facebook-likehamburgerlupeoverview_iconoverviewplusslider-arrow-downslider-arrow-leftslider-arrow-righttwitter

Franca Viola – die erste italienische Frau, die sich weigerte, ihren Vergewaltiger zu heiraten

Vergewaltigungen stehen mittlerweile in fast allen europäischen Ländern unter Strafe. Doch in Italien ist es noch gar nicht lange her, dass eine alleinstehende vergewaltigte Frau ihren Peiniger heiraten musste. 

Gesellschaftlicher Wandel ist nichts, was sich über Nacht vollzieht. Im Gegenteil: Es dauert oft Jahre, bis ein Missstand oder eine Ungerechtigkeit behoben sind. Meist sind es die großen Veränderungen fest etablierter sozialer Normen, die am meisten Zeit benötigen. Und immer öfter stellt sich auch die Frage, welche Rolle das Individuum in solchen Transformationen einnehmen kann. Denn was kann ein einzelner Mensch schon tun, damit sich nicht nur seine individuelle Situation verbessert, sondern gleichzeitig die Gesellschaft als Ganzes gerechter wird? Kann das Individuum überhaupt etwas tun?

Die Lebensgeschichte der Italienerin Franca Viola ist der Beweis, dass das möglich ist: Ihr öffentlich ausgetragener Kampf gegen eine traditionelle und überkommene Gesetzgebung ermöglichte vielen anderen Frauen Italiens ein Stück Selbstbestimmung, das diese bis dahin nicht hatten. Denn bis 1981 konnte In Italien laut Gesetzesgebung eine Vergewaltigung durch eine Heirat “wiedergutgemacht” werden. Für alleinstehende Frauen, die vergewaltigt worden waren, bedeutete das konkret, sie sollten den Täter heiraten, um ihre eigene Ehre zu retten. Durch eine solche Heirat– auch als Widergutmachungsehe bezeichnet – verfiel allerdings auch jeglicher Strafbestand. Die Wiedergutmachungsehe hat die Tat der Vergewaltigung damit nachträglich legitimiert.

Der Mut einer jungen Frau sich gegen Mafia, Korruption und Patriarchat aufzulehnen

Die Lebensgeschichte der Italienerin Franca Viola ist der Beweis, dass gesellschaftliche Veränderungen oftmals aus der Kraft von Individuen kommt: Ihr öffentlich ausgetragener Kampf gegen eine traditionelle und überkommene Gesetzgebung ermöglichte vielen anderen Frauen Italiens ein Stück Selbstbestimmung, das diese bis dahin nicht hatten. Bild: Public Domain

Auch Franca Viola sollte sich in ihrem Leben einst diesem Gesetz unterwerfen. Geboren 1947 in Sizilien, verlobte sie sich im Alter von 15 Jahren mit Filippo Melodia. Als sie jedoch herausfand, dass der junge Mann der Mafiaorganisation Cosa Nostra nahesteht, verließ sie ihn. Mit 19 Jahren entführen Melodia und 12 seiner Freunde Franca Viola. Melodia hält sie acht Tage ohne Essen gefangen und vergewaltigt sie mehrfach. Noch während Franca Viola gefangen gehalten wurde, bereitete die Familie des Täters die Hochzeit der beiden vor. Dank Violas Eltern konnte die Polizei das Haus jedoch stürmen und das Mädchen befreien. Nach ihrer Befreiung weigerte sich Franca Viola, die Ehe mit ihrem Peiniger einzugehen. Unterstützt von ihren Eltern beginnt 1966 ein Gerichts- und Medienverfahren, das die Aufmerksamkeit der ganzen Welt auf sich zieht. Schließlich stellten sich Franca Viola und ihre Eltern alleine gegen Gesetze, Traditionen und niemand geringeres als eine brandgefährliche Mafiaorganisation. 

Ihre Ausdauer hatte Erfolg: Der Täter Filippo Melodia wurde wegen der Vergewaltigung zu elf Jahren Gefängnis verurteilt, seine Komplizen zu jeweils fünf Jahren. Und Franca Violas Entschluss, eine bis dahin akzeptierte Konvention nicht mitzutragen, hallte noch weiter nach und änderte die Situation der Frauen in Italien. 

So wurde im Jahr 1981 in Italien das Gesetz abgeschafft, das den Straftatbestand der Vergewaltigung im Falle einer “Wiedergutmachungsehe” aufhob. Auch in Deutschland änderte sich nicht sehr viel später etwas: Zwar gab es hier keine Wiedergutmachungsehe, allerdings galt die Vergewaltigung in der Ehe als legal. Das änderte sich 1997 nach langem parlamentarischen Ringen endlich. In beiden Fällen ist es gut, dass diese Gesetze der Vergangenheit angehören.  

Auch die #metoo-Bewegung wurde von einzelnen Frauen in Gang gesetzt. Was seitdem folgte, sind unter anderem Massenproteste und Gerichtsverfahren gegen männliche Täter in Sexual- und Gewaltdelikten rund um die Welt. Bild: Lynn Friedman (CC BY-NC-ND 2.0)

Wenn uns die Geschichte von Franca Viola eines lehrt, dann, dass jeder einzelne Mensch innerhalb der Gesellschaft Veränderungen vorantreiben kann – sofern er den Mut aufbringt, gegen Missstände aufzustehen. Ein solcher Mut kann als Initialzündung für jede Art von gesellschaftlichem Wandel funktionieren. Gerade im Hinblick auf sexuelle Selbstbestimmung waren es auch in den letzten Jahren oft Einzelschicksale, die andere inspiriert und zu einem Umdenken geführt haben, etwa bei der #metoo-Bewegung. Ein Mensch allein kann also vielleicht nicht die ganze Welt verändern – aber er kann andere dazu ermutigen, es mit ihm gemeinsam zu versuchen.