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Foto: Netflix Presse.

Ist, wer gut im Schach ist, auch gut im Spiel des Lebens?

Die Fähigkeit, eine schnelle und richtige Entscheidung zu treffen, ist in unseren von Agilität besessenen Zeiten immer mehr gefragt. Sei es bei der Berufswahl, im Privaten oder bei der langfristigen Planung der eigenen Finanzen. Wie kann man diese trainieren? Die Antwort lautet: Durch Schach!

Zugegebenermaßen ist Schachspielen längst nicht mehr das, was es mal war. Die romantische Nostalgie von älteren Herren, die miteinander im Park spielen, wie sie die Erfolgsserie „Das Damengambit“ zeigt, gibt es zwar hier und da noch, aber die Schachwelt hat sich in den letzten Jahrzehnten durch neue Technologien komplett verändert. Sie haben dem Denken der Spieler eine neue Geschwindigkeit verliehen. Doch auch so trägt das Brettspiel zur Ausprägung von strategischen Fähigkeiten bei. Und nicht nur das: Schach hilft dabei, Emotionen zu kontrollieren und hat Einfluss auf die Persönlichkeit des Spielers. Das regelmäßige Training trägt zur Besonnenheit des Charakters bei. Doch hilft es auch bei unseren Finanzen? 

Im folgenden Gespräch spricht der Journalist Tigran Petrosyan mit dem armenischen Schachgroßmeister Tigran Petrosyan (tatsächlich tragen beide Männer den gleichen Namen). Sie reden unter anderem über die Schachtradition ihrer Heimat Armenien, die mit dem sowjetischen Großmeister der 60er Jahre Tigran Petrosyan verbunden ist. Beide Männer wurden ihm zu Ehren nach ihm benannt und kommen für Qiio zum ersten Mal ins Gespräch. 

Der armenische Schachgroßmeister Tigran Petrosyan. Foto: Armenian Chess Federation.

Haben Sie sich die Netflix-Serie „Das Damengambit“ angeschaut?

Noch nicht.

Weil sie nicht daran glauben, dass eine Frau die von Männern dominierte Schachwelt erobern kann? 

Tatsache ist, dass Männer erfolgreichere Spieler sind als Frauen. In der Schachgeschichte konnten bisher Frauen nicht gegen Männer ankommen. Ich würde allerdings nie sagen, dass Männer besser als Frauen spielen, weil sie klüger sind. Dafür gibt es verschiedene mögliche Erklärungen, vielleicht weil Frauen emotionaler sind oder weil sie in vielen traditionelleren Gesellschaften die Familie dem Sport und der Karriere vorziehen, möglicherweise auch nicht freiwillig. Doch Frauen könnten größere Erfolge im Schach haben. Daran glaube ich, sonst hätte ich nicht selbst Mädchen trainiert. Eine meiner Schülerinnen, die kasachische U20-Weltmeisterin Zhansaya Abdumalik, gilt als eine der besten Nachwuchsspieler*innen weltweit. 

Sie trainieren aber vor allem Jungs in Armenien, die eine Goldmedaille bei den Welt- und Europameisterschaften für ihr Land gewinnen sollen. In welchem Alter sollte man mit dem Schach anfangen?

Meine Schüler sind zwischen 14 und 20 Jahre alt. Bis zu diesem Alter wird die Schachbasis gebildet. Bis dahin müssen meine Schüler*innen sich sehr viel Mühe geben, sonst können sie den Erfolg vergessen. Ich selber saß bereits im Alter von fünf Jahren am Brett. 

Armenien hat eine lange Schachtradition. Ein entscheidender Schritt der Schachförderung war jedoch die Entscheidung der armenischen Regierung, das Spiel 2011 zum Schulpflichtfach von der zweiten bis zur vierten Klasse zu machen. 

Ich begrüße diese Idee tatsächlich. Ich bin überzeugt, dass Schachunterricht die Logik bei Kindern fördert. Allerdings ist das Schulprogramm sehr anspruchsvoll und deswegen fällt der Unterricht nicht jeder*m Schüler*in leicht. Außerdem ist es schwierig, im Schach erfolgreich zu werden, wenn man bestimmte Eigenschaften nicht hat. Beim Klavierunterricht zum Beispiel braucht man ein gutes Gehör, beim Schach hingegen ein gutes Gedächtnis und Fleiß. Ein Spiel kann sechs bis sieben Stunden dauern, diese Zeit muss man einfach lieben. 

Petrosian (rechts, mit Jacke) bei der Schach-Mannschafts-Europameisterschaft 1961. Sitzend, nach rechts gewandt, ist Mikhail Tal, damals Weltmeister. Foto: GFHUnd (CC BY 3.0).

Am Anfang des armenischen Schachbooms steht ein Mann: Tigran Petrosyan, aber damit sind nicht Sie gemeint, sondern der sowjetische Schachgroßmeister und Schachweltmeister von 1963 bis 1969, neunmaliger Schach-Olympiasieger, der mit der Mannschaft der UdSSR auf Platz eins der Weltrangliste stand. Der Name Tigran Petrosyan war und ist in Armenien eine Marke.

Als der Großmeister 1984 starb, gelobte mein Vater, dass er seinen Sohn nach ihm nennen werde, damit auch er eines Tages ein Großmeister wird. Einen Monat später wurde ich geboren. 

Und folgen Sie seinem Spielstil? 

Gar nicht. Er war in seiner Zeit in der Schachwelt unter dem Namen „eiserner Tigran“ bekannt, weil er das Risiko nicht mochte. Ich bin da sein Gegenteil. Außerdem ist es zwar wichtig, die sowjetische bzw. armenische Schule für die Geschichte zu bewahren, allerdings hat sich durch die Technologie die Schachschule komplett verändert.

Was meinen Sie damit?

Vor etwa fünfzehn Jahren saßen wir mit Schachlehrbüchern da und lernten vor der Tafel oder am Brett. Computerprogramme wie etwa „Stockfish“, „Komodo“ oder „Fritz“ haben das Lernen beträchtlich erleichtert. Und nicht nur das: Sie haben dem Denken auch Geschwindigkeit verliehen. Wir mussten früher etwa fünf verschiedene Lehrbücher zur Hand nehmen, um eine bestimmte Schachposition zu studieren. Dank der Software wissen wir heute in fünf Sekunden, wie viele und welche Züge von einer bestimmen Position aus jemals gespielt worden sind und wer sie gespielt hat. Das Programm zeigt auch den stärksten Zug aus dieser Position. 

Was ist wichtig für einen Sieg?

Beim klassischen Schach ist die Eröffnung wichtig. Um eine gute Position zu bekommen, muss man die besten Positionen auswendig kennen. Es sollten die möglichen 30-35 Züge für den Anfang des Spiels schon im Vorfeld berechnet werden. 

Schach hilft dabei, Emotionen zu kontrollieren und hat Einfluss auf die Persönlichkeit des Spielers. Das regelmäßige Training trägt zur Besonnenheit des Charakters bei. Foto: Vlada Karpovich.

Welche Vorteile bringt das Schachspiel? Ist man besser organisiert im Leben und kann vielleicht sein strategisches Können auch bei seinen Finanzen einsetzen? 

Eine Schachmentalität oder besser gesagt eine Schachdenkweise trägt zur Ausprägung von Fähigkeiten wie Organisation und Planung bei. Als Schachspieler*innen versuchen wir die Abfolge von Schachzügen so gut wie möglich zu organisieren bzw. Angriffe, Gegenangriffe oder Verteidigungen vorzubereiten. Dieses jahrelange Training mit genauen Berechnungen und Planungen der nächsten Schritte hilft dann auch im Leben dabei, in anderen Dingen besser organisiert zu sein.  Das Schachspiel hat Einfluss auf die Persönlichkeit, das Training prägt den Charakter. Das ist das Wichtigste. Ob die Finanzen gut laufen, ist ja mit anderen Faktoren verbunden. Im Gegensatz zu Schach läuft nicht alles im Leben wie geplant. Das Leben ist voll von Überraschungen. 

Wer Sie als Schachgroßmeister erlebt, wird bestätigen, dass Sie ein ruhiger Mensch mitkühlem Kopf sind. Wie steuert das Schachspiel den Einfluss von Emotionen auf das logische Denken?

Ich kenne selbe keine*n Schachspieler*innen, der oder die nicht ruhig ist. Schach hilft, Emotionen zu kontrollieren. Das Emotionsmanagement hilft seinerseits, Problem und Emotion voneinander zu trennen, sie realistisch zu bewerten und schließlich zu lösen. Allein dafür lohnt es sich, mit dem Schach anzufangen. 

Sie waren in ihrer Sportkarriere allerdings eher beim Schnell- und Blitzschach erfolgreich, bei dem es besonders auf die schnelle Reaktion ankommt. Wie passen Intuition und Schach zusammen?

Beim Schnell- und Blitzschach bleibt anders als beim klassischen Schach keine Zeit, um verschiedene Szenarien zu durchdenken. Da vertraue ich meiner Intuition. Vor allem beim Blitzschach muss man Entscheidungen schnell treffen. Wie oft stehen Menschen in unterschiedlichen Lebenssituationen vor einer Wahl und es fällt ihnen schwer, eine Entscheidung zu treffen? Die Fähigkeit, eine schnelle und richtige Entscheidung zu treffen, ist etwas, das jeder Mensch, der erfolgreich ist, für notwendig hält.