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Bild: Jihoon Jung, courtesy Darcygom, Hallyu! The Korean Wave at the V&A, London, 24 September 2022 –25 June 2023. Supported by the Ministry of Culture, Sports and Tourism -Republic of Korea and Genesis.

Hallyu – eine koreanische Trend-Welle erobert die Welt

Spätestens seit Squid Game ist die koreanische Kultur zum Mainstream-Kult geworden. Südkorea – einst ein armes, vom Krieg zerrissenes und gespaltenes Land – ist heute bekannt für moderne Technologien und Megacities. Die bekanntesten Exporte Südkoreas sind jedoch TV-Dramen, K-Pop, Filme, einheimisches Essen und Beautyprodukte. Die K-Wave ist nach Europa geschwappt und hat einen Namen – HALLYU!

Es gab eine Zeit, in der, als ich erzählte, dass ich koreanische Wurzeln habe, die erste Frage war, ob ich aus Süd- oder Nordkorea stamme. Denn bekannt war Südkorea nur als demokratischer Nachbar Nordkoreas. In der Schulzeit wurde koreanisches Essen wie Kimchi aufgrund des intensiven Geruchs verspottet. K-Pop war ein Nischenprodukt und albern, koreanische Filme oder Dramen kannten nur Asien-Fanatiker.

Seit Netflix-Erfolgen wie „Squid Game“, eine Serie, die weit über 100 Millionen Zuschauern in mehr als 80 Ländern gesehen haben, Psy’s „Gangnam Style“, eins der meist gesehenen Youtube-Videos aller Zeiten und Kimchi, das neue Superfood unserer Zeit, spricht jeder über die koreanische Kultur. Der Begriff Hallyu (chinesisch: hanliu „koreanische Welle“) bezeichnet diese Popularität von koreanischen Kultur-Produkten, beginnend in den 90er-Jahren durch die Verbreitung von K-Dramen. Insgesamt ist der Export koreanischer kultureller Produkte zwischen 1998 und 2014 um mehr als das 20-fache, von 189 Mio. auf 4 Mrd. US-Dollar angestiegen.

Seit Netflix-Erfolgen wie „Squid Game“, eine Serie, die weit über 100 Millionen Zuschauern in mehr als 80 Ländern gesehen haben, Psy’s „Gangnam Style“, eins der meist gesehenen Youtube-Videos aller Zeiten und Kimchi, das neue Superfood unserer Zeit, spricht jeder über die koreanische Kultur. Bild: Squid Game S1, Netflix, Courtesy of: Hallyu! The Korean Wave at the V&A, London, 24 September 2022 –25 June 2023. Supported by the Ministry of Culture, Sports and Tourism -Republic of Korea and Genesis.

Hallyu ist kein europäisches Phänomen, sondern wird global zelebriert. Koreanische Pop-Kultur hat sogar Anklang im US-amerikanischen Markt gefunden, der sonst relativ schwer von außen zu durchdringen ist. Parasite ist zum Beispiel der erste fremdsprachige Film, der bei den Oscars als bester Film ausgezeichnet wurde. K-Pop Band BTS hat unzählige Billboard-Rekorde gebrochen und zierte bereits das Cover des TIME Magazins. Mittlerweile wurden 26 koreanische Wörter in das Oxford Dictionary aufgenommen, zu denen Hallyu, Oppa (koreanische männliche Anrede) und K-Pop gehören, und es vergeht kaum ein Tag, an dem ich nicht jemanden kennenlerne, der Koreanisch lernt. Diverse Forschungen beschäftigen sich mit dem Phänomen Hallyu. Dabei wird immer wieder versucht, die Frage zu beantworten: warum ist die koreanische Kultur so beliebt?

Eine erfolgreiche Marketing-Maschine

Einer der Gründe ist, dass Südkoreas Pop-Kultur seit den 90ern gezielt von der Regierung, aber besonders von der Wirtschaft als Produkt vermarktet wurde. 2012 schätzte das koreanische Ministerium für Kultur, Sport und Tourismus den Wert von Hallyu auf 83,2 Milliarden US-Dollar. Daraufhin wurde ein Komitee innerhalb des Ministeriums gegründet, welches Unternehmen aus der Unterhaltungsbranche und aus dem Kulturministerium enger zusammenbringen sollte. Die Unternehmen, welche den Kulturbetrieb global wettbewerbsfähig gemacht haben, sind die großen Firmen Südkoreas: CJ und Lotte in der Filmindustrie, und Hybe, SM, YG und JYP in der Musikindustrie.

Durch Marktforschung und gezieltes Marketing dieser Firmen wurden K-Dramen erfolgreich. Sobald diese global beliebter wurden, wurden Einschaltquoten eingehend untersucht. Das Ergebnis: die meisten Zuschauer:innen sind weiblich. Der Inhalt von K-Dramen wurde auf die Zuschauer:innen angepasst, sodass Romantik und weibliche Charaktere im Vordergrund standen. Dabei stellten sie eine gekonnte Alternative zu amerikanischen Serien dar, in denen Frauen oft übersexualisiert und objektifiziert werden. Seien es Musikvideos – bunt und schrill, Soaps voller schöner Menschen, oder Filme – oft tiefgründig und düster: Koreanische Produkte haben eine eigene Ästhetik entwickelt. Außerdem müssen sich koreanische Filme und auch K-Pop-Videos mit ihrem hohen Produktionswert und entsprechender Qualität nicht vor der Konkurrenz verstecken. Dieser Erfolg spiegelt sich auch darin wider, dass Netflix eine eigene Spalte für koreanische Filme und Serien hat.

Politische Neutralität zahlt sich im globalen Markt aus

Natürlich wird Kultur nicht nur in Korea von der Wirtschaft gefördert, vergleichsweise erfolgreich ist momentan aber kein anderes Land dieser Größe. Hilfreich ist, dass Südkorea trotz enger Beziehung zu den USA global gesehen fast eine politische „Neutralität“ einnimmt. Hallyu funktioniert auch deshalb, weil das Land vorteilhafterweise als „nicht-offensiv“ angesehen wird. Südkorea hat ein nicht-konfrontatives Image, während Kulturgüter aus den USA, China oder arabischen Staaten sofort eine gewisse Polarisierung erfahren.

Der Erfolg von Hallyu hängt sicherlich auch mit den Werten der südkoreanischen Gesellschaft zusammen. Bild: Installation image of exhibition introduction with PSY’S Gangnam Style, at Hallyu! The Korean Wave at the V&A Ⓒ Victoria and Albert Museum, London (1). Courtesy of: Hallyu! The Korean Wave at the V&A, London, 24 September 2022 –25 June 2023. Supported by the Ministry of Culture, Sports and Tourism -Republic of Korea and Genesis.

Der Erfolg von Hallyu hängt sicherlich auch mit den Werten der südkoreanischen Gesellschaft zusammen. Disziplin und Perfektionismus spiegeln sich auch in der Arbeitsmoral von Kulturproduktionen wider. Südkorea nimmt zum Beispiel die Erschaffung seiner Prominenten sehr ernst und ihr Image wird akribisch aufgebaut. Viele der oben genannten Unternehmen lassen angehende Stars bis zu 13-Jahres-Verträge unterschreiben, in denen nicht nur das öffentliche, sondern auch das private Leben bestimmt wird. Sie verbringen oft die Hälfte dieser Zeit mit ihrer Ausbildung. Die aufstrebenden Entertainer:innen dürfen erst dann debütieren, wenn Marke und Auftritt perfektioniert worden sind. Währenddessen wird gleichzeitig ihre Medienpräsenz angelegt. Zum Beispiel hatte die Boygroup BTS bereits vor ihrem Debüt Song Covers und Tanzchoreographien in ihren damals schon offiziellen Social Media Accounts gepostet. Ihre Online-Präsenz und hohe Visibilität hat zu der einzigartigen Beziehung mit ihrer globalen Fangemeinde, genannt BTS Army geführt. Dabei werden Accounts auf Twitter, Instagram, YouTube, Weibo und TikTok angelegt, um möglichst viele Menschen zu erreichen. Das funktioniert so gut, dass viele Stars und Bands bereits bei ihrem Debüt schon viele Follower haben. 2015 debütierte die Girl Group TWICE und 2 Stunden nach Anlegen des Accounts folgten ihnen bereits 14.000 Menschen. Heute hat TWICE 26,9 Mio. Follower auf Instagram.

Eine Perfektionismuskultur mit Schattenseiten

Ein akribisch präsentiertes Produkt und ein perfektes Image zu kreieren bzw. einen makellosen Service anzubieten, scheint viel mit dem Erfolg der K-Wave zu tun zu haben. Leider bringen diese Eigenschaften ernste Folgen für die Menschen Südkoreas mit sich. Der enorme Druck auf die Menschen führt dazu, dass Südkorea eine der höchsten Selbstmordrate unter den OECD-Ländern hat. Im Jahr 2021 erreichte die Selbstmordrate 26 Todesfälle pro 100.000 Einwohner. Die Gesichter dieser Zahlen sind die Entertainer:innen und Prominenten der Hallyu. Kein Jahr vergeht, in dem nicht ein bis zwei Suizidfälle prominenter Menschen die Schlagzeilen zieren. Unter den OECD-Ländern arbeiten Südkoreaner:innen im Durchschnitt mehr Stunden pro Woche als alle anderen Länder, sodass die Regierung Südkoreas ein Gesetz zur Reduzierung der Höchstarbeitszeit von 68 auf 40 Stunden pro Woche erließ. Zudem hat Südkorea die höchste Pro-Kopf-Rate von Schönheitsoperationen weltweit. Etwa eine von drei südkoreanischen Frauen im Alter zwischen 19 und 29 Jahren hat sich einer Schönheitsoperation unterzogen. Die Zahl der Männer ist niedriger, jedoch ebenfalls steigend.

Neue softe Männlichkeit, aber das Patriarchat bleibt

Ein weiteres Phänomen, das Korea so populär macht, ist das koreanische Männerbild, welches durch Serien und Musik erschaffen wurde. Frauen aus Korea werden als schön wahrgenommen, jedoch haben koreanische männliche Stars eine regelrechte Welle der Fetischisierung von asiatischen Männern hervorgerufen. Viele männliche Hauptdarsteller in K-Dramen und K-Pop-Idole vermischen in ihrem Look Merkmale, die lange als rein weiblich konnotiert wurden. Pflege und Schminke gehören zu alltäglichen Praktiken koreanischer Männer und bieten ein modernes Bild von „Männlichkeit“ entgegen dem westlichen, stereotypischen „rohen“ Männerbild. Natürlich ist das ein Fabrikat der Medien und trotz äußerlich fluider Grenzen von weiblich und männlich bleibt die koreanische Gesellschaft bis heute eine stark patriarchale Gesellschaft und ist sehr konservativ, wenn es um LGBTQ-Rechte geht.

Der Hype der Food-Culture wurde staatlich subventioniert

Vieles von der koreanischen Kultur wird online präsentiert, allerdings erscheint zu meiner Freude auch immer mehr die koreanische Küche in unserem alltäglichen Stadtbild. War früher ein koreanisches Restaurant noch eine Rarität, sieht man heute überall koreanische Restaurants und Imbisse wie Pilze aus dem Boden sprießen. Mittlerweile bin ich nicht mehr gezwungen, mein eigenes Kimchi zu machen, sondern kann es in manchen Supermärkten oder Restaurants kaufen. Mit der steigenden Popularität der koreanischen Küche stieg auch die Nachfrage nach koreanischen Produkten. 2021 verzeichnete Südkorea mit 7,57 Milliarden Dollar einen neuen Export-Rekord von Agrarerzeugnissen, was einem Anstieg von 7,7 Prozent gegenüber dem Vorjahr entspricht. Das Ministerium für Landwirtschaft hat schon früh das Potenzial für die Unterstützung von koreanischen Restaurants im Ausland erkannt und Programme integriert, zum Beispiel günstige Kredite für Koreaner:innen im Ausland, die ein Restaurant eröffnen wollen. Die kulinarische Exploration wird vom Youtube Vlogging-Trend aus Korea „Mukbang“, wörtlich übersetzt „Essensraum”, begleitet. In diesen Videos zeigen sich Menschen geräuschvoll beim Essen. Dabei steht in den Videos die Textur des Essens im Vordergrund, welche eine ASMR-Erfahrung kreiert.

Viele Dimensionen des Erfolgs

Die Frage nach der Popularität von Hallyu kann nicht eindimensional beantwortet werden, da verschiedene Elemente und Stakeholder den Erfolg der K-Wave beeinflusst haben. Mittlerweile ist Hallyu der Grund, warum Leute heute aufhorchen, wenn es um meine Herkunft geht. Seien es koreanische Restaurantempfehlungen, mein persönliches Kimchi-Rezept, meine Skincare-Routine, meine liebste Dramaserie oder Schauspieler:in und die Frage, ob Koreaner:innen denn wirklich so hübsch seien. Auch wenn es manchmal nerven kann, ist es ehrlich gesagt – trotz vergangener Diskriminierung – eine schöne Erfahrung. In einer Zeit, in der wir Globalisierung eher misstrauisch gegenüberstehen und wir in vielen Ländern einen neuen radikalen Nationalismus erleben, ist es schön, die offene Begeisterung für eine andere Kultur zu erleben. Obwohl in der koreanischen Gesellschaft natürlich viele Dinge passieren, die es zu verbessern gilt, zeigt Hallyu auch die Gastfreundschaft der Koreaner:innen und lädt andere dazu ein, Teil ihrer Kultur zu werden. Und vielleicht sollten wir fremde Kulturen sowie die eigene Kultur mit genau dieser Offenheit für Neues betrachten. Hallyu macht die einst homogene Gesellschaft Koreas bunter, diverser und spannender. Mittlerweile ist es normal, dass Nicht-Koreaner:innen in K-Pop-Gruppen sind. Mitglied der erfolgreichen Band Blackpink ist Lisa, die thailändisch-deutschen Ursprunges ist; Mitglied Fatou der Band Blackswans stammt aus Senegal. Dies zeigt, wie ein Erfolg von Kultur-Export nicht nur finanzielle Vorteile mit sich bringt, sondern eine Gesellschaft potenziell auch innerhalb eines Landes weltoffener, toleranter und schlussendlich auch zukunftsfähiger machen kann.

Ausstellungstipp: Die Ausstellung „HALLYU! The Korean Wave” im V&A South Kensington Museum in London, England zeigt die vielen Facetten koreanischer Kultur und unterstreicht nochmal: Bei Hallyu ist für jeden was dabei und jeder ist eingeladen. Mehr Infos dazu findest du hier.