Vor 74 Jahren geschah das bis dato Undenkbare: Eine einzelne Vernichtungswaffe tötete 140 000 Menschen auf einen Schlag. Der Abwurf der Atombombe auf Hiroshima hat die Welt verändert. Die Überlebenden haben ihre Erinnerungen in Zeichnungen festgehalten .
Im Alter von 21 Jahren war ich zum ersten Mal in Hiroshima, nur einen Tag lang auf der Durchreise nach Tokio. Ich erinnere mich aber noch genau an den abendlichen Spaziergang entlang der Flussufer dieser schönen, ruhigen Stadt. Mit jenem Bild im Kopf kehrte ich dieses Jahr dorthin zurück.
Der Friedenspark von Hiroshima liegt im Herzen der Stadt, idyllisch umgeben von den vielen Flussarmen des Deltas. In der Mitte des Parks ist das Friedensmuseum zu finden. Im Rahmen einer großen Dauerausstellung werden dort viele Exponate, Videos und Geschichten über den Atombombenabwurf vom 6. August 1945 präsentiert. Das Konzept des Museusm ist es Historische Fakten mit persönlichen Geschichten und Artefakten aus der Zeit zu kombinieren. Dadurch wird ein sehr konkretes Bild der Geschehnisse vermittelt. Nachdem die Kapitulationsverhandlungen mit Japan gescheitert waren, fühlten sich die Amerikaner damals “gezwungen”, ihre Geheimwaffe einzusetzen: Nach dem Abwurf auf Hiroshima folgte weniger Tage später Nagasaki, kurz darauf kapitulierte Japan. Der Zweite Weltkrieg fand sein Ende.
Bis heute wird darüber diskutiert, ob es sich bei den Atombombenabwürfen um ein Kriegsverbrechen handelt – schließlich wurden dadurch hunderttausende Zivilisten ermordet. Weiterhin stellten sie den Beginn einer internationalen militärischen Machtdemonstration dar, aus der sich der Kalte Krieg entwickeln sollte. Noch heute existieren auf der ganzen Welt verteilt tausende Atom- und Wasserstoffbomben. Genug Sprengkraft, um unseren Planeten und all seine Bewohner mindestens dreimal komplett zu zerstören.
Die Überlebenden von Hiroshima als Friedensbotschafter
Der 6. August 1945 ist wohl einer der tragischsten Tage unserer jüngeren Geschichte. Vom Tag der Detonation und den unmittelbaren Konsequenzen gibt es kaum Bildmaterial. Doch die Erinnerungen und Geschichten der Überlebenden existieren weiter.
„Hibakusha“ (jap. Detonationsopfer) werden die Überlebenden heute genannt. Einige haben ihre Geschichten in Büchern, Videoaufzeichnungen oder öffentlichen Vorträgen für die Nachwelt festgehalten. Viele dieser Dokumentationen werden im Friedensmuseum ausgestellt. Dort berührte mich eine bestimmte Sektion ganz besonders.
1974 reichte ein Hibakusha bei einem japanischen Fernsehsender eine Zeichnung ein, die an die Katastrophe erinnern sollte. Dieser Sender rief daraufhin alle, die den Tag erlebt hatten oder kurz darauf den Opfern zur Hilfe eilten, dazu auf, ihre Erinnerungen in Zeichnungen festzuhalten.
Die Reaktion war überwältigend: Über 3 600 Skizzen und Bilder kamen zusammen, die wie kein anderes Dokument die Erlebnisse der Zeitzeugen visualisieren. Eine Auswahl davon ist Teil der Dauerausstellung und zurzeit gibt es weitere Zeichnungen in einer separaten Sonderausstellung des Museums zu sehen. Mir wurde dadurch klar, dass Fakten und Wissen die Groteske und Dimension dieses Kriegsaktes gar nicht zu erfassen vermögen. Wie fühlte es sich an, als die Temperatur auf einen Schlag drei Sekunden lang auf 4 000 °C anstieg? Wie sollte man verarbeiten, dass hunderttausende Menschen, die der Strahlung und der Hitze ausgesetzt waren, schlichtweg verdampften? Dass Überlebende und Ersthelfer am ganzen Körper mit seltsamen Flecken übersät waren, ihnen Haare aus- und die Zunge abfielen? Rein rational kann unser Verstand das vielleicht nachvollziehen. Doch erst als ich die Skizzen der Überlebenden sah, konnte ich zumindest ansatzweise einen Eindruck der emotionalen Ungeheuerlichkeit dieser Geschehnisse gewinnen.
Auf der Webseite des Friedensmuseums kann man einen Teil der Arbeiten und die dazugehörigen Beschreibungen abrufen. Diese Skizzen dokumentieren die Erlebnisse der Menschen nicht bloß und sind mehr als nur ein Mittel der Verständlichkeit: Sie sind auch ein Mahnmal des Friedens, eine Erinnerung daran, dass Atombomben niemals wieder zum Einsatz kommen dürfen.
Hiroshima – ein Phönix aus der Asche
Trotz der kompletten Zerstörung Hiroshimas und der Auslöschung seiner halben Bevölkerung haben die Überlebenden es gemeinsam mit Helfern aus ganz Japan geschafft, die Stadt komplett wiederaufzubauen und zu neuem Leben zu erwecken. Ein einziges Gebäude wurde allerdings seit der Explosion nicht angerührt: Die ehemalige Handelskammer befand sich direkt unter der Detonation. Quasi im Auge des „Orkans“ wurde dieses Gebäude zwar stark beschädigt, jedoch nicht dem Erdboden gleichgemacht. Heute steht die sogenannte Atombombenkuppel mitten in der lebendigen Stadt.
Egal ob es ein Gebäude, ein Museum oder über 3 600 Zeichnungen sind, die diese Tragödie greifbarer machen: Die Erinnerungskultur, die in Hiroshima existiert, hat mich zutiefst beeindruckt. Sie ist ein wichtiges Instrument der Aufklärung und Mahnung. Sie vermittelt Eindrücke eines Tages, den wir uns eigentlich nicht ausmalen können. Ich wünsche mir, dass sich jeder Wissenschaftler, Politiker und Machthaber, der auch nur irgendwie mit Massenvernichtungswaffen in Verbindung steht, mit diesen Erinnerungsstücken auseinandersetzt. Dann besteht vielleicht Hoffnung auf eine friedliche, weltweite Abrüstung – eine Hoffnung, die ich nach dem Besuch von Hiroshima nicht aufgeben möchte.
Die Zeichnungen der Überlebenden sind exklusiv dem Qiio Magazin vom Hiroshima Peace Museum zur Verfügung gestellt worden. Es wird darauf hingewiesen, dass eine Verwendung der Bildmaterialien ohne Erlaubnis vom Museum eine Urheberrechtsverletzung darstellt.
Die Bildunterschriften wurden in englischer Sprache wiedergegeben um möglichst der Original-Übersetzung treu zu bleiben.