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Foto: Austin Distel

„Kann jeder Startup?” – Karriere in Dezimalschritten

Möchten wir uns nicht alle von spießigen Arbeitgebern frei machen und unser eigenes Start-up-Unternehmen gründen? Autor Christoph Raethke stellt fest: Die meisten Deutschen wollen lieber sichere statt selbstbestimmte Karrieren.

Fachabteilungs-Workshop eines deutschen Konzerns. Man spricht über die Zahlen des vergangenen Halbjahres, Ziele für das neue, Positives und Verbesserungsvorschläge in der Zusammenarbeit. Meine Rolle: einen mitreißenden Vortrag zum Thema Digitalunternehmertum halten und sodann Feedback zu einzelnen bereits gestarteten Projekten geben. Denn zu den Verbesserungen gehört: auf Projektebene unternehmerischer und eigenverantwortlicher handeln.

Anschließend nehmen mich ein paar Teilnehmer zur Seite. Es stellt sich heraus, dass sie dieses Thema – Entrepreneurship – nicht zum ersten Mal hören. Auch nicht zum zweiten oder dritten Mal. Was sie sich angesichts dessen fragen: Es kann doch nicht jeder Unternehmer werden? Überall liest man von den Erfolgen dieser Start-ups, aber heißt das, dass jeder Nicht-Start-upper ein Minderbemittelter, ein Verlierer ist in der Neuen Welt? Was habe ich als Angestellter von dem ganzen Zirkus?

Dieses Gespräch trug sich vor einem Vierteljahr zu und hinterließ bei mir den Eindruck, dass diese Fragen zu Recht gestellt worden sind. Denn das Thema scheint wirklich omnipräsent zu sein. Die Höhle der Löwen ist nicht nur als Unterhaltungssendung im Fernsehen erfolgreich. Produkte, die am Dienstagabend auf Vox gepitcht werden, findet man bald darauf im Supermarkt neben den Konservendosen wieder. Alle Zeitungen und Magazine haben mittlerweile Start-up-Kolumnen, meist mit stark apellativem Charakter: Jetzt vernetzt/ digitalisiert/neuerfindet Euch mal!

Gründer wie Mark Zuckerberg sind heute Vorbilder für eine ganze Generation von Jungunternehmern. Foto: Anthony Quintano

Für mich als Gründer, Mentor und Autor ist das „endlich!” so, denn in der Dekade zwischen 2001 und 2011 wurden Start-ups in Deutschland als etwas von und für Spinner wahrgenommen, die keinen richtigen Job fanden. Die Zukunft, so zumindest der alte Glaube des Standorts Deutschland, lag bei den unbesiegbaren DAX-Konzernen. Ich finde es gut, dass sich das geändert hat. Mittlerweile wird überall von Gründern und charismatischen CEOs gesprochen. Musk, Zuckerberg, Thelen – und auf der Gegenseite treten die Herren in den Grauen Anzügen nicht nur ab, sondern desavouieren sich auch moralisch in einer Abfolge von Skandalen. CumEx, Dieselskandal, Glyphosat, VW, Flughafen BER.

Viele wollen lieber Sicherheit als eine Tischtennisplatte im Büro

Während man über diese Skandale den Kopf schüttelt, vergisst man allerdings manchmal, dass die Desavouierten Arbeitgeber von Millionen von Menschen sind, die sich durchaus mit ihren Firmen und deren Erzeugnissen identifizieren sowie ihren Lebensplan um sie herum entwickelt haben. Sie sind für diese Jobs nach Wolfsburg gezogen, ins Frankfurter Umland oder andere unwirtliche Gegenden, die ich in meiner widerlichen Berliner Arroganz gerne „Deutsch-Sibirien” nenne. Die Nachricht, dass ihre Arbeitgeber von sogenannten digitaleren Unternehmen überholt werden, ist keine gute für sie.

Ohnehin ist jeder zwiegespalten zwischen seiner Existenz als Privat-Konsument von, sagen wir, Car Sharing-Angeboten aus den USA, und der beruflichen Existenz als Autoverkäufer bei einer VW-Niederlassung; man wird das Gefühl nicht los, dass in naher Zukunft nur noch eines von beidem geht. Aber wenn dazu die Medien noch eine überbordende – und oft durchaus schadenfreudige – Bewunderung äußern für Konkurrenten, die den eigenen Arbeitsplatz gefährden, ist man möglicherweise nicht mehr ganz so begeistert, wenn der Chef die Abteilung zum Digitalworkshop einbestellt. Kann es nicht langsam mal gut sein mit dem Quatsch?

Auch wer kurz mit dem Gedanken spielt, selbst zu gründen – die meisten (auch jungen) Menschen ziehen eine sichere Anstellung vor. Foto: Franck V.

Darauf könnte ich jetzt einfach „nein” antworten, oder, wie in meiner Branche üblich, „deal with it“. Denn obwohl man den Eindruck hat, dass das Thema (zu) allgegenwärtig ist, sprechen die Zahlen eine andere Sprache: Die Gründerquote in Deutschland ist seit Jahren im Sinkflug, und weite Teile des Mittelstandes, vor allem aber der öffentliche Sektor mit seinen Millionen Beschäftigten ist nahezu unberührt von neuen Arbeitsweisen. Die Mehrheit der jungen Menschen – Smartphone-Sucht hin, Influencer-Verehrung her – geben beim Berufswunsch „sichere”, gänzlich un-digitale Karrieren nach Vorbild der Eltern an. Die Beharrungskräfte sind also noch viel stärker als der vermeintlich allgegenwärtige Veränderungsdruck.

Allerdings: So ein apodiktisches „nein” ist auf der Makro-Ebene vielleicht angemessen, hilft jedoch wenig auf der Ebene der persönlichen Wahrnehmung und Perspektive auf das eigene Berufsleben. Wo soll man ansetzen, wenn man nicht die Mehrheit im seelentötenden, wöchentlichen Abstimmungsmeeting mit der Abteilung IM 413/5 zurücklassen will, während eine kleine, gefeierte Minderheit vorprescht?

Schritt für Schritt in die Selbständigkeit, oder auch nicht!

Deswegen propagiere ich eine Methode, die ich als „Karriere der Dezimalschritte” bezeichne. Und zwar geht sie davon aus, dass es bei der Diskussion des Themas „Start-ups, und was der normale Mensch damit anfangen kann” ein Missverständnis gibt. Nämlich, dass es um ein Abbrechen aller Brücken, um den sogenannten Sprung in ein riskantes Unternehmensprojekt geht. Aber das ist im Kontext existierender Organisationen meist nicht richtig. In der Praxis besteht der Weg von 0 nach 1 nämlich aus kleinen Schritten, Dezimalschritten sozusagen, von denen jeder einzelne Wert hat – auch, wenn es am Ende nicht zur Gründung kommt.

Ratgeber und Tipps gibt es mehr als Start-ups selbst – aber welcher Weg führt zur Gründung? Foto: Daria Nepriakhina

Und dieser Weg ist meine Antwort auf die Frage, ob es denn nicht endlich mal gut sei. Denn die einzelnen Schritte sind keine großen Sprünge, vor denen man radikale Entscheidungen treffen oder sich neu erfinden müsste. Alles beginnt damit, eine Selbstbefragung durchzuführen und herauszufinden, ob es Probleme wirtschaftlicher oder organisatorischer Natur gibt, innerhalb oder außerhalb des Unternehmens oder Umfeldes, die man dringend gelöst sehen möchte. Ist die Antwort „ja”, sind die nächsten Dezimal-Schritte das Gespräch mit anderen und die Recherche nach existierenden digitalen Werkzeugen, Möglichkeiten, um eine Lösung zu finden. So geht es Schritt für Schritt weiter; das Ganze bleibt sehr lange im Bereich von „nach Feierabend mal ein bisschen recherchieren”, „in der Kantine mit Kollegen reden” und „einen kostenlosen Webseiten-Baukasten ausprobieren”.

Der Sprung von 0,9 zu 1 – also zur tatsächlichen Gründung – ist auf Basis dieser Dezimalschritte dann nicht mehr dramatisch.

Zu jedem Zeitpunkt auf diesem Weg in Richtung 1 kann man darauf stoßen, dass die Ursprungsidee vielleicht doch nicht so brillant war und die Reißleine ziehen. Aber, und das ist der Zauber an der Sache: Egal, ob, wann und warum man abspringt – die Erfahrungen der Schritte bis dahin kann einem keiner mehr nehmen.  Die Vernetzung, die Recherche, die Beschäftigung mit Technologie bringen jeden voran und verändern den Blick auf die eigenen Möglichkeiten innerhalb oder außerhalb einer Unternehmensstruktur.

So fängt er an, der Digitale Wandel auf persönlicher Ebene.

Richtig gut verinnerlicht hatte diese Herangehensweise ein Teilnehmer meines dreiwöchentlichen Meetups, auf dem ich seit Anfang des Jahres 2015 Ideen und Probleme, die die Anwesenden unternehmerisch angehen wollen, kurz und schmerzhaft analysiere. Jener Teilnehmer war von Beruf Lehrer, Mitte 50, und wollte wissen, wie er mit Hilfe der Start-up-Methodik seine Nachhilfestunden besser konzeptionieren und vermarkten könne. Nachhilfestunden gibt es bekanntlich seit Erfindung der Schrift im mesopotamischen Uruk am 14. April 3216 v. Chr. – aber sich zu überlegen, wie man sie mithilfe von zeitgemäßen Methoden und Werkzeugen effektiver angehen kann, das ist ewig neu.

Mein Rat war wie immer gesunder Menschenverstand: Ausprobieren, wo das, was er am besten kann, am meisten gebraucht wird, und dann die (digitale) Kommunikation entsprechend ausrichten. Die ganze Start-up-Methodik ist letztlich nur gesunder Menschenverstand plus günstige, leicht bedienbare Technik. Und wenn ein Nachhilfelehrer Mitte 50 sich nicht bedrängt fühlt durch das Start-up-Thema, sondern den Stier bei den Hörnern packt – dann versteht so langsam jeder, worum es bei der Sache wirklich geht.

Mehr Informationen, wie Deutsche Bank für dein Start-Up hilfreich sein könnte, findest du hier.