Love sells! Kein Wunder, dass Online-Dating heutzutage absolut boomt. Aber was spielt sich ab, während das Kennenlernen immer mehr ins Internet verlagert wird? Die Apps haben jedenfalls ihre ganz eigene Agenda …
Wenn man vor fünf, sechs Jahren erzählt hat, dass man jemanden beim Online-Dating kennengelernt hat, mögen manche vielleicht noch große Augen gemacht haben. Aber heute, 2022, ist das digitale Treffen wohl wirklich nichts Ungewöhnliches mehr. In Deutschland hat sogar jede:r Dritte der 30- bis 49-Jährigen solche Plattformen und Apps schon einmal genutzt. Aber während User:innen bei dieser emotionalen Sache fast schon emotionslos nach rechts und links swipen, stellt sich doch die Frage, was eigentlich dahinter steckt.
Schicksal oder Mathematik? Wenn Algorithmen beim Matchen mitmischen
Eine absolute Geldmaschine, um es kurz zusammenzufassen. Damit habe ich mich als Co-Autorin und Producerin der ZDFzoom Dokumentation „Liebe, Macht & Metaverse – Das Dating-Imperium“ gemeinsam mit meiner Co-Autorin Lena Nagel intensiv auseinandergesetzt. Eine Erkenntnis vorab: Klar, Online-Dating ist Big Business, aber auch ganz viel mehr. Ein Safe Space für die LGBTQ+ Community zum Beispiel und sicher auch ein Grund dafür, warum sich unser Miteinander verändert hat. Was bei der Recherche aber vor allem hängen geblieben ist, sind die kleinen Details, wie Tinder, Bumble und Co. eigentlich hinter den Kulissen funktionieren und upgraden. Ein Match ist da längst kein Schicksal mehr, sondern vor allem Mathematik.
Und plötzlich wird die Liebe zur Programmieraufgabe. Das bringt uns in der Doku Mina Saidze näher. Sie ist Data Evangelist und Gründerin von Inclusive Tech – eine Community und beratende Firma, die sich für Diversität in der Technologiebranche einsetzt. Die Expertin erklärt es am wohl prominentesten Beispiel im Online-Dating: Tinder. Übrigens die absolute Cashcow unter den Dating-Apps. Allein 2021 soll das Unternehmen einen Umsatz von rund 1,65 Milliarden US-Dollar erwirtschaftet haben. Aber zurück zum eigentlichen Thema. Saidze erklärt, dass die App beim Algorithmus mit Bilderkennung arbeiten und somit verstärkt auf das Aussehen setzen würde.
Was auch eine Rolle spielen soll: Die User:innen-Interaktion – also wie oft nach links oder rechts geswiped wird – und natürlich die vielen Informationen, die man als Nutzer:in angibt. Sei es die sexuelle Orientierung, Hobbys oder diverse Vorlieben. Mina Saidze nennt diese Daten das Futter, die das „kleine Monsterchen“, also der Algorithmus, benötigt. Letzterer verrechnet die verschiedenen Attribute und macht dann Vorhersagen über potenzielle Partner:innen. Zufall ist ein Match demnach nicht, sondern vielmehr einfach Technologie. Und nebenbei wird hier natürlich auch an das Geschäft gedacht. Die User:innen-Informationen werden nämlich nicht nur für den Algorithmus verwendet, sondern auch gespeichert und weiterverarbeitet – für analytische Zwecke oder eben Werbung. Ka-ching!
So exklusiv kann Online-Dating sein
Aber so ganz genau werden wir wohl nicht herausfinden, wie das Matchmaking funktioniert. Wie so ein Algorithmus konkret arbeitet, der natürlich von App zu App unterschiedlich ist, ist in der Regel absolutes Betriebsgeheimnis. Nach eigenen Angaben werden Matches bei Tinder mittlerweile vor allem basierend auf die Online-Aktivität verteilt. Den ELO Score habe man den Rücken gekehrt. Elo-was? Hierbei handelt es sich um einen Algorithmus, der seine Wurzeln im Schachspiel hat und eigentlich dafür entwickelt wurde, die Spielstärke von Spieler:innen zu bewerten. Im Online-Dating angekommen, hatte der seine ganz eigene Agenda. Da drehte sich nämlich alles ums Aussehen.
Zunächst wurde dem Algorithmus beigebracht, was „attraktiv“ ist bzw. welche äußerlichen Merkmale das sind. Und dann? „Wenn ich zum Beispiel von jemandem, der eine sogenannte „zehn“ ist, geliked werde, dann bin ich rapide beliebter, als wenn ich ein Match von einer Person erhalte, die mit einer „drei“ bewertet wird bzw. als weniger beliebt oder attraktiv gilt“, erklärt Mina Saidze. „Und genauso funktioniert dieser Score, weswegen er auch immens unter Kritik steht, weil Beliebtheit wiederum seinen Ursprung auf die Definition von normschöner Attraktivität hat.“ Das kann viele Menschen ausschließen und ist außerdem hinsichtlich des Zeitgeistes sehr kontrovers. Deswegen soll der ELO Score heute der Vergangenheit angehören. Doch dies ist eher PR, wenn man sich ein paar der Bezahlfeatures auf Tinder anschaut.
Denn so ganz hat man im Dating-Haus Tinder offensichtlich nicht von der Attraktivität als Faktor abgelassen, der entscheidend für das Nutzer:innenerlebnis ist. Das lässt sich allein beim Feature „Top Picks“ betrachten, das Teil des kostenpflichtigen Gold- oder Platinum-Abos ist. Diejenigen, die Geld zahlen, bekommen damit ein potenzielles Match präsentiert, bei dem sich laut Unternehmen „das Swipen richtig lohnt“. Das sind dann besonders attraktive potenzielle Dates. Falls diese auch einen akademischen Abschluss haben, wird dieser zusätzlich hervorgehoben. Wer den zahlenden User:innen angezeigt wird, ist ebenfalls kein Zufall. Dahinter steckt wieder der Algorithmus, wie es unter anderem Flirt-Coach und Online-Dating-Experte Andreas Lorenz auf seiner Website erklärt. Der Vorschlag komme zustande, weil das Match nach KI-Meinung besonders gut passen könnte. Außerdem ist das Gegenüber immer „höchst attraktiv“. Der Algorithmus merkt sich, wer zuvor Swipes nach rechts oder links geswiped wurde und wer demnach den Geschmack treffen könnte. Nur gibt es mit den „Top Picks“ keine Garantie für ein Match. Umso besser, wenn es nicht zustande kommt, jedenfalls für die Apps. So besteht die Möglichkeit, dass man noch einmal Geld dafür ausgeben würde, um die eigenen Chancen zu steigern.
Der Glücks-Kick beim Swipen und Matchen
Während die einen digital ganz unbekümmert nach Dates suchen, werden Behind-the-Scenes bewusst die Fäden gezogen. Mindestens genauso bedeutend wie der Algorithmus sind im Online-Dating auch das Design und die ganze Aufmachung. Da kann man durchaus von einem gewissen Online-Shopping-Charakter sprechen, der die User:innen beim Swipen fast schon vergessen lässt, dass hinter den Bildern echte Menschen stecken. Obwohl das Wischen nach links und rechts mittlerweile ziemlich automatisiert abläuft, hat es einen großen Effekt auf uns. Und da wären wir bei dem psychologischen Prinzip der variablen Belohnung.
Bei Apps wie Tinder, Bumble und Co. läuft das so ab: Die Belohnung ist das Match. Von wem, wann oder ob es kommt, ist unklar – was das Ganze natürlich so spannend macht.
Trifft es ein, wird reichlich Dopamin ausgeschüttet, wie es Mina Saidze und andere Expert:innen nahelegen. Dieser Glücks-Booster kommt aber auch bei der reinen Hoffnung darauf, dass das Gegenüber nach rechts swiped, zustande. Und weil so ein Dopaminrausch schnell wieder vorbei ist, will man mehr und mehr. Deswegen bleiben viele User:innen, ohne dass es ihnen wirklich bewusst ist, so gerne auf den Apps. Letzteren spielt das natürlich in die Karten – mehr Zeit auf der App bedeutet schließlich mehr Werbeeinnahmen. Im Gegensatz zu ihren Kund:innen sind sich diese also sehr bewusst darüber, was hier abläuft und wie man so ein psychologisches Prinzip für die eigenen Zwecke nutzen kann.
Die Dating-Unternehmen müssen und wollen schließlich ihr (großes) Geld verdienen. Wenn sich aber direkt jede:r nach dem ersten Swipe verliebt und die App wieder löscht, geht das Geschäftsmodell leider nicht auf. Das baut zwecks Image natürlich schon auch darauf auf, dass hier wirklich Liebe gefunden werden kann, aber eben auch darauf, dass man den Service so lange wie möglich nutzt. Deswegen liebäugeln in dieser Industrie schon einige mit dem Metaverse. Der virtuelle Raum kann eine vielversprechende Möglichkeit sein, um User:innen an sich zu binden.
Gamechanger Online-Dating – es hat unsere Möglichkeiten verändert
Wer online einen Service kostenlos nutzt, muss sich letztendlich fragen, wie das Unternehmen Geld erwirtschaften kann. Von Liebe allein leben, geht eben nicht. Deswegen sind die Features von Dating-Plattformen ja auch nicht verwerflich. Nur sollte man sich eben bewusst sein, dass es bei jedem Match weniger um Schicksal und mehr um Profitmöglichkeiten geht.
Nach der Arbeit an der Doku bin ich als Single nicht zurück zu den Apps gekehrt. Was aber weniger an den Erkenntnissen, sondern mehr an mangelndem Interesse liegt. Auch die Datenverarbeitung stößt mich nicht ab, denn dann dürfte ich ja auch kein Instagram nutzen.
Grundsätzlich finde ich, dass Online-Dating auch einige positive Tendenzen mit sich gebracht hat. Man kann jetzt natürlich auf das Thema Oberflächlichkeit gehen, aber in einer Bar ist es ja auch nicht der Charakter, sondern der erste Eindruck, der entscheidet, ob man jemanden anspricht. Ähnlich sehe ich das mit dem Algorithmus. Im Offline-Leben übernehmen wir seinen Job quasi selbst, filtern, indem wir uns ein bestimmtes Restaurant oder einen Club aussuchen, indem wir uns schlichtweg in unserer Bubble bewegen. Was die KI macht, ist einfach vorzufiltern und uns im digitalen Raum immerhin ein bisschen Überforderung zu ersparen. Auch wenn das Potenzial dafür aufgrund des Choice Overloads trotzdem gegeben ist. Letzten Endes ist das Kennenlernen dadurch einfacher und schneller geworden. Wir haben unseren Radius erweitert, sind, ohne es vielleicht zu merken, eine diversere Gesellschaft geworden, weil wir durch Tinder, Bumble und Co. Menschen kennenlernen, auf die wir ohne App vielleicht nie gekommen wären. Und das ist doch etwas Gutes.
Einblicke in die Recherche gibt es bei „Liebe, Macht & Metaverse – Das Dating-Imperium“, ab sofort in der ZDFmediathek abrufbar.