das in Indien seit Jahrtausenden bereits in der indischen Medizin konsumiert wird. Es gibt zum Beispiel auch in Berlin ein Startup, das Mochi Eis macht, das sind Reiskuchen, die mit Eis gefüllt werden. Das letzte Mal, als ich auf deren Webseite geguckt habe, war dort keinerlei Erwähnung, wo Mochi herkommt und was es ist. Und Mochi ist ein ganz signifikantes Produkt aus der japanischen Kultur. Es gibt so viele Arten davon, daraus kann man viele verschiedene Gerichte machen, die unterschiedlich heißen, unterschiedlich aussehen, zum Teil unterschiedlich zubereitet werden. Ich glaube, der Kontext und die Nuancen sind wirklich wichtig. Wenn jemand etwas aus einer anderen Kultur nimmt, ist es für mich nicht per se schlecht. Es kommt wirklich auf die Feinheiten an. Und wenn Unternehmen einfach gar nicht darauf Rücksicht nehmen und keine Referenzen angeben, finde ich das echt schwierig.

“Ich bin nicht der Meinung, dass Essen jemandem gehört und auch nicht, dass es einer Kultur gehört. Aber wenn Unternehmen keine Rücksicht auf kulturelle Wurzeln von Essen nehmen und keine Referenzen angeben, finde ich das echt schwierig”, sagt Sissi Chen. Bild: Sissi Chen.

Wir haben schon über Vorurteile gegenüber der chinesischen Küche gesprochen. Was antwortest du darauf, wenn Leute sagen, chinesisches Essen ist ungesund?

Da frage ich mich echt, wo das herkommt. Chinesische Küche ist, genauso wie China, groß und sehr vielfältig. Die chinesische Küche, die es in Berlin gibt, ist nur ein Mikrobestandteil davon. Jede eigene Region hat ganz andere Sachen. Zum Beispiel wird in der kantonesischen Küche sehr leicht gekocht, da wird nicht so viel Öl verwendet, sehr mild gekocht und es wird viel frisch zubereitet. Für mich klingt das eher so, dass da einfach eine gewisse Ignoranz mitschwingt. Was für mich ein Trigger ist, ist das Thema MSG (Glutamat). MSG ist absolut unschädlich. Es hat sich aber fälschlicherweise das Vorurteil verbreitet, dass es schädlich ist. Das hat sich bis heute gehalten. Was mir am meisten wehtut, ist, wenn ich sehe, dass asiatische Restaurants draußen hinschreiben ‘no MSG’. Du kannst aber gar nicht ohne MSG kochen, weil es ein natürliches Produkt ist. Es kommt in Tomaten vor, in Salami, in Käse, in Fischsoße. Es schmerzt mich schon ein bisschen, zu sehen, dass gewisse Vorurteile darauf basieren, dass Leute einfach ignorant sind und rassistische Vorurteile übernehmen. Solche Vorurteile sind tatsächlich auch schädlich. Dadurch, dass ich mich mit dem Thema Essen schon relativ lange beschäftige, habe ich mir schon alle möglichen Sachen anhören müssen, was chinesisches Essen, Stereotypen und Rassismus betrifft. Ganz beliebt ist der Klassiker, dass in China Hunde gegessen werden. In solchen Situationen frage ich mich immer, wer sitzt mir hier gegenüber? Habe ich das Gefühl, dass die Person das mit Neugier sagt und offen ist, mehr zu erfahren? Oder habe ich das Gefühl, dass die Person das als Fakt statuiert?

Einerseits ist Essen in den sozialen Medien ein gefeiertes Thema. Andererseits geht der Trend in Zeiten von Sixpacks und Traumfiguren auf Instagram auch zu einer besonders restriktiven Ernährungsweise und Diätkultur. Wie siehst du diese Entwicklung?

Diese Health-Trends sind zumindest in meiner Social Media-Blase weniger geworden. Ich glaube, das sind zwei verschiedene Welten. Leute, die diesem Health-Trend folgen, sind vielleicht nicht unbedingt die, die so richtig das Essen zelebrieren. Leute, die so ein “healthy life” leben, für die kann Essen ein Mittel sein, um das Ziel zu erreichen, gesund zu leben und fit zu sein. Und Leute, die das Essen zelebrieren, da ist der Schwerpunkt das Essen: Wie wird das gekocht, wo kommt das her, wie sieht das aus, aus welchen Komponenten besteht es, was steckt dahinter etc.

Wie sieht für dich die Ernährung der Zukunft aus? Was wäre in zehn, 20 Jahren Essen?

Ich hoffe, dass wir in Zukunft weniger tierisch essen. Ganz weglassen wird denke ich global schwierig. Es gibt Studien, die zeigen, dass rein vegane Ernährung nicht komplett umsetzbar ist. In bestimmten Regionen ist es nämlich weniger nachhaltig, Pflanzen anzupflanzen, als Tiere zu halten, weil der Boden das einfach nicht hergibt. Aber ich hoffe, dass die Zukunft des Essens definitiv weniger tierisch ist und es dadurch dann gleichzeitig mehr pflanzliche Ersatzprodukte gibt. Und ich glaube, das ist eher eine realistische Zukunft, als High-Tech- Food und Käferburger. Wir brauchen einfach ein Umdenken, was den Konsum von Tierprodukten angeht.