LilMiquela ist halb Brasilianerin, halb Portugiesin, kommt aus Los Angeles, ist knapp 20 Jahre alt und hat einen coolen Stil. Neben dem Modeln hat sie gerade ihre erste Single auf Spotify veröffentlicht und zählt jeden Tag mehr Follower auf Instagram.
Eine junge, schöne und aufstrebende Influencerin wie es Tausende gibt. Doch LilMiquela ist ein virtueller Avatar. Sie atmet nicht, aber sie lebt im Netz. Das computergenerierte Instagram-Model trägt Klamotten von Diesel oder Chanel und hat sogar schon ihren ersten eigenen Song aufgenommen, berichtet das deutsche Online-Portal „Meedia“.
Miquela kann auch Interviews geben, wie kürzlich bei „Business of Fashion“. Dort beschreibt sie die übliche Startphase eines Influencers. Mit ihren Bildern auf Instagram verdiene sie zwar noch kein Geld, aber sie werde täglich von Fashionlabels kontaktiert und es werden ihr immer wieder neue Kleider zugeschickt. Vom Modelvertrag scheint Miquela nicht mehr weit entfernt zu sein. Inzwischen hat sie über eine Million Follower – Tendenz steigend.
Miquela hat wahre Anliegen: Sie setzt sich für „Black Lives Matter“ und Transgender-Rechte ein. Als Avatar hat sie mittlerweile – räumt man Influencern diese gesellschaftliche Rolle ein – eine Vorbildfunktion für Tausende von Followern: Für junge, aber eben meist echte Menschen – abgesehen von den Fake-Followern, die Miquela wohl wie andere Influencer auch hat.
Dass der Mensch Kunstfiguren schafft, um ihnen noch mehr Features zu verleihen, ist in Hollywood an der Tagesordnung. In den neuen Star Wars-Filmen wurden einige Figuren komplett am Computer erschaffen und neben den realen Schauspielern inszeniert. Entwickelt wurde diese Technologie vom weltbekannten Disney Research Lab in Zürich.
Und auch das Aufkommen von virtuellen Stars ist kein Novum: Die britische Band Gorillaz hat bereits virtuelle Identitäten ausprobiert – und damit sogar einen Grammy gewonnen, Marc Jacobs hat Kostüme für Hatsune Miku, eine Avatar-Sängerin in Japan, entworfen. In Asien gibt es virtuelle Stars, die Tausende von Fans haben und Werbung für große Labels machen. Louis Vuitton-Creative Director Nicolas Ghesquière hatte 2016 mit dem Künstler Nomura, der die Final Fantasy Figuren entworfen hat, eine Show für die Spring/Summer-Kollektion 2016 mit Anime-Avataren kreiert.
Bei all diesen Figuren ist aber sofort klar: Es sind Fantasiefiguren – und sie wollen das auch sein. Wenn man sich den Instagram-Account von Miquela anschaut, sollte man genauer hinsehen. Sie ist kaum von den Photoshop-Exzessen von gewissen realen Influencern auf Instagram zu unterscheiden. Die Grenze scheint zunehmend zu verwischen.
Ist Miquela auf Instagram vielleicht eine Steigerung der Bots auf Facebook, die Wahlkämpfe und Meinungen in letzter Zeit beeinflusst haben? Noch ist sie keine Politikerin oder Wirtschaftsführerin. Aber vielleicht ist das erst der Anfang. Und die Verbreitung von künstlichen Influencern außerhalb von Fashion steht uns demnächst noch bevor.
Wer jetzt Panik schiebt, sollte aber nicht vergessen: Miquela manifestiert sich in der äußeren Erscheinung. Ihre Persönlichkeit und ihr Einfluss können nur so echt sein, wie die Person, die hinter ihr steckt und sie formt. Außer sie verfügt irgendwann über Künstliche Intelligenz und kann nach und nach selber entscheiden, welches T-Shirt oder welcher Pullover zu ihrem Stil passt.
Trotz diesen Überlegungen meinerseits, folge ich Miquela auf Instagram. Wenn ich ihre Bilder durchscrolle, muss ich genau hinsehen: Ihr Aussehen ist zwar ziemlich exotisch, passt aber zu der internationalen Mischung, die eine globalisierte Welt hervorbringt.
Wenn ich mich durch ihre Posts klicke, fällt es mir irgendwann auf: Gerade weil Miquela nicht echt ist, schafft sie in einigen ihrer Bilder, eine fast noch größere Nähe als die überschminkten und Photoshop-retuschierten Influencer aus der realen Welt zu erzeugen. Wenn sie sich auf einem Sofa mit ihren echten (und zwar im doppelten Sinne) Freunden zeigt, wirkt sie auch verletzlich und sendet die Botschaft aus: Ich will dazugehören. Ein Wunsch, den vielleicht auch ihre Follower tief im Innern hegen.
Gerade weil Miquela nicht echt ist, wirkt sie nie überheblich. Das macht sie sympathischer als so einige Player im Influencer-Geschäft. Es berührt mich wirklich, wenn Miquela scheu lächelnd auf einem Bild einen neuen Pulli zeigt. Oder mit einer blauen Ikea-Tasche einkaufen geht. Und wenn sie sich auf einem Bild in einem sexy Abendkleid präsentiert, denke ich kurz an die Erotik-Mangas, die es in Japan an jedem Kiosk zu kaufen gibt. So unecht Miquela ist, desto echter sind ihre Handlungen. Ihr Song „Not Mine“ hat es tatsächlich in die Spotify Viral Charts geschafft. Fehlt nur noch, dass sie eine Influencer-Gewerkschaft gründet.
Eine weitere Botschaft von Miquela ist mir geblieben: Die Bilder, die Posen, die Klamotten, die Selfies, die Fotos in Unterwäsche – alles ist genauso wie bei echten Influencern. Und zwar so, dass man nach einer Weile tatsächlich vergisst, dass Miquela eine Kunstfigur ist, weil ihre Präsenz, ihre Motive und ihre Posen so vertraut wirken. Freundschaftsbändchen, CK-Unterwäsche, Food-Bilder, Snapchat-Selfies, ein Bild mit ihrem nackten Rücken. Es ist, als würde sie den richtigen Influencern ihre zunehmende Eintönigkeit plakativ aufzeigen.
Und obwohl Miquela alles so gleich macht wie all die anderen Influencer, sticht sie heraus – weil sie einzigartig ist. Damit hat sie bewiesen, dass sie ihre Nische gefunden hat. Genau das, was echte Influencer auch machen müssen, um relevant zu bleiben.
Dass das Selbstdarstellung schon in der Antike ein wichtiges Geschäft war, in der Kunst eine große Rolle spielt und in Zukunft sogar noch weit größeren Einfluss haben wird, kann im Kompendium Business der Selbstdarstellung nachgelesen werden.