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Bild: Malvestida Magazine

Schamlücke – Warum haben Frauen durchschnittlich 30% weniger Höhepunkte als Männer?

Frauen verdienen weniger Geld als Männer für dieselben Berufe, Frauen sind in Führungspositionen unterrepräsentiert und sie haben weniger Höhepunkte als Männer. Es wird Zeit dies zu ändern! 

Eines Tages im Biologieunterricht, als wir gerade Sexualkunde durchnahmen, fragte der Lehrer in die Runde, wer denn schon mal in seinem Leben masturbiert hat. Alle Jungs hoben sofort enthusiastisch den Arm. Nicht leise, nicht schüchtern, nicht beschämt, sondern grölend, stolz, lachend, durcheinanderrufend. Keines der Mädchen hob den Arm. In den weiblichen Augen machte sich stattdessen Scham breit. Heute weiß ich, dass das, was damals im Klassenraum passierte, immer noch repräsentativ ist. 27 % der Frauen in Deutschland masturbieren nicht. Das ergab eine neue Umfrage des Sextoy-Herstellers Womanizer. 

Verhütung ja, Orgasmus nein

Nachdem die kurze Umfrage meines Biolehrers abgeschlossen war, fuhr er den klassischen Sexualkundeunterricht fort und erklärte uns, dass wenn ein Mann und eine Frau sich lieben, sie Kinder bekommen. Vom Orgasmus keine Rede. Orgasmen haben in der sexuellen Aufklärung hierzulande scheinbar nichts zu suchen. Aus dem Biologieunterricht sind sie genauso verbannt, wie aus familiären Tischgesprächen. Viel wichtiger: die Verhütung. Das ist Frauensache, natürlich. Mädchen fangen an, die Pille zu nehmen, noch bevor jemand ihnen erklärt hat, was die Klitoris ist. 

93 % der Deutschen wurden im Sexualkundeunterricht weder über männliche, noch über weibliche Masturbation aufgeklärt, das ergab die Womanizer-Umfrage. Stattdessen ging es in deutschen Schulen hauptsächlich um Anatomie, Sex zwischen Mann und Frau, Pubertät, Schwangerschaft, Geburt und Verhütung. Diese Themen besprachen jeweils 4 von 10 der Deutschen“, so die Umfrage. Dabei war die vollständige Größe und Funktion der Klitoris nur bei 6 % der Teilnehmer*innen Thema im Unterricht. 

4 von 10 der Deutschen besprachen Themen wie Verhütung und Pubertät im Sexualkundeunterricht. Bild: Reproductive Health Supplies Coalition

2020 masturbierten Männer in Deutschland durchschnittlich 143 Mal, Frauen nur 45 Mal, also dreimal weniger als Männer, woraus sich eine nationale Gender-Masturbation-Gap von 69 % ergibt. Sextoy-Hersteller Womanizer hat deshalb letztes Jahr den Equal Masturbation Day“ ins Leben gerufen, der am 5. September 2020 stattfand. Dieser Tag steht symbolisch für die Masturbation Gap zwischen den Geschlechtern und soll auf eine gesellschaftliche Schieflage aufmerksam machen: Das Tabu von weiblicher Sexualität und die damit verbundene Scham.“

Laut der Womanizer-Umfrage glauben mehr als ein Drittel der Deutschen, dass Masturbation eher bei Männern akzeptiert ist und dass männliche Masturbation in und durch Popkultur normalisiert ist. Jeweils ein weiteres Drittel gibt an, dass weibliche Masturbation mit Scham und Negativität behaftet ist und dass Männer mehr über Selbstbefriedigung reden als Frauen.

Kein Wunder, wenn der Bio Lehrer gestern noch erklärt hat, dass der einzige Grund, warum sich irgendwer anfassen sollte, die Familienplanung von Mama und Papa ist. Da greift Frau doch lieber zur Pille statt zum Vibrator. Begriffe wie Lust“, Freude“ oder Vergnügen“ haben genauso wenig in der Sexualkunde verloren, wie der Orgasmus selbst. Das konservative Gespenst, dass jungen Mädchen adäquate Aufklärung verwehrt, spukt in deutschen Klassenzimmern immer noch herum. 

Weniger Masturbation = weniger Orgasmen

Frauen, die weniger masturbieren, kennen ihre sexuellen Vorlieben und Bedürfnisse weniger gut, als Frauen, die selbst regelmäßig Hand anlegen. Das spiegelt sich auch in der Gender-Orgasm-Gap wider, die vor allem Frauen betrifft, die mit Männern schlafen. Laut einer US-Studie, für die über 52.000 Menschen befragt wurden, kommen 95 % der heterosexuellen Männer beim Sex meistens oder immer zum Höhepunkt, aber nur 65 % der heterosexuellen und 66 % der bisexuellen Frauen. Schwule (89 %) und bisexuelle (88 %) Männer sowie lesbische (86 %) Frauen schneiden hingegen deutlich besser ab. 

Für die amerikanischen Wissenschaftler*innen spielen nicht biologische, sondern vor allem soziokulturelle Gründe eine Rolle in der Gender-Orgasm-Gap. Sexuelle Doppelstandards, kurz SDS, bei denen Frauen für dasselbe sexuelle Verhalten anders als Männer bewertet werden, produzieren die Orgasmus-Lücke zwischen den Geschlechtern. Das Stigma gegen Frauen, ihre sexuellen Wünsche zu formulieren und auszudrücken, so die Forscher*innen, hindere sie daran, ihre eigene Sexualität zu erkunden. Wenn knapp ein Viertel aller Frauen in Deutschland sogar noch nie masturbiert hat, ist es auch nicht verwunderlich, dass viele Frauen ihre sexuellen Wünsche weder benennen, noch ausdrücken können.

Obwohl sich seit Sex and the City einiges getan hat, ist die weibliche Lust immer noch nicht salonfähig. Es ist, als wäre die Tür zur gleichberechtigten Lust mit der sexuellen Revolution leicht geöffnet, aber eben angelehnt geblieben. Zu groß ist immer noch die Sorge, verurteilt zu werden, Umstände zu bereiten oder Aufsehen zu erregen. Diese sexuellen Doppel-Standards implizieren auch immer Scham: Männer, die ihre Lust ausleben, sind männlich und gesund. Frauen, die ihre Lust ausleben, sind Schlampen. 

Keine Hemmungen, eine ethische Schlampe zu sein

In ihrem Buch The Ethical Slut: A Guide to Infinite Sexual Possibilities erobern die Autorinnen Dossie Easton und Janet Hardy den negativ besetzten Begriff der Schlampe zurück und wirken so sexuellen Doppelstandards entgegen. Sie definieren eine Schlampe als eine Person beliebigen Geschlechts, die den Mut hat, ein Leben nach der radikalen Annahme zu leben, dass Sex schön und Lust gut für dich ist“. Statt mit doppeltem Maß wird hier mit unendlichen sexuellen Möglichkeiten gemessen.

In ihrem Buch The Ethical Slut: A Guide to Infinite Sexual Possibilities definieren die Autorinnen Dossie Easton und Janet Hardy eine Schlampe als eine Person beliebigen Geschlechts, die den Mut hat, ein Leben nach der radikalen Annahme zu leben, dass Sex schön und Lust gut für dich ist“. Bild: Djamilia Prange de Oliveira

Wenn wir die Orgasmus-Lücke schließen wollen, brauchen wir nicht nur mehr Mut, ethische Schlampen zu sein, sondern auch mehr Aufklärung, die den Blick mehr auf die unendlichen Möglichkeiten der Lust und weniger auf Tabuisierung und traditionelle Rollenbilder richtet. Denn schlussendlich geht es in der Gender-Masturbation- und der Gender-Orgasm-Gap nicht um Sex, sondern um Scham. Eine fehlende und lückenhafte Aufklärungsarbeit spielt weiterhin eine große Rolle, wenn es um die Akzeptanz von Masturbation geht“, heißt es auch in der Womanizer-Pressemitteilung. Die gute Nachricht ist, dass Frauen heute mehr als je zuvor masturbieren, wir sind also auf dem richtigen Weg. 2021 masturbierten Frauen durchschnittlich viermal mehr als im Vorjahr. Die nationale Gender-Masturbation-Gap ist somit dieses Jahr von 69 % auf 62 % gesunken und der Equal-Masturbation-Day fand dieses Jahr drei Wochen früher, am 14. August statt.