facebook-likehamburgerlupeoverview_iconoverviewplusslider-arrow-downslider-arrow-leftslider-arrow-righttwitter

Wie prägen die Erlebnisse unserer Vorfahren unsere Gene?Foto: Kimberly Gail Ischy Gellasch.

Seuchen, Krieg & Rassismus: In der DNA findet man Spuren der Vergangenheit

Vieles wird uns von unseren Vorfahren mit auf den Weg gegeben. Je näher sie uns in der Ahnenreihe sind, desto größer ist ihre Mitgift. Die Epigenetik erforscht, wie die Dinge, die sie erlebt haben, auch unsere Gene beeinflussen. 

Die DNA ist auf Platz 1 zweier Hitparaden. Einmal ist sie Chartstürmer der Vererbung und darüber hinaus auf den Personalisierungscharts des menschlichen Körpers.

Nach und nach findet die Forschung jedoch zusätzliche Verbindungen, welche sich zwischen uns und unseren Ahnen erstrecken. Ein relativ junges Feld, welches transgenerational und nach neuesten Erkenntnissen wahrscheinlich transhuman wirkt, ist das Feld der Epigenetik. Doch was verbirgt sich hinter diesem Begriff?

Genetik vs. Epigenetik – Wo liegt der Unterschied?

Die Genetik beschreibt nur die Wissenschaft von dem, was weitergegeben wurde – wie sich aber die Erlebnisse unserer Vorfahren in unseren Genmustern manifestieren – das erforscht die Epigenetik. Foto: Anna Marchenkova via Wikimedia Commons, CC BY 4.0.

Die Genetik beschreibt die Vererbungslehre, die materielle Weitergabe von Merkmalen in Form des Genmaterials. Grundlegend wird die genetische Information zu gleichen Teilen von beiden Elternteilen an ihre Kinder weitergegeben. Die genetische Vielfalt kommt dabei durch Crossing Over und natürliche Mutationen zustande. Epigenetik ist das Fachgebiet der Biologie, das zu erklären versucht, welche Faktoren die Genaktivität und somit die Ausprägung der Zelle bestimmen.

Die auf der DNA gespeicherten Geninformationen, zusammengefasst im Exom (der codierende Anteil der Chromosomen), werden in den verschiedenen Zelltypen des Organismus zu ungleichen Teilen genutzt. Beispielsweise können Genmuster einer Nervenzelle hochaktiv sein, während die gleichen Gene in einer Darmzelle kaum beansprucht werden. Kurzum: Beide Zellen beinhalten identische Informationen, nutzen diese jedoch unterschiedlich.

Verschiedenste Mechanismen beeinflussen die Epigenetik und schreiben somit dem Organismus vor, wie er Nährstoffe verstoffwechselt, den Hormonspiegel reguliert, das Zellrecycling-Programm fährt und auch wie schnell Nervenautobahnen Reize weiterleiten.

Der wichtigste Mechanismus der Epigenetik: die Methylierung

Foto: Cátia Matos.

DNA-Methylierung ist ein Prozess, bei dem Genabschnitte deaktiviert werden können. Die einhergehende Modifikation kommt dadurch zustande, dass sich eine Molekülverbindung (Methylgruppe) an die Doppelhelix der DNA bindet und damit den Zugang erschwert. Sie ist aber keineswegs eine Mutation, da die Abfolge der DNA erhalten bleibt. Man kann sich das in etwa so vorstellen, als ob man mit einem Finger ein paar Wörter oder Buchstaben in einem Buch verdeckt. Die Wörter sind zwar noch da, aber davon abhängig, wie viel verdeckt ist, kann sich der Sinn beim Lesen verändern. 

Bei einem methylierten Gen wird dieser Abschnitt dementsprechend nicht mehr abgelesen und die Proteinproduktion erlischt. Jeder Mensch besitzt ein unverwechselbares Methylierungsprofil. 

Wie funktioniert Vererbung in der Epigenetik?

Foto: Ahnentafel von Herzog Ludwig (1568-1593), via Wikimedia Commons, gemeinfrei.

Bei der Entstehung eines neuen Menschen liegt die Verschmelzung der Eizelle und des Spermiums zugrunde. Da Mutter und Vater jeweils ein einzigartiges, voneinander abweichendes epigenetisches Muster vorweisen, wird in der Zygote das Methylierungsmuster beider Chromosomensätze beinahe komplett gelöscht und es bildet sich ein individuelles Muster aus. Das neue Muster ist wiederum einzigartig für das sich entwickelnde Individuum. So lautete jahrzehntelang das Credo der Naturwissenschaftler.

Seit einigen Jahren wird die Epigenetik von Forschern rund um den Globus unter die Lupe genommen und es wurden erstaunliche Erkenntnisse gewonnen. Denn nicht alle Methylierungsmuster werden gelöscht. Manche bleiben, manche kehren zurück und manche werden sogar auf den Partnerchromosomensatz übertragen. Wie dies genau funktioniert, kann bis dato nicht erklärt werden.

Der Grundstein der transgenerationalen Epigenetik

 Den Grundstein für eine epigenetische Vererbung legten 2008 die Forschungen an dem Gen agouti. Normalerweise ist das Gen weitgehend methyliert, was eine niedrige Genaktivität zur Folge hat.

Nachdem Mäuse mit einem in vielen Plastikarten vorkommenden Stoff behandelt wurden, verlor agouti seine Methylierung und wurde aktiv. Dies hatte zur Folge, dass die Nachkommen der behandelten Mäuse auch ein aktives agouti vererbt bekamen. Dies konnte man an der veränderten Fellfarbe einfach nachvollziehen. Nach Zufütterung von Methylierungsfaktoren änderte sich die Fellfarbe in der Folgegeneration wieder in ihren natürlichen Zustand. Diese Studien von Wolff, Dolinoy und Huang bewiesen erstmals die vererbbare Epigenetik.

Können auch psychische Einflüsse biologisch nachgewiesen werden?

Viel länger, als die Menschheit sich der Epigenetik bewusst ist, wird über transgenerationale Traumata diskutiert. Beispielsweise wurde auf psychologischer Ebene untersucht, ob Europäer die Kriegstraumata des Zweiten Weltkrieges an Folgegenerationen weitergeben. 

Generell wurde im Mausmodell bereits gezeigt, dass Kindheitstraumata über mehrere Generationen in den epigenetischen Mustern der Nachkommen zu finden sind. Dies ist ein erster biologischer Anhaltspunkt, dass zum Beispiel die Kriegstraumata aus dem Zweiten Weltkrieg tatsächlich vererbt werden können und somit auf hormoneller Ebene Depressionen und posttraumatische Belastungsstörungen in Folgegenerationen hervorrufen können.

Von traumatischen Erlebnissen zum tagtäglichen Stress

Auch täglicher Stress hinterlässt bei ausgewachsenen Mäusen seine Spuren. Nager assoziierten nach mehrmaliger Stresseinwirkung bei gleichzeitigem Versprühen eines bestimmten Duftstoffes den wahrgenommenen Geruch mit Stress. Die betroffenen Tiere reagierten anschließend auch ohne Stresseinwirkung bei Wahrnehmung des Geruchsstoffes ängstlich. Interessanterweise wurde ähnliches Verhalten auch bei Nachkommen in erster und zweiter Generation nach Erschnuppern des Duftes registriert. Im Anschluss an die psychologischen Erkenntnisse wurden die Tiere anatomisch untersucht. Dabei wurde eine stärkere Vernetzung von Riechkolben und Gehirn bei behandelten Tieren und deren Folgegenerationen festgestellt. Diese anatomische Anpassung, so argumentieren die Forscher, soll auf chemischen Modifikationen des Genoms beruhen, nämlich auf Modifikationen der Epigenetik.

 Können die Erkenntnisse vom Tier auf den Menschen übertragen werden?

Es gibt zahlreiche Studien, welche den Zusammenhang von chronischen Krankheiten und ethnischer Herkunft durchleuchten. Foto: Don Ross III.

Nicht nur vererbtes Stressverhalten in Nagetieren wird heutzutage unter die Lupe genommen. Da die USA eine multiethnische Bevölkerung aufweisen, gibt es zahlreiche Studien, welche den Zusammenhang von chronischen Krankheiten und ethnischer Herkunft durchleuchten. Anhaltspunkte gibt es genug, wie zum Beispiel das disproportional hohe Auftreten von chronischen Rückenschmerzen bei Afroamerikanern, oder auch das vermehrte Auftreten von neurologischen Verhaltensstörungen und psychisch-neurologischen Belastungsstörungen.

Viele Studien fokussieren sich auf den Zusammenhang von ethnischer Herkunft und die damit verbundenen unterschiedlichen Lebenserfahrungen.

 Im Falle der psychischen Belastungen beziehen sich viele Studien auf Kindheitstraumata, welche – statistisch hoch – der afroamerikanischen Bevölkerung widerfahren sind.
Mehr als 80 % der Jugendlichen mit chronischen Schmerzen durchlitten mindestens ein Kindheitstrauma.

Ist die Epigenetik der Konverter von Lebenserfahrung zu Krankheit/Gesundheit?

Doch wie werden Traumata, Rassismus und ein niedriger sozioökonomischer Status in unserem Körper verankert? Ein Fokus der Forscher liegt klar auf der Epigenetik. In groß angelegten Studien von Needham et al. wurde die Epigenetik von Genen untersucht, welche mit Stress und Entzündungsreaktionen korreliert sind. Sie fanden eine signifikante Beziehung zwischen sozioökonomischem Status und epigenetischen Mustern.

Diese und andere Studien zeigen, dass wir nicht nur die Gesundheit unseres Stammbaumes, sondern auch die unserer Mitmenschen beeinflussen können. Leider wissen wir bis heute noch nicht, wie dies geschieht. Wir können nur die Effekte nachweisen.

Auch Erfahrungen unserer Vorfahren in Extremsituationen wie Hungersnöten beeinflussen unsere genetische Disposition in Sacgen Ernährung. Foto: Hungerwinter 1944/45 (unbekannter Fotograf / Anefo), Nationaal Archief via Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0.

Externe Einflüsse können je nach Entwicklungsstadium unterschiedliche Auswirkungen herbeiführen

Nicht nur psychische Erfahrungen, auch andere externe Einflüsse wie die Ernährung hinterlassen epigenetische Änderungen bei Nachkommen. Skandinavische Forscher fanden heraus, dass Enkel von Männern, die präpubertär eine Hungersnot durchlitten, ein niedrigeres Risiko für chronische Herzerkrankungen und Diabetes haben.

Konträrerweise zeigen Follow-up-Studien zum schwedischen Hunger-Winter 1944/45, dass männliche Enkel von damalig betroffenen männlichen Embryos fettleibiger sind als Nachfahren von nicht betroffenen Männern. Beides sind Beispiele von vererbbaren Einwirkungen durch radikale Ernährungsschwankungen in verschiedenen Entwicklungsstufen.

Dicke Eltern, dicke Kinder – Mythos, oder Realität?

Oft angeprangert ist die Schlussfolgerung „dicke Eltern, dicke Kinder“, doch was ist wirklich dran? In einem Tierversuch, der vom Institut für Experimentelle Genetik am Helmholtz Zentrum München durchgeführt wurde, wurde diese Hypothese bestätigt. Mäuse, die durch lipidreiche Ernährung adipös wurden und Typ 2 Diabetes entwickelten, gebaren Töchter mit Tendenz zum Übergewicht und Söhne mit erhöhtem Blutzucker. 

Auch Humanstudien aus Kopenhagen zeigen, dass Spermien von übergewichtigen Männern ein epigenetisches Muster aufweisen, welches Gene zur Appetitregelung beeinflusst. „Du bist, was du isst” gilt somit nicht nur für dich, sondern trifft auch auf deine Nachkommen zu.

Was ist dran an der Theorie von der Vererbbarkeit von Übergewicht und Co.? Foto: Annie Spratt

Wirkt sich dein Drogenkonsum auf deine zukünftigen Kinder aus?

Erste Erkenntnisse scheinen dies zu bestätigen. Neben den weitgehend prominenten physischen/psychischen Nebenwirkungen und Abhängigkeiten beim Konsumenten wird nun auch in der Epigenetik der Nachfahren nach vererbten Änderungen geforscht. Bisher wurden weitreichende Änderungen der Methylierungsmuster von Nachfahren z. B. durch Kokain, Tabak und Cannabis gefunden.

Das Wissen um die weitreichenden Auswirkungen der Epigenetik sollte zum Umdenken in vielen Lebensbereichen anstoßen

Der klare Trend der bisher durchgeführten Untersuchungen bezeugt, dass wir unsere, aber auch fremde Nachfahren schon lange vor ihrer Geburt prägen, positiv wie negativ. Heute ist die richtige Zeit, den eigenen Lebensstil, aber auch das Sozialverhalten zu hinterfragen und gegebenenfalls anzupassen. Denn spätestens jetzt haben wir es im biologischen Kontext schwarz auf weiß: Wir formen die Gesundheit der Folgegenerationen unseres Umfeldes mit.

Für unsere Großeltern ist es zu spät, sich für oder gegen das Rauchen, ein Steak oder eine schnippische Bemerkung zu entscheiden. Jedoch ist es unsere Verantwortung, mit unserem Verhalten auch das Leben der ungeborenen Generationen mitzugestalten. Jeder Einzelne von uns hat es in der Hand.