facebook-likehamburgerlupeoverview_iconoverviewplusslider-arrow-downslider-arrow-leftslider-arrow-righttwitter

Intime Portraits von Künstler:innen abseits der Gendernormen

Ostkreuz-Fotografin Sibylle Fendt übersetzt das Genre des klassischen Künstler:innen-Porträts in unsere gegenwärtige Zeit. Im Interview berichtet sie, wie bei der Arbeit an der Fotoserie _:* ihr Denken über starre Gendernormen und Geschlechterrollen, und damit fast die Initialidee des Projektes, über Bord warf und warum sie schöne Fotos langweilen.

 

Regisseurin Kis Keya, 2022, © Sibylle Fendt

Fotografin Sibylle Fendt arbeitet mit Künstler:innen abseits des Mainstreams. Die Musikerin Peaches thront vor einer zusammengewürfelten Gruppe schwarzer Schneiderpuppen, die Fotografin Katharina Bosse liegt in rotem Licht, wie in einer Dunkelkammer, in einer Badewanne, Autor:in Hengameh Yaghoobifarah lehnt sich in einem eng anliegenden Kleid in einem Sessel zurück, und die Schauspielerin Bettina Hoppe steht einfach nur in ihrem Wohnzimmer. Für Fendt haben alle ihre Protagonist:innen gemeinsam, dass sie, ob bewusst oder unbewusst, feministische Vorbildcharaktere sind. Über ihr Anliegen auf sie aufmerksam zu machen und wie sie dabei vorgegangen ist, sprachen wir mit ihr in einem Zoom-Interview.

Liebe Sibylle, gibt es deiner Meinung nach unfotogene Menschen?

Wahrscheinlich nicht. Oder doch? Es gibt Leute, da ist man total überrascht, wie toll es funktioniert, wenn man durch die Kamera schaut. Und es gibt Leute, da ist es schwieriger. Das hat aber gar nichts mit äußerer Schönheit zu tun.

Wie beginnst du deine Fototermine?

In der Regel trinken wir erst mal zusammen Kaffee und unterhalten uns. Bei einem Termin wurde ich aber auch schon mal von der Künstlerin direkt vom Bahnhof abgeholt und wir sind durch ihre Nachbarschaft spaziert. Fast zwei Minuten nachdem wir uns an der Bushaltestelle trafen, hab ich das erste Foto gemacht. Das war ein fließender Übergang zwischen der Unterhaltung und dem Fotografieren.

Schauspielerin und Musikerin Bärbel Schwarz, 2022, © Sibylle Fendt

Kannst du beschreiben was, deiner Meinung nach, ein interessantes Porträtfoto ausmacht?

Ich bin mit einem Bild zufrieden, wenn ich beim Fotografieren merke, dass wir eine gute Verbindung haben. Das spürt man auf dem Bild. Dazu gehört, dass es kein Machtgefälle gibt, sondern einen offenen Dialog mit einem gegenseitigen Interesse. Ich will keine Show sehen. Die Leute müssen sich öffnen können, um zu zeigen, wie sie sind.

Wenn du ein Machtgefälle verspürst, wie arbeitest du dem aktiv entgegen?

Mittlerweile habe ich es ganz gut drauf, keine ungesunde Hochachtung mehr vor anderen zu haben. Als ich vor 20 Jahren anfing für Musikmagazine hauptsächlich Musiker:innen zu porträtieren, war ich wahnsinnig aufgeregt und habe mich sehr höflich untergeordnet. Das mache ich heute nicht mehr. Denn ich sehe es als eine Begegnung, von der wir beide etwas möchten und uns dazu auf Augenhöhe treffen.

 

Sänger:in Peaches, 2021 © Sibylle Fendt

Du fotografierst mit analogem Filmmaterial, wie prägt das deine Arbeit?

Als ich Fotografie studierte, gab es noch keine Digitalkamera. Ich komme aus der analogen Fotografie und das ist mit Sicherheit der Hauptgrund, warum ich dieses Handwerk liebe. Analoge Fotografie beeinflusst ein Shooting total. Das fängt schon damit an, dass mein Gegenüber beeindruckt von meiner Kamera ist. Auch der Akt des Bildermachens ist etwas Aufwendiges und Umständlich. Ich muss erst das Stativ mit der Kamera aufbauen, dann das Licht messen und stelle noch zehnmal die Schärfe nach, bevor ich endlich fotografiere. Dann fotografiere ich vielleicht gar nicht, weil ich denke, das bringt es nicht. In dem Moment trotzdem ein Foto zu machen, nur damit es nicht peinlich ist, ist einfach zu teuer. Jedes Bild kostet Geld. Das ist natürlich ein Moment der Peinlichkeit, denn meinem Gegenüber möchte ich zeigen, dass ich alles im Griff habe. Mit der digitalen Kamera hingegen würde ich einfach drauf los knipsen. Mit den Jahren bin ich aber souveräner geworden. Es ist wichtig, einfach auch zuzugeben, wenn ich mal eine falsche Entscheidung getroffen habe. Aufregend ist auch, dass ich bis zur Entwicklung nie weiß, ob die Bilder gelungen sind. Analoge Fotografie hat etwas sehr Feierliches an sich.

Was fasziniert uns an Porträts von Menschen?

Zunächst die Fotografie an sich, denn wir verbinden mit ihr ein Abbild. Es ist wie ein Festhalten von der Wirklichkeit, die im Moment des Betrachtens schon wieder vergangen ist oder irgendwo ganz anders stattfindet. Auch die Möglichkeit der Manipulation ist faszinierend. Fotografie ist keine hohe intellektuelle Kunst. Das Spannende ist, dass jede:r mitreden kann und dass sie uns eine Wahrheit vorgaukelt. Mich persönlich begeistern am Porträtieren von Menschen die Begegnungen und die Aufgabe, die ich mir stelle: einen Teil der Persönlichkeit, in komprimierter Form, in einem Bild zu finden oder zu formen. Das Gleiche begeistert mich natürlich auch beim Betrachten fremder Fotografien. Als Fotograf:in nimmst du eine Vermittlungsrolle ein zwischen den Betrachtenden und der Person auf dem Bild.

Collage-Künstlerin Annegret Soltau, 2021, © Sibylle Fendt

Wonach hast du die Menschen für die Ausstellung -:* Porträts von Künstler:innen ausgewählt?

Die erste Klammer war die Kategorie Künstler:innen. Dann bin ich, wie bei einem Mixtape zur Lieblingsmusik, total subjektiv rangegangen. Ich habe Leute fotografiert, die ich toll finde. Diese vereint wiederum, dass sie alle eine feministische Positionierung haben. Wobei nicht jede Person, die ich fotografiert habe, sich als Feminist:in sieht. Für mich aber haben sie alle einen Vorbildcharakter, um die Welt ein bisschen besser und gerechter zu machen und Rollenklischees aufzubrechen. Dabei geht es mir auch darum, auf Marginalisierung aufmerksam zu machen, egal in welcher Hinsicht.

Was macht denn für dich einen feministischen Blick aus in der Fotografie?

Mir ist es wichtig, dass die Leute sich auf den Bildern gefallen. Gleichzeitig habe ich aber auch Diskussionen mit manchen geführt, wenn es um so blöde Sachen wie Falten ging. Ich wünsche mir, dass es keine Rolle spielt, ob die Falten zu heftig sind, die Augenringe zu dunkel oder die Nase zu dick. Das ist nichts, was jemanden hässlich macht. Mir geht es darum, richtig tolle Charaktere darzustellen in ihrer ganzen Bandbreite und nicht langweilig schöne Bilder zu machen.

Hengameh Yaghoobifarah, 2022, © Sibylle Fendt

Hat sich in dieser Porträtserie dein eigenes Denken über Geschlechterrollen nochmal verändert?

Ja, ich denke schon. Während ich beispielsweise ganz am Anfang dachte, ich setzte die Klammer auf Frauen, habe ich schon nach den ersten Begegnungen gemerkt, dass das wirklich totaler Bullshit ist. Diese dumme Idee wollte ich sofort wieder einstampfen und stattdessen gar nicht mehr in Geschlechterrollen denken.

Als Studentin habe mich noch sehr viel mehr über Geschlechterrollen aufgeregt und mich an ihnen gerieben. Irgendwann ist das abgeschwächt, möglicherweise auch mit dem Mutterwerden. So ein bisschen dachte ich wohl auch: „Ach, scheiß drauf, ich bin einfach zu faul“. Heute bin ich diesen ganzen Leuten, die ich treffe, so dankbar, dass sie nicht zu bequem sind, immer wieder darauf aufmerksam zu machen, dass es keine Gleichberechtigung gibt und dass viele Vorurteile und Klischees fortbestehen. Das ist mir während des Arbeitsprozesses noch mal bewusst geworden. Zur aktuellen Ausstellung muss ich beispielsweise häufig erklären, warum das nicht Künstlerinnen, sondern Künstler:innen sind. Viele Leute verdrehen dabei die Augen. Da denke ich mir dann, meine Güte, strengt euch doch einfach ein bisschen an!

Gibt es für dich in der Porträtfotografie eine unumstößliche Regel?

Bei meinen freien Arbeiten würde ich keine Bilder ohne den Segen der Abgebildeten veröffentlichen. Klar, manchmal ist das auch ärgerlich. Es gab für die Porträtserie ein Bild, das ich letztendlich nicht verwenden konnte und auch Bilder, wo wir uns einigen mussten und ich nicht meine Erstwahl zeigen konnte. Diese Auseinandersetzung mit den Menschen über ihre Bilder gehört für mich dazu.

Bei Straßenfotografie wiederum funktioniert das nicht so. Da geht es um Oberfläche. Dort erzählt mir mein Bild eine Geschichte über einen Zustand innerhalb einer Gesellschaft. Da geht es nicht um Frau Schmidt, die da gerade vorbeiläuft, sondern darum, wie die Leute zum Beispiel in den 40er-Jahren auf der Straße rumlaufen. Dass ich da keine Einverständniserklärung einholen kann, leuchtet ein. Aber bei meinen Porträtfotos ist es eine Verabredung, auf deren Grundlage wir zusammen an einem Bild arbeiten. Da habe ich keine alleinige Macht darüber.

Sky Deep, 2021, © Sibylle Fendt

Gab es eine Begegnung für die Fotoserie _:*, die dich besonders überrascht hat?

Katharina Bosse. Das ist das Bild in der Badewanne mit dem roten Licht. Da war ich total geflasht, wie unfassbar magisch sie ist, wenn ich die Kamera auf sie richte. Wahnsinn. Vor dem Termin war ich sehr aufgeregt. Ich kannte Katharina zwar ein wenig, aber als Studentin war sie für mich immer ein großes Vorbild. Die Aufregung ist doppelt so groß, wenn man als Fotografin eine andere Fotografin porträtiert. Denn da denkt man, oh Gott, die versteht genau was ich hier mache. Bei dem Termin hat sie mir alle Angst sofort genommen und viel Vertrauen geschenkt.

Auch das Bild von Bärbel Schwartz ist großartig. Dieses Trommeln im Kuhstall, das war ein mega schöner Termin. Sie ist so unprätentiös und damit ein echtes Vorbild.

Fotografin Katharina Bosse, 2022, © Sibylle Fendt

Du hast zuvor das binäre Geschlechtermodell angesprochen. Ist es für dich im Begriff des Zusammenbruchs?

Weltweit, glaube ich, sind wir extrem weit davon entfernt so etwas aufzugeben. Ich würde mir für unsere Gesellschaft, in der wir leben, wünschen, dass es eine untergeordnete Rolle spielt. Die meiste Zeit, die ich auf mein Geschlecht angesprochen werde, sollte es gar keine Rolle spielen. Vor allem sollte man wirklich die Leute respektieren, die das noch viel vehementer nicht wollen. Das ist in unserer Sprache im Moment wahnsinnig schwer umzusetzen.

Hast du das Gefühl, dass es durch Bilder einfacher geht?

Ja, denn mit den Bildern fotografierst du nur Behauptungen. Das ist ein geiles Spielmaterial. Gleichzeitig gehen die Leute in meine Ausstellung und sagen anschließend, das sind ja interessante Frauen – da ist es sofort wieder da. Als gäbe es nichts Wichtigeres, als sich gleich wieder etwas zum Festhalten zu suchen.

Die Ausstellung _:* Porträts von Künstler:innen ist vom 6. Mai bis zum 19. Juni 2022 im f3 – freiraum für fotografie in Berlin zu sehen.

Sibylle Fendts Spezialgebiet ist die Portraitfotografie. Ihre freien Projekte sind oft auf mehrere Jahre angelegte Arbeiten, im Rahmen derer sie Menschen in elementaren Krisen begleitet. Dieses Konzept trug ihr 2010 den 1. Platz beim Vattenfall Fotopreis ein, der ihr für die Serie “Gärtners Reise” verliehen wurde. Sibylle ist außerdem Dozentin für Fotografie, unter anderem an der OSTKREUZSCHULE. Ihre Arbeiten werden regelmäßig auf Ausstellungen auf der ganzen Welt gezeigt. Sie lebt und arbeitet in Berlin.