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Foto: Nina Jasmin

Leni Bolt – Nonbinäre Menschen sind zu lange unsichtbar gewesen

Früher sprach Leni Bolt nur selten über ihre eigene nicht-binäre Identität. Seit Leni bei der Netflix-Show Queer Eye dabei ist, hat sich für Leni persönlich viel verändert. Auch im öffentlichen Diskurs erfährt das Thema Binarität eine neue Aufmerksamkeit. Heute macht Leni mit ihrer Geschichte besonders jüngeren nicht-binären Personen Mut. Qiio-Chefredakteur Claudio Rimmele hat mit Leni über alte Vorurteile und neue Chancen für Politik und Gesellschaft gesprochen.

Leni, wie hast du entdeckt, dass die Binarität von Mann und Frau für dich nicht zutrifft?

Durch eine Therapie. Damals dachte ich noch, dass ich eine komplette Angleichung von Mann zu Frau machen möchte. Der Therapeut half mir zu verstehen, dass das für mich nicht der richtige Weg ist. Eine klassische Frauenrolle zu erfüllen, hätte mich nicht glücklicher gemacht, der Druck wäre derselbe geblieben. In der Therapie erkannte ich, dass ich ohne Rollenbilder und Labels am freisten bin.

Wie hat sich dein nicht-binäres Leben von damals bis heute für dich entwickelt?

Ich bin selbstbewusster geworden. Früher habe ich nie gerne drüber gesprochen, viele Leute können mit dem Begriff Nicht-binär nichts anfangen. Einige wollen es nicht akzeptieren und behaupteten, das gebe es nicht, das sei erfunden. Das hat mich damals sehr verunsichert. Mittlerweile bin ich entspannt und spreche offen darüber, möchte besonders jüngeren Leuten Mut machen, sich nicht entscheiden zu müssen zwischen einer Identität als Mann oder als Frau.

“Ich sehe Trans als Schirmbegriff, unter dem es viele verschiedene Identitäten gibt. Das kann Transfrau sein, Transmann, Inter, Genderqueer, Nonbinary. Ich finde, wir alle haben Platz unter diesem Schirm, da wir alle eine Art Transition gemacht haben”, sagt Leni Bolt. Foto: Liss Eulenherz

Es gibt theoretische Ansätze, nach denen Nonbinary auch zur Trans-Community gehört. Wie siehst du das?

Ja, ich sehe Trans als Schirmbegriff, unter dem es viele verschiedene Identitäten gibt. Das kann Transfrau sein, Transmann, Inter, Genderqueer, Nonbinary. In der Community gibt es Gegenstimmen, die das anders sehen. Ich finde, wir alle haben Platz unter diesem Schirm, da wir alle eine Art Transition gemacht haben. Auch wenn es bei mir viel mehr eine innere, mentale Transition war.

Im Englischen gibt es das Pronomen “they”. Welches Pronomen wünschst du dir im Deutschen?

Ich habe da einen Mittelweg gefunden. Im Deutschen präferiere ich sie, im Englischen benutze ich „they” und sonst wünsche ich einfach meinen Vornamen anstelle des Pronomens, wenn man über mich spricht. Das irritiert anfangs viele, die das nicht kennen. Das ist ähnlich wie mit gendergerechter Sprache, aber je öfter man es liest und hört, desto normaler wird es für Menschen, die damit noch keine Berührung hatten.

In einer aktuellen Studie in den USA gaben fast 21 % aller Gen Zs an, dass sie sich zum LGBTQ-Spektrum zugehörig fühlen. Das ist beinahe doppelt so viel wie bei den Millennials. Wie erklärst du dir das?

Vorstellbar ist für mich, dass es diese Zahl schon immer gab, aber dass viel mehr Menschen einfach nicht offen mit ihrer Identität und Sexualität umgegangen sind. Durch die neuen Medien wie TikTok und Instagram haben jungen Menschen viel mehr Zugriff auf Vorbilder, wachsen offener auf und können sich freier entfalten.

Wenn du jüngere queere Menschen triffst, erlebst du sie freier als du es früher warst?

Auf jeden Fall! Kennst du den TikToker Dimi? Der leistet sehr gute Aufklärungsarbeit auf TikTok für junge Leute. An solchen Beispielen bemerke ich, dass das wirklich eine ganz andere Generation ist, die freier aufwächst als ich.

Das denke ich auch, wenn ich Leute sehe, die sich bereits in jungen Jahren beispielsweise beim Pole-Dancing ausleben. Das hatte unsere Generation ohne die sozialen Medien noch nicht auf dem Schirm.

Das ist ein neues Privileg. Ich freue mich für die Kids. Dafür haben wir die Vorarbeit geleistet.

Löst sich Gender-Binarität gerade auf? Werden wir in Zukunft noch freier?

Es gibt natürlich Menschen, die sich in ihrem gebürtigen Geschlecht wohlfühlen. Das wird auch weiterhin so sein. Gleichzeitig glaube ich, dass wir uns in Zukunft noch weiter lösen können von Gender-Stereotypen. Denn es gibt ebenso Menschen, die sich mit Labels unwohl fühlen und am liebsten ganz befreit davon leben möchten. Dafür bereiten wir einen guten Weg.

Gibt es Situationen, in denen du dich mit der non-binären Identität unwohl fühlst oder sogar bedroht?

Konkret bedroht fühle ich mich nicht. Als ich nach Mallorca gezogen bin, fiel mir aber gleich auf, dass es nicht so queer ist wie in Berlin. Mein Freundeskreis ist tatsächlich eher cis und straight. Ich habe nicht aktiv nach queeren Leuten gesucht, sondern geschaut, mit wem ich mich verstehe. Dabei musste ich allerdings einiges an Energie aufwenden, damit die Leute um mich herum verstehen, was nonbinary bedeutet, um nachzuvollziehen, wie ich mich identifiziere. In Berlin war das anders, da wurde ich gleich akzeptiert und verstanden. Es ist schon ermüdend, sich immer wieder zu erklären.

Das zwingt dich zu einem konstanten Outing.

Genau, das ständige Outen macht manchmal müde und am Ende des Tages ist es auch nur ein Teil neben vielen Bestandteilen von mir. Die Aufklärungsarbeit ist mittlerweile zu einer Mission von mir geworden. An Flughäfen ist es beispielsweise oft der Fall, dass du im Bodyscanner hin- und hergeschoben wirst. Wer tastet dich ab, macht das ein Mann oder eine Frau? So viele Menschen gehen täglich durch diese Kontrolle, warum sind die Menschen vor Ort nicht darauf geschult? Es gab sogar auch Situationen, in denen die Security-Leute sich untereinander über mich lustig gemacht haben, das war sehr unangenehm.

Wie würdest du dir wünschen, dass beistehende Leute reagieren?

Was meines Erachtens nach schön ist für eine queere Person, wenn Beistehende für einen einstehen im Falle eines verbalen Angriffs. Dadurch fühlt man sich weniger allein. Wenn jemand anderes für einen einspringt im Gespräch, sodass man sich nicht aufs Neue selber erklären muss. Das habe ich glücklicherweise auch in meinem Freundeskreis.

“Die Aufklärungsarbeit ist mittlerweile zu einer Mission von mir geworden”, sagt Leni Bolt. Bild: Sophia Emmerich

Wie war es bei den Dreharbeiten von Queer Eye für dich? Da wart ihr in kleinen Orten und ländlichen Umgebungen. Gab es Situationen, in denen dir Aufklärungsarbeit gefehlt hat?

Tatsächlich gab es einen witzigen Moment bei den Dreharbeiten. Eine Freundin von einem Kandidaten, die mit am Set war, flüsterte mir in der Drehpause ins Ohr: „Sag mal, bist du jetzt ein Mann oder ‘ne Frau?” Ich habe ihr das nicht böse genommen, denn sie wusste es nicht besser und wollte es aber verstehen. Daraufhin habe ich mir die Zeit genommen, ihr das zu erklären. Es kommt darauf an, wie man fragt. Manche Leute steigen in das Gespräch ein, um letztlich nur mitzuteilen, dass sie eine Abweichung von der Norm nicht akzeptabel finden. Auf so eine Diskussion habe ich keine Lust. Ich möchte meine Identität nicht als Grundlage für ihre Diskussion auf den Tisch legen. 

Immer wieder gibt es Debatten von aktivistischen Wissenschaftler*innen, die dogmatisch für die Zweigeschlechtlichkeit plädieren und sie wissenschaftlich verteidigen wollen. Wenn dann Aktivist*innen dagegen kritisch agieren heißt es „Cancel Culture”. Wie bewertest du das als betroffene Person?

Es gibt wissenschaftliche Standpunkte, die Binarität widerlegen. Wir haben es hier mit einem großen Forschungsrückstand zu tun, wie zum Beispiel in Bezug auf Hormone im Körper, die im jüngeren Alter bei Jungs und Mädchen sehr ähnlich sind. Für mich, die das Thema tagtäglich betrifft, frage ich mich: Warum muss man Binarität erzwingen, wenn Menschen sich damit nicht wohlfühlen? Wozu diese Politisierung? Wenn du dich als Mann identifizierst und glücklich bist, ist das schön, aber lass Raum für Menschen, die sich nicht damit wohlfühlen. Sprache kann hier eine entscheidende Rolle spielen. Im Englischen gibt es zum Beispiel Sex und Gender, die in zwei Worten das biologische Geschlecht und die Gender-Identität unterscheiden. Im Deutschen haben wir das nicht, da vereint Geschlecht beides in einem Wort. Sprache kann dabei helfen solche Unterscheidungen zu vermitteln.

Wie stehst du zu dem Konzept vom „Passing”, also dass man nicht als trans oder non-binär erkannt wird, sondern mit seinem Erscheinungsbild als cis gelesen wird?

Früher in meiner Identitätsfindungsphase war es mir extrem wichtig, als weiblich gelesen zu werden. Davon habe ich mich gelöst, ich will gar nicht mehr als irgendwas passen. Ich bin einfach ich selbst. Ich wollte nicht mehr Angst davor haben, als nicht-biologische Frau enttarnt zu werden. Ich brauche kein Passing mehr, gleichzeitig verstehe ich, dass es für Transmenschen, die den „klassischen” Weg gehen, essentiell ist, als ein bestimmtes Geschlecht gelesen zu werden.

Meine erste Berührung mit queeren Characters fand ich in japanischen Anime-Filmen wie Sailor Moon. Du warst auch großer Anime-Fan und hast bei Serien wie Ranma 1/2 Nicht-Binarität entdeckt. Braucht es mehr Bücher, Serien oder Filme, die das Thema für Kinder aufbereiten?

Sicherlich. Damit kommt allerdings auch viel Hass hoch bei Menschen, die sagen „ihr macht Kinder gay oder trans”. Solche Argumente sind Quatsch, Kinder werden damit bloß toleranter, wenn sie die Vielfalt der Welt sehen. Es gibt immer mehr solcher Bücher, wie „Raffi und sein pinkes Tutu” von Riccardo Simonetti. Auch Max Appenroth, die erste TransPerson, die Mr. Gay Germany wurde, hat gerade „Egal was sich auch ändert, das Herz bleibt genau dasselbe” mit herausgebracht. Da erzählt ein Kind über die Geschichte seines Elternteils, der eine Transition/ Umwandlung durchmacht.

Was ist dein Wunsch an die Zukunft für dieses Themenfeld der Identitäten?

Mein Wunsch für die Zukunft ist, dass das Selbstbestimmungsgesetz durchkommt. So wie es aussieht, wird es 2023 Gesetz. Das werde ich dann auch nutzen, um endlich meinen Namen und meinen Personenstand zu ändern. Bis jetzt hatte ich nicht die Energie dazu, wollte nicht die psychologischen Gutachten machen, die sehr viel Geld kosten und wohlmöglich lehnt das Gericht deinen Antrag dann doch ab. Das ist mir als nicht-binäre Person zu heikel, denn das Transsexuellengesetz ist ursprünglich nur für den klassischen Weg einer Umwandlung Angleichung von Mann zu Frau oder Frau zu Mann ausgelegt gewesen. Das neue Selbstbestimmungsgesetz ermöglicht es auch jemandem wie mir, die eigene Identität auf dem Personalausweis zu tragen. Seit Jahren lebe ich schon als Leni. Es ist befremdlich, dass auf meinem Personalausweis noch mein Deadname steht. Mir ist es immer wieder unangenehm, wenn ich den Personalausweis brauche, ob zum Reisen oder bei der Post. Das wäre mit dem neuen Gesetz vorbei; es würde so viele Menschen bestärken, ihnen das Gefühl geben, gesehen zu werden.

Wenn mehr Menschen durch das Gleichstellungsgesetz ihre Identität auf dem Papier anerkannt bekommen, gäbe es auch mehr relevante Statistiken, die eine gerechtere politischen Repräsentanz dieses Bevölkerungsanteils nach sich ziehen könnte.

Ja, das sehe ich auch so. Wir sind zu lange unsichtbar gewesen. Das ändert sich mehr und mehr, auch dank des bevorstehenden Gesetzes zur Selbstbestimmung.

Leni Bolt lebt auf Mallorca und arbeitet als Work-Life-Coach. Dieses Jahr startete Leni als Expert*in für Achtsamkeit bei der Show „Queer Eye Germany“ auf Netflix durch, in der sie Teil der Fab 5 ist. In der Makeover-Serie verwandeln fünf queere Expert:innen das Leben einer anderen Person.