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Bild: On

“Mein Traum ist der klimaneutrale Laufschuh” – Interview mit On Head of Technology Innovation Nils Altrogge

Als Nils Altrogge als Student bei On anfing, arbeiteten bei der Schweizer Sportfirma gerade einmal 31 Personen. Ein Jahrzehnt später gehört der Sportschuh- und Bekleidungshersteller zu den innovativsten Unternehmen der Welt und schmückt die Füße von Athlet:innen Marathonläufer Tom Gröschel. Nils Altrogge, Head of Technology Innovation, ist heute einer von 1800 Mitarbeitenden bei On, die Sportschuhe und -bekleidung nachhaltiger und innovativer machen wollen. Bei dem Launch des neuen Laufschuhmodells Cloudsurfer haben wir mit ihm über den Laufschuh der Zukunft gesprochen.

Nils, welche Rolle spielt Forschung bei On?

Forschung ist das, was bei uns im Zentrum steht. Wir versuchen, Innovation im Bereich Performance und Nachhaltigkeit datenbasiert umzusetzen. Am Anfang eines jeden Projekts steht ein Traum. Den versuchen wir dann wissenschaftsbasiert umzusetzen. Wir haben ein eigenes Labor, wo Wissenschaftler:innen sich damit auseinandersetzen, was eigentlich passiert, wenn unser Körper einen Schuh trägt. Wie wirkt sich der Schuh auf das System aus? Um das zu verstehen, fangen wir mit Forschung an.

Was passiert denn genau, wenn der Körper einen Schuh trägt? Und warum ist euer neuer Schuh, der Cloudsurfer, anders?

Die Laufeffizienz verändert sich mit dem Laufschuh. Wir hatten vor zwei Wochen beispielsweise einen Test mit einem sehr kritischen Journalisten, haben mit ihm eine Laufanalyse durchgeführt und den Cloudsurfer, unser neues Modell, an ihm getestet. Das Ergebnis: Sein Laufstil hat sich deutlich verbessert. Die Schrittfrequenz, der Austrittswinkel, die Bewegung des Körperschwerpunktes. Wenn man den für sich richtigen Laufschuh findet, kann man das an den Daten sehen. Und vor allem merkt man das am subjektiven Empfinden: Komfort ist zwar etwas Subjektives, aber gleichzeitig ist es das beste Messsystem der Welt. Unser Körper hat Tausend Sensoren überall, in den Muskeln, unter der Haut, in den Gelenken. Wenn alle diese Sensoren den Daumen hochhalten, dann fühlen wir uns komfortabel.

Im On-Lab werden Laufschuhe zur Wissenschaft für sich. “Am Anfang eines jeden Projekts steht ein Traum. Den versuchen wir dann wissenschaftsbasiert umzusetzen”, sagt Nils Altrogge, Head of Technology Innovation bei On. Bild: On

Das heißt, wenn es sich gut anfühlt, dann ist es auch für die Gesundheit am besten?

Dann kann es zumindest schon mal nicht so falsch sein. Wir stützen uns deshalb immer auf biomechanische Daten und das subjektive Empfinden. Beim Laufen solltest du idealerweise fast vergessen, dass du einen Schuh trägst. Der Schuh sollte sich völlig natürlich anfühlen.

“Ein Schuh ist heute immer noch zu 90 % Handarbeit und besteht aus 30 bis 70 Teilen. Was wäre, wenn wir den Schuh aus drei Teilen machen und deutlich schneller produzieren könnten?”

Nils Altrogge

Welche aktuellen Trends bestimmen den Sportmarkt und was können wir da noch erwarten?

Ein Aspekt, der auch uns sehr am Herzen liegt, ist Nachhaltigkeit. In diesem Bereich hat sich viele Jahre nichts getan. Jetzt ändert sich das endlich. Bisher haben auch wir lange linear gedacht: Wir produzieren, wir kaufen, wir benutzen und wir werfen wieder weg. Gleichzeitig produzieren wir viel Abfall und haben einen großen CO2-Abdruck, wenn wir immer wieder neues Material nutzen. Deshalb ist die Entwicklung in Richtung mehr Nachhaltigkeit ein wichtiger Aspekt für uns, um aus einem linearen System ein zirkuläres System zu machen. Andere Tech-Trends sind zum Beispiel sind in der Forschung die Computersimulation und in der Fertigung die Automatisierung. Ein Schuh ist heute immer noch zu 90 % Handarbeit und besteht aus 30 bis 70 Teilen. Was wäre, wenn wir den Schuh aus drei Teilen machen und deutlich schneller produzieren könnten? Dann wäre er auch viel einfacher zu recyceln. Das sind Challenges, an denen wir aktuell arbeiten.

Wie wird Nachhaltigkeit bei On umgesetzt?

Unser Ziel ist es, Produkte mit möglichst geringem Fußabdruck zu produzieren. Dabei gibt es eine gute und eine schlechte Nachricht. Die schlechte Nachricht ist: Der größte Fußabdruck eines Unternehmens kommt vom Produkt. Und jetzt die gute Nachricht: Wir arbeiten ja am Produkt, also können wir das beeinflussen. Heute bestehen Laufschuhe hauptsächlich aus Erdöl. Unsere Strategie ist fossil-free circularity, also fossilfreie Zirkularität. Wir wollen bis zum Ende des Jahrzehnts weg von fossilen Rohstoffen und stattdessen andere Ressourcen nutzen, die die Ökosysteme nicht negativ beeinflussen. Eine Ressource, die wir bereits nutzen, ist die Rizinusbohne. Sie wächst nur da, wo nichts anderes wächst, weil sie nur ganz wenig Wasser braucht. Zudem steht sie nicht in Konkurrenz mit der menschlichen Nahrungskette. Man kann aus der Rizinusbohne ein hervorragendes Polymer machen, welches wir für unsere Schuhe nutzen. Das zweite ist die Zirkularität. Wir haben mit „Cyclon“ ein zirkuläres System für Läufer:innen auf den Markt gebracht. In diesem Modell gehört dir der Schuh nicht mehr, sondern du mietest ihn mit einem Abonnement, wie bei Netflix oder Spotify. Dabei zahlst du monatlich 35 € und läufst den Schuh so lange, bis er seine Lebensdauer ausgeschöpft hat. Dann bekommst du einen neuen zugeschickt und mit der gleichen Verpackung sendest du den alten Schuh wieder zurück. Das ist der erste Laufschuh, der dir nicht mehr gehört, dir gehört quasi nur noch die Erfahrung mit dem Produkt. Denn das Material hat Wert für uns und das brauchen wir zurück. Wir wollen bis 2030 den Großteil unserer Schuhe zurücknehmen und so Zirkularität für alle unsere Schuhe umsetzen, nicht nur für die des „Cyclon“ Abos.

Was passiert mit einem Schuh, den ich abgelaufen haben und an euch zurückschicke?

Wir sammeln die Schuhe, bis wir eine bestimmte Menge erreicht haben. Dann werden die Schuhe gereinigt, geschreddert und eingeschmolzen. Aus dem Geschmolzenen machen wir Pellets und die können für neue Teile im Schuh wiederverwendet werden. Das Wichtigste ist: Nichts wird verschwendet. Alles wird wiederverwendet.

Bis 2030 möchte On den Großteil der verkauften Laufschuhe zurücknehmen und recyceln. Bild: On

Wie sieht es mit deiner eigenen Leidenschaft zum Joggen aus?

Wenn ich etwas entwickeln möchte, dann muss ich natürlich auch verstehen, worum es geht. Nächste Woche laufe ich wieder beim Berliner Halbmarathon. Ich bin kein professioneller Athlet – ich beschäftige mich viel mehr damit, Produkte für Athlet:innen zu entwickeln – aber ich bin ein leidenschaftlicher Läufer.

70 % der Jogger verletzen sich irgendwann mal beim Joggen. Haben Sie den falschen Schuh getragen?

Das Thema Verletzung ist sehr komplex und kann viele Gründe haben. Wir arbeiten heutzutage leider die meiste Zeit am Schreibtisch. Aber wir sind definitiv nicht fürs Sitzen gemacht – sondern für Bewegung, fürs Laufen. Durch das ständige Sitzen verkürzen sich bestimmte Muskeln, es entstehen Ungleichgewichte im Körper. Wenn Leute, die immer nur sitzen, plötzlich anfangen zu laufen, dann ist der Körper gar nicht darauf vorbereitet und es kann zu Verletzungen kommen. Deshalb sollte man, wenn man anfängt zu laufen, das Schritt für Schritt angehen und am besten mit einem Schuh, der viel Unterstützung gibt und gut dämpft. Es kann natürlich sein, dass jemand einen Schuh trägt, der für ihn oder sie nicht geeignet ist. Da kann der Schuh bei Verletzungen ein Einflussfaktor sein, aber es gibt ganz viele andere Faktoren, die zu Verletzungen führen können. Um den individuell richtigen Laufschuh zu finden, empfehlen wir immer eine professionelle Laufanalyse im Fachgeschäft zu machen und sich gut beraten zu lassen.

“Das ist der erste Laufschuh, der dir nicht mehr gehört, dir gehört quasi nur noch die Erfahrung mit dem Produkt.”

Nils Altrogge

Wie entstehen in deiner Abteilung “Technology Innovation” Impulse für neue Technologien und Modelle?

Wir lernen viel durch die Beobachtungen aus der Natur. Unser Modell Cloudstratus beispielsweise hat eine ganz bestimmte Dämpfung. Der hat mehrere Reihen an Clouds, die übereinander gelagert sind. Was uns inspiriert hat? Wir haben uns gefragt: Was ist das beste Dämpfungssystem der Welt? Ein Specht schlägt mit seinem Schnabel und mit seinem Kopf mehrere hundertmal pro Sekunde gegen einen Baumstamm, ohne dabei sein Gehirn zu beschädigen. Das liegt daran, dass die Knochen des Spechts viele kleine Hohlräume hintereinander haben. Jeder Hohlraum dämpft den Aufprall etwas ab. Genauso machen wir das auch bei unserem Schuh. Wenn wir mehr Dämpfung haben wollen, dann setzen wir mehrere Dämpfungsebenen ein, um den Aufprall des Fußes schrittweise zu dämpfen. Ein anderes Beispiel aus der Natur ist der sogenannte Lotusblüten-Effekt. Hier erzeugt man eine andere Oberflächenspannung des Wassers, damit das Wasser abperlt. Neben der Natur lassen wir uns auch von anderen Industrien inspirieren, zum Beispiel von der Bau-, Flug-, oder der Automobilindustrie oder auch von der Architektur. Wie lösen andere Unternehmen bestimmte Probleme? Die FEA Simulation wird in der Automobilindustrie schon länger verwendet, warum sollte man das dann nicht auch bei uns machen?

Wie funktioniert die FEA Simulation?

FEA steht für Finite Elemente-Analyse: Der Grundsatz ist, dass wir versuchen, die Realität möglichst genau in einem virtuellen Modell abzubilden und zu replizieren. Das Modell besteht aus sogenannten endlichen Elementen, wie ein Puzzlestück. Also eigentlich wird ein Bein in viele kleine Puzzlestücke zerlegt und umso kleiner man die macht, umso genauer wird das Ganze. Um daraus ein Modell zu kreieren, was möglichst genau ist, muss man mit möglichst vielen Daten arbeiten. Wenn man nur einen einzigen Datensatz von einer Person nehmen würde, dann würde der Schuh nur für diese eine Person funktionieren. Aber wir müssen ja einen Schuh machen, der für möglichst viele Leute funktioniert. Und darum haben wir über 1.000 von ihnen vermessen und aus dem Durchschnitt der Daten von diesen 1.000 Menschen ein Modell kreiert. Das Modell simuliert, was beim Abrollen, beim Landen und beim Abstoßen passiert. Dann können wir das System einerseits mit unterschiedlichen Ideen füttern, aber andererseits macht das System auch selbst Vorschläge, um die Dämpfung zu verbessern. So ermittelt es, welche die perfekte Sohle für unser Ziel ist.

Der perfekte Laufschuh der Zukunft soll sich laut Altrogge nicht nur wie eine zweite Haut anfühlen, sondern auch klimaneutral sein. Bild: On

Nach vorne gedacht: Wie sieht der perfekte Sportschuh der Zukunft aus?

Ich habe zwei Träume: Einen Performance-Traum und einen Nachhaltigkeits-Traum. Der Performance-Traum besteht darin, dass der Schuh sich nicht mehr so anfühlt, als wäre er außerhalb meines Körpers, sondern dass er zu mir gehört, nahtlos zu meinem Fuß übergeht und sich genau an das anpasst, was ich möchte. Zum Beispiel: Wenn ich müde werde, brauche ich mehr Dämpfung, wenn ich fit bin und schnell laufen möchte, brauche ich mehr Rebound. Ich wünsche mir ein smartes System, dass sich an den Fuß anpasst wie eine zweite Haut. Mein Nachhaltigkeits-Traum ist ein Net Zero Schuh, also ein Schuh mit gar keinem oder sogar negativem CO2-Fußabdruck.

Wann wird diese Vision zur Realität?

Ich gebe keinen Zeithorizont dazu, aber das wird definitiv möglich sein. Dieser Gedanke motiviert mich jeden Tag.

Transparanezhinweis: Dieses Interview ist Teil einer bezahlten Kooperation mit der Marke On.