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Bild: the north art

Metaverse: Ein Safe Space für Perverslinge?

Das Metaverse ist nicht einmal für die breite Öffentlichkeit verfügbar, doch schon häufen sich Berichte über sexuelle Übergriffe und Belästigung auf den Meta-Diensten Horizon Worlds und Horizon Venues. Wird die virtuelle Realität ein Paradies für Perverslinge?

Der Meta Konzern geht durch turbulente Zeiten. Sinkende User Zahlen, Börsencrash und die aktuellste Drohung, Europa den Rücken zuzukehren, machen deutlich, wie sehr Meta-Mogul Mark Zuckerberg um das Image seines Konzerns kämpft. Die sich aktuell häufenden Berichte über sexuelle Belästigung im Metaverse kommen Zuckerberg gerade umso weniger gelegen. Umso mehr bemüht er sich, das Metaverse als einen “safe space” zu präsentieren, in dem User sich wohlfühlen können.

“Es war surreal. Ein Alptraum”

Doch leider ist das Metaverse bisher alles andere als ein “safe space”, wie aus dem Bericht von Meta Testerin Nina Jane Patel hervorgeht: “Innerhalb von 60 Sekunden wurde mein Avatar von 3-4 männlichen Avataren mit männlichen Stimmen verbal und sexuell belästigt, vergewaltigt und fotografiert. Als ich versuchte, der Situation zu entfliehen riefen sie: ‘Tu nicht so, als hätte es dir nicht gefallen!’ Eine schreckliche Erfahrung, die so schnell passierte, dass ich gar nicht darüber nachdenken konnte, die Sicherheitssperre zu aktivieren. Es war surreal. Ein Alptraum”, berichtete Patel auf ihrer Medium Seite im Dezember.

Leider ist das Metaverse bisher alles andere als ein “safe space”, wie aus dem Bericht von Meta Testerin Nina Jane Patel hervorgeht. Innerhalb kürzerster Zeit wurde ihr Avatar von anderen Avataren aggressiv belästigt. Bild: Lumn 3

Kurz darauf der nächste Bericht: “Es war nicht das erste Mal und wird sicherlich nicht das letzte mal sein, dass jemand mich sexuell in VR belästigt”, schreibt eine unidentifizierte Beta-Testerin der Plattform. “Sexuelle Belästigung im Internet ist kein Witz, aber VR fügt dem Ganzen eine weitere Ebene hinzu, die das Erlebte noch intensiver macht.” Wie auch Patel konnte die nicht namentlich genannte Testerin nicht schnell genug reagieren, um den übergriffigen User zu blockieren. Doch statt einzugreifen, zogen sich verantwortliche Content-Moderatoren im Metaverse, sogenannte “Guides”, schnell aus der Affäre. Konsequenzen gab es scheinbar keine, zumindest wurde darüber nicht berichtet.

Nun fordert die angegriffene Userin Konsequenzen: ein Strafzettel-System, in dem übergriffige User gemeldet und vorübergehend gesperrt werden können, Sensibilitäts-Trainings für Moderatoren sowie eine “Sicherheitsblase” um den Avatar herum. Was den letzten Punkt betrifft, hat Meta nun reagiert und kündigte kürzlich das neue Feature “personal boundary” an. Durch einen vorprogrammierten Sicherheitsabstand von 4 Fuß (1,2 Meter) zwischen den einzelnen Avatars soll die “personal boundary” Belästigung vorbeugen. “Wir glauben, das wird dazu beitragen, Verhaltensregeln zu bestimmen – und das ist wichtig für eine relativ neue Plattform wie VR”, heißt es in der Ankündigung.

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Metaverse: “Safe Space” oder Spielwiese für Perverslinge? 

Doch abgesehen von der angekündigten Sicherheitsblase, ist Meta auf die Forderungen der angegriffenen Userin nicht eingegangen. Von einem Strafzettel System, Abschreckung, Sensibilitätstrainings oder effektiver Content-Moderation ist in der Ankündigung keine Rede. “Mit der Zeit werden wir weitere Verbesserungen veranlassen”, verspricht Meta stattdessen, als ob das genug wäre. Tatsächlich könnte eine Sicherheitsblase zu Player-Collision führen, ein gängiges Problem in der Gaming Welt, bei dem Avatars die Bewegung von anderen Avatars blockieren können, sie umzingeln und einschließen können.

Der erste digitale Rape fand schon 1993 statt

Ob die 2000er Chatplattform Knuddels, Chatroulette, Facebook oder Instagram – sexuelle Belästigung im Internet ist ein altbekanntes Problem, das sich nicht einfach so lösen lässt. Der erste dokumentierte Fall geht ins Jahr 1993 zurück, als ein User namens “Mr. Bungle” einen anderen User des Chatrooms Lambda MOO mit einer virtuellen Voodoo-Puppe zu simuliertem Sex zwang. Der Fall “A Rape in Cyberspace” ging Dank der Berichterstattung des Journalisten Julian Dibbell in die Geschichte des Internets ein und regte eine Diskussion über digitale Communities und Normen im digitalen Space an. 

Trotzdem hat sich seit dem Cyberspace-Rape nicht viel geändert, denn das Internet war lange ein rechtsfreier Raum. In Deutschland ist Cyberstalking, worunter sexuelle Belästigung fällt, erst seit 2007 strafbar. 2021 wurde die Gesetzgebung noch einmal verschärft, verurteilte Stalker können jetzt bis zu 5 Jahre ins Gefängnis kommen. Doch das Gesetz greift natürlich nur national und kann bei weitem nicht alle möglichen Szenarien der Online-Belästigung abdecken. Betroffenen wird zwar empfohlen, übergriffige Nutzer*innen zu melden, Screenshots zu machen und diese anzuzeigen, doch letztlich liegt die Verantwortung bei den Betroffenen selbst.

Seit dem Aufstieg sozialer Medien, wo der Großteil der Betroffenen sexuelle Belästigung erfährt, hat sich sexuelle Belästitung im virtuellen Raum verschlimmert. Ein Viertel aller Amerikaner*innen hat bereits sexuelle Belästigung im Internet erlebt, jedes Jahr steigt die Zahl weiter an. Frauen, vor allem jüngere, sowie nicht heterosexuelle bzw. heteronormative Menschen sind besonders stark betroffen, wie aus der PEW-Studie hervorgeht. In Deutschland wurden laut einer Umfrage 70 % aller befragten Frauen zwischen 17 und 24 Jahren online belästigt, die meisten von ihnen über Instagram und Facebook. Wie viele Täter*innen tatsächlich gefasst werden, ist unklar. Laut dem Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe (Bff) ist “die Datenlage in Deutschland zum Thema (geschlechtsspezifische) digitale Gewalt spärlich” und über das Ausmaß sei “bisher nur wenig bekannt”, da viele Täter anonym agieren und Betroffene Vorfälle kaum melden. Kein Wunder, dass immer mehr Stimmen das Metaverse für einen frauen– und queerfeindlichen Ort halten.

Ist eine Schutzblase genug?

Für Meta dürfte es keine Neuigkeit sein, dass Missbrauch und Belästigung auf allen Meta-Plattformen vor allem für marginalisierte Gruppen eine kollektive Erfahrung ist. Ob es Mark Zuckerberg kümmert? Als erfahrener Virtual Reality Mogul müsste er zwar eigentlich wissen, dass eine Schutzblase nicht genug ist, um ein strukturelles Problem anzugehen. Bleibt es bei der Schutzblase, zeigt Zuckerberg, dass er Nutzer*innen die Verantwortung am liebsten einfach zurück spielt. In Anbetracht dessen wirkt das neue Feature im besten Fall hilflos, im schlechtesten, gleichgültig. Willkommen im Metaverse: “Safe Space” für Perverslinge, Alptraum für Marginalisierte.

Gewalt im virtuellen Space ist nichts neues. In unserem Kompendium dazu nehmen wir euch auf eine Zeitreise zu virtueller Gewalt mit.