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Bild: Isi Parente

LGBTQ* – eine dunkle Geschichte für ein buntes Akronym

Kann man ein Spektrum an Identitäten mit einem einzigen Akronym abbilden? Die Buchstabenabfolge LGBTQ* versucht, in einem Wort unzählige (Sub-)Kulturen zu beschreiben. Was viele nicht wissen: Diese Reihenfolge ist nicht zufällig, sondern das Resultat einer historischen Entwicklung mit dunklen Kapiteln.

„Das L in LGBTQ steht aus gutem Grund vorne.“ Mit diesem Titel ging ein Post des non-binären Influencers Matt Bernstein Ende August anlässlich des „Womens Equality Day” viral. Bernstein beschreibt einen entscheidenden, aber in Vergessenheit geratenen Teil queerer Geschichte, der die Reihenfolge des Regenbogen-Alphabets für immer verändern sollte. Wie kam es dazu, dass lesbische Frauen so eine wichtige Rolle einnahmen?

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„L”GBTQ*: ein Symbol der Dankbarkeit und des Respekts

Die US-amerikanische Historikerin Lillian Fadermann schildert in ihrem Buch „The Gay Liberation: The Story of the Struggle“, wie sich lesbische* Frauen während der AIDS-Epidemie der 80er und 90er-Jahre als Krankenpfleger*innen, Blutspender*innen oder durch andere Formen von Care-Work um ihre schwulen „Brüder” sorgten. Sie übernahmen die lebensnotwendigen Aufgaben, welche die Mehrheitsgesellschaft den homosexuellen „Aussätzigen” verwehrte.

Sie beschreibt diese dunkle Phase der LGBTQ*-Geschichte als Wendepunkt der lesbischen* Community, um einen „ausgeprägten schwulen Chauvinismus“ der 70er und frühen 80er-Jahre zu durchbrechen und der Beteiligung von Lesben* im Kampf für LGBTQ*-Rechte neuen Aufschwung zu verleihen.

Da so viele schwule Männer*, aber auch Trans- und nichtbinäre Personen*, von HIV/AIDS betroffen waren, übernahmen Lesben* immer mehr Führungsrollen in queeren Organisationen und der ACT UP-Bewegung.

„Ich hatte seit dem College feministische und lesbenpolitische Arbeit geleistet, aber es gab selten einen Grund, mit schwulen Männern gemeinsame Sache zu machen. Es war, als wären wir zwei verschiedene Spezies mit zwei völlig unterschiedlichen Agenden (…)“, berichtet Zeitzeugin Alex Danzig im Interview mit VICE.

„Gemeinsam formten Schwule und Lesben eine starke Allianz, die sich unterstützte, als Freunde und Liebhaber starben. Das Bündnis nutzte unsere kollektive Wut und Empörung, um das öffentliche Bewusstsein für die mangelnde Reaktion der Regierung auf die AIDS-Krise zu stärken.“

Aus GLBT wird LGBT

Mit den ersten wirksamen Behandlungsmethoden gegen AIDS in den späten 1990er-Jahren hatten schwule Männer* Kraft und Raum, um anzuerkennen, welch entscheidende Rolle viele Lesben* in der Krise übernommen hatten. In der Folge wurden in den USA „Gay Community Centers” zu „Lesbian and Gay Community Centers” umbenannt. Obwohl der Begriff „Gay” im Englischen auch heute noch als Sammelbegriff für das gesamte Spektrum sexueller und geschlechtlicher Minderheiten genutzt wird, stand die lesbische Community nun losgelöst an erster Stelle. Im Jahr 1999 wurde auch in Deutschland der „Schwulenverband in Deutschland” zum „Lesben- und Schwulenverband” (LSVD) umbenannt. 

Zeitgleich popularisierten US-amerikanische Aktivist*innen wie beispielsweise Kate Bornstein den Begriff „transgender” als Überbegriff für Menschen, die sich nicht mit der Geschlechterbinarität identifizieren. Im Gegensatz zum veralteten Begriff „transsexuell” ist der Begriff „transgender” nicht limitiert auf eine medizinische Umwandlung der Geschlechtsorgane und wird deshalb auch heute von vielen trans* und nicht-binären Menschen bevorzugt. Aus “LGB” entwickelte sich die Standardabkürzung „LGBT”.

Erst in den späten 1990er-Jahren wurden in den USA „Gay Community Centers” zu „Lesbian and Gay Community Centers” umbenannt. Bild: Jakayla Toney Ove

 Q”: die globale, queere Zukunft?

Das „Q”, die jüngste Ergänzung der queeren Buchstabenfolge, ist auch die ambivalenteste. Es dient vielen als Abkürzung des Begriffs „queer”, wird aber auch als Abkürzung für „questioning” genutzt, um diejenigen einzuschließen, die ihre sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität „infrage stellen”.

Im Jahr 2016 erhielt das „Q” Mainstream-Anerkennung, als sich GLAAD, eine der einflussreichsten Organisationen für LGBTQ*-Rechte, in der Neuausgabe des „Media Reference Guide” dafür aussprach, das „Q” standardmäßig zu verwenden. „Die neueste Ergänzung spiegelt die immer vielfältiger werdende Art und Weise wider, wie LGBTQ-Menschen, insbesondere junge Menschen, über ihre Identität sprechen”, betonte GLAAD-Präsidentin Sarah Kate Ellis in einer Stellungnahme.

Der vormals negativ geprägte Begriff „queer” (dt. ähnlich: „pervers”) stellt insbesondere für eine jüngere Generation einen zurückeroberten Identitätsbegriff dar, der mehr Inklusion und einen stärkeren Zusammenhalt innerhalb der Community bietet.

„Das Ziel des Wortes queer ist es, absichtlich mehrdeutig zu sein und Raum für die Erkundung des eigenen Geschlechts und der eigenen Sexualität zu schaffen”, beschreibt LGBTQ*-Aktivist*in und TV-Host Jacob Tobia im Interview mit NBC News. „Das ist die Zukunft der LGBTQ-Bewegung: Eine Welt, in der Geschlecht und Sexualität fließend sind, sich ständig weiterentwickeln und frei von Stigmatisierung und Scham sein können.”

„Das Ziel des Wortes queer ist es, absichtlich mehrdeutig zu sein und Raum für die Erkundung des eigenen Geschlechts und der eigenen Sexualität zu schaffen”, beschreibt LGBTQ*-Aktivist*in und TV-Host Jacob Tobia im Interview mit NBC News. Bild: GRuban

Neues queeres Selbstverständnis

 Eine neue Studie der Agentur BigEye zeigt, dass über 50 % aller Millennials und der Gen Z davon überzeugt sind, dass traditionelle Geschlechterrollen und binäre Geschlechtsbezeichnungen überholt sind.

„Die Generation TikTok hat Gender-Nonkonformität nicht erfunden! Es ist immer eine Weiterentwicklung vorhergehender Prozesse. Trotzdem macht sie eins deutlich: ‘Wir machen das nicht mehr mit!’“, erklärt Madison Moore, Professor für Queer-Studies an der Virginia Commonwealth University.

„Gender, Labels, sexuelle Orientierung, die Kontrolle anderer über die eigene Körperlichkeit –– junge Queers haben diese festgefahrenen Strukturen satt! Es ist jedoch die digitale Geschwindigkeit moderner Popkultur, die diese Prozesse so viel schneller macht als für frühere Generationen.“

Das Ende von “LGBTQ*”?

Bis heute steht die Abkürzung in der Kritik: zu kompliziert für manche, nicht inklusiv genug für andere. Dieser Diskurs ist jedoch typisch für eben genau diese Vielfalt in der Community. Denn dort hat es einen queer-aktivistischen Konsens noch nie gegeben –– Sprachpolitik eingeschlossen. Queere Menschen sind so unterschiedlich und vielfältig wie kaum eine andere Minderheit, queere Einigkeit scheint daher fast unmöglich.

Doch ist „LGBTQ*” mehr als eine Aneinanderreihung von Identitätsentwürfen. Diese fünf Buchstaben verkörpern queere Geschichte; ein Symbol jahrzehntelanger Kämpfe für Sichtbarkeit, Anerkennung und gegen gesellschaftliche Stigmata.

Die Community ist im Wandel. Doch „LGBTQ*” wird bleiben. Nicht als gemeinsamer Nenner, sondern als gemeinsame Geschichte.