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“Wir hören weiße Menschen sagen, mi amor, mi amor, aber wir sagen das nicht. Wir wissen nicht, was Liebe ist. Bei uns gibt es sowas nicht.” Kana (38), Iva (57) und Tume (62), Brasilien. Aus der Serie: Love Around the World. © Davor Rostuhar

Love Around the World: Diese Fotos zeigen verschiedene Facetten der Liebe

Wie ist das eigentlich mit der Liebe, an anderen Orten, mit anderen Menschen? Das haben sich der Fotograf Davor Rostuhar und seine Frau Andela gefragt. Sie reisten ein Jahr lang um die Welt, um die vielen verschiedenen Facetten der Liebe zu erkunden – und präsentieren ihre Erkenntnisse jetzt in einer Ausstellung und einem Buch. 

“Was du liebst, lass frei. Kommt es zurück, gehört es dir für immer” –  das wusste schon der chinesische Philosoph Konfuzius. Aber was ist das eigentlich, die Liebe? Und was bedeutet sie für uns? Dieser Frage widmeten sich der kroatische Fotograf Davor Rostuhar und seine Ehefrau Andela. Das Paar lernte sich 2014 kennen, als Davor nach einer Assistenz suchte und Andela sich bei ihm um einen Job bewarb. “Ich habe sie nicht angestellt”, sagt Davor lachend. “Wir haben von Anfang an gespürt: That’s it.” Kurz darauf machte er ihr auf einer Expedition in die Antarktis einen Heiratsantrag. 

Statt in die Flitterwochen ging es für Davor und Andela auf Weltreise. Ihre Mission: Das Phänomen Liebe erkunden. Bild: Davor Rostuhar

Weltreise statt Flitterwochen

Statt in die Flitterwochen ging es für die beiden auf eine Weltreise. Die Mission: Das Phänomen Liebe erkunden. “Seit wir uns verlobt haben und ein Datum für unsere Hochzeit ausgemacht haben, fingen wir an, darüber nachzudenken, wieso wir einander ausgesucht haben. Was ist so besonders an dieser Beziehung, dass wir beschlossen haben, unser Leben miteinander zu verbringen? Wäre unsere Liebe dieselbe, wenn wir zu einer anderen Zeit an einem anderen Ort geboren wären? Was genau ist Liebe?”, schreibt das Paar zu dem Projekt auf ihrer Website. 

Getrieben von diesen Fragen reiste das Paar gemeinsam durch 30 Länder und besuchte fünf Kontinente. Innerhalb eines Jahres führten sie 120 Interviews mit verschiedenen Paaren und Singles zwischen fünf und 90 Jahren, rund um das Thema Liebe, Beziehungen, Heirat und Scheidung. Dabei lernten sie Menschen aus den verschiedensten Kulturkreisen kennen, bereisten Großstädte und Provinzen, von entlegenen Stämmen im Amazonas und Nomaden in der Wüste bis Metropolen wie Tokio oder New York.

Während ihrer Recherche trafen sie auf alle möglichen Menschen: Frisch verliebte, langjährige Ehepaare, queere Paare, verbotene Liebe, polyamore Beziehungen, arrangierte Ehen und streng religiöse Paare. Allen Befragten stellen sie dieselbe Frage: Was ist das eigentlich, die Liebe? Ihre Geschichten und Antworten gibt es jetzt in einem Buch und in einer Ausstellung in Berlin. 

Fahad (60) und Tamadur (55) aus Saudi Arabien haben erst kürzlich angefangen, über Gefühle zu reden, als ihr Land langsam begann, sich der Rest der Welt zu öffnen. Bild: Davor Rostuhar

Sie sprechen zum Beispiel mit Fahad (60) und Tamadur (55) aus Saudi-Arabien. Das Paar erzählt, sie haben erst kürzlich angefangen, über Gefühle zu reden, als ihr Land sich langsam dem Rest der Welt öffnete. “Unsere Eltern waren nicht gebildet, sie haben uns nichts über Gefühle beigebracht. Wir sind aufgewachsen, ohne jemals das Wort ‘Liebe’ zu kennen”, sagt Fahad. “Die Zeiten ändern sich jetzt. Und das sollten sie auch. Unsere Kinder leben bereits ein modernes Leben und auch wir verändern uns.” Frauen in Saudi Arabien müssten den Niqab nicht mehr tragen, aber Tamadur beschloss, die Tradition weiterzuführen und sie ist Fahad dankbar, dass er ihre Entscheidung respektiert. “Liebe ist Respekt. Ohne Respekt kann es keine Liebe geben”, sagt Tamadur.

Marcelo (53) aus Chile und Jose (27) aus Brasilien haben sich im Internet kennengelernt. Bild: Davor Rostuhar

Eine weitere Geschichte aus dem Buch ist die von Marcelo (53) aus Chile und Jose (27) aus Brasilien. Die beiden haben sich im Internet kennengelernt. Jose ist vorher mit Frauen ausgegangen und hoffte, eines Tages eine Familie mit einer Frau zu gründen, aber als er Marcelo traf, wurde ihm klar, dass er eigentlich Männer liebt. Es brauchte einige Jahre Therapie und Arbeit an sich selbst, bis er seine neu entdeckte Identität akzeptieren konnte. “Tief in mir weiß ich, dass ich in Marcelo alles gefunden habe, was ich jemals in meinem Leben wollte!”, sagt Jose.

Liebe in Zahlen

Liebe scheint hierzulande zumindest etwas zu sein, das uns glücklicher macht. Bei einer Umfrage im Jahr 2019 gaben 82 Prozent der Frauen und 80 Prozent der Männer an, insgesamt glücklicher zu sein, seit sie mit ihrem Partner bzw. ihrer Partnerin zusammen sind. In Deutschland befinden sich 60% der Bevölkerung in einer festen Beziehung. Aber gibt es sie überhaupt, die Liebe, die ein Leben lang hält? Daran glauben immerhin zwei Drittel der Deutschen, sowohl Männer, als auch Frauen. Doch Glaube und Realität unterscheiden sich bekanntlich: Eine durchschnittliche Ehe in Deutschland hält 14,7 Jahre – das ist zwar ungefähr die Dauer einer lebenslänglichen Haftstrafe im Gefängnis, passt aber nicht zu unserer Vorstellung von lebenslänglicher Liebe. Die Liebe scheint also vor allem eines zu sein: temporär. 

Nahid (34) und Nazanin (27) aus dem Iran sind lesbisch, in einem Land, in dem auf Homosexualität die Todesstrafe steht. “Man sucht sich nicht aus, in wen man sich verliebt!”, sagt Nazanin. Bild: Davor Rostuhar

Doch die Kunst der Liebe, das ist viel mehr als nur ein Gefühl oder ein Heiratsantrag. Laut Psychoanalytiker Erich Fromm erfordert die Liebe eine gewisse Selbstaufgabe, ein aktives Bemühen: „Die infantile Liebe folgt dem Prinzip: ‚Ich liebe, weil ich geliebt werde.‘ Die reife Liebe folgt dem Prinzip: ‚Ich werde geliebt, weil ich liebe.‘ Die unreife Liebe sagt: ‚Ich liebe dich, weil ich dich brauche.‘ Die reife Liebe sagt: ‚Ich brauche dich, weil ich dich liebe‘“, schreibt Fromm in seinem Bestseller. 

Liebe: Kein Phänomen, sondern ein Akt

Für Fromm ist die Liebe nicht einfach ein Phänomen, sondern ein Akt. Gerade deshalb ist die Liebe für ihn eine Kunst, denn sie erfordert aktives Lernen und Pflege, ganz im Gegensatz zum hormonell-gesteuerten Verliebtsein. Für Fromm ist die Liebe rational, man muss sie stetig üben. Sie fliegt einem nicht einfach so zu. Würden Davor und Andela da zustimmen? Immerhin sind sie sich gegenseitig einfach so zugeflogen. 


Die gleichnamige
Ausstellung wird bald in Berlin zu sehen sein – in der Galerie f³ – freiraum für fotografie, vom 4. Dezember 2021 bis zum 20. Februar 2022.