Gen Z hat keine Lust mehr auf People- und Society Pleasing und läutet auf TikTok die “Villain Era”, also die “Schurken-Ära” ein. Aber den Teens geht es nicht darum, boshaft oder gar kriminell zu sein. Vielmehr ist der virale Euphoria-Slogan zur Hymne eines Mental-Health Trends geworden, mit der kleine Errungenschaften als Akte der Selbstbestimmung zelebriert werden.
“Well, if that makes me a villain, then so fucking be it. I can play the fucking villain,” sagt die einst geliebte und dann gefallene Euphoria-Protagonistin Cassie in der letzten Episode auf der Theaterbühne, als sie wutentbrannt das Theaterstück ihrer Schwester unterbricht. Seit Cassies Auftritt und dem Euphoria-Fieber ist der Slogan auf TikTok und Instagram zur Hymne eines Mental-Health Trends geworden, der Schluss mit People Pleasing machen will und sich über gesellschaftliche Zwänge mit kleinen Errungenschaften hinwegsetzt. In den TikTok-Videos sieht man vor allem Frauen und Angehörige marginalisierter Gruppen, die den Begriff des Schurken, der eigentlich negativ besetzt ist, für sich beanspruchen. Was steckt hinter dem Trend?
Der Begriff “Villain Era” hat es von TikTok bereits in die Medien und ins Urban Dictionary geschafft. Das Online Wörterbuch definiert den Begriff als eine Phase, in der sich jemand extra boshaft, schadenfroh oder verrückt verhält, häufig auch nach einer Trennung oder einem Glow-Up.
Es offenbart sich ein Generationswandel
Hinter den TikTok-Videos steckt aber mehr als ein bisschen rebellisches Partyknutschen. War ein Schurke, ein Villain, bis eben noch eine eher ungeliebte Randfigur, ist er heute ein erstrebenswertes Ziel der Generation Z. Die Rolle des Schurken ist in der Popkultur nichts Neues; Gangster- und Superhelden-Filme bauen ganze Geschichten auf der Faszination von Schurk*innen auf, vom Joker bis zu Catwoman. Doch bei dem Villain-Trend geht es nicht darum, Böses zu tun, sondern eher darum, Grenzen zu setzen und sich über gesellschaftliche Zwänge hinwegzusetzen. Deshalb ist Begriff des Schurk*in an dieser Stelle eigentlich nicht passend, denn wer sich an erster Stelle setzt, muss nicht böse sein.
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Das Schurkenspiel ist nicht der einzige radikale Gen Z-Trend, mit dem die Generation gegen die Gewohnheiten der vorherigen rebellieren will. Während die Millenials konstant unter Bindungsängsten, FODA (fear of dating again) und hesidating zu leiden scheinen, entgegnet Gen Z knallhart das sogenannte “Hardballing”. Bei diesem Dating-Trend geht es darum, gleich beim ersten Date Erwartungen an eine potenzielle Beziehung klar zu machen. Sind die Erwartungen nicht miteinander vereinbar, heißt es: next.
Gen Z möchte lieber nicht
Die “Villain Era” und der “Hardballing” Dating-Trend haben eins gemeinsam: Sie drehen sich um Empowerment und Widerstand gegen gesellschaftliche Normen vorheriger Generationen. Widerstand, Dinge einfach zu akzeptieren, ja zu sagen und weiterzumachen. Denn aus Wut entsteht Veränderung, schreibt auch die Politologin Juliane Marie Schreiber in ihrem neuen Buch “Ich möchte lieber nicht”. Schenkt man ihrem Argument Glauben, waren es nie die Glücklichen, die die Welt verändert haben, sondern die Unzufriedenen, die Unglücklichen, die Suchenden.
Diese These ist ganz im Einklang mit Cassie aus der Serie Euphoria, als sie auf die Bühne stürmt und zu ihrer Schwester Lexi sagt: “Ich bin diejenige die Risiken eingeht, diejenige die sich verliebt, diejenige die verletzt wird. Du hast nie richtig gelebt.” Es sind Rebellionen einer Generation, die schon täglich mit Schönheitsbildern und gesellschaftlichen Normen in den sozialen Medien konfrontiert war, bevor sie das kleine Einmaleins gelernt haben.
Zugegeben, Cassies egozentrisches Verhalten, mit dem sie blind vor Liebe einfach die Konsequenzen ihrer Handlungen ignoriert und auf den Gefühlen anderer herumtrampelt, hat nicht gerade den Charakter einer Vorbildfunktion. Klare Grenzen zu setzen, auf sich selbst Acht zu geben und gesellschaftliche Zwänge zu überwinden aber schon – und diese Dinge sind keineswegs schurkenhaft. Die Tatsache, dass eine Generation diese als solches versteht, macht die immer noch intakten Machtstrukturen unserer Gesellschaft deutlich, in der vor allem von marginalisierten Gruppen erwartet wird, zu allem Ja und Amen zu sagen. Sich gegen solche Strukturen zu wehren, ist nicht schurkenhaft, sondern vermutlich heldenhaft.