facebook-likehamburgerlupeoverview_iconoverviewplusslider-arrow-downslider-arrow-leftslider-arrow-righttwitter

Bild: Spatial

Sims war gestern, Spatial ist heute – Mein Ausflug ins Metaverse

Eine Hausparty in deinem eigenen Loft im Metaverse, eine Ausstellung im virtuellen Museum, oder einfach nur mit anderen beim Lagerfeuer zusammensitzen und sich unterhalten? Die VR-Plattform Spatial bringt die Idee des sozialen Netzwerks ins Web3. 

Web3 – die Idee eines dezentralen, blockchainbasierten Internets – gilt gemeinhin als die Zukunft des Internets. Und wer im Internet von morgen mitmischen möchte, muss dort jetzt schon Fuß fassen. Für Start-Ups und Unternehmen, die mit sozialen Netzwerken arbeiten, drängt sich die Frage auf: Wer wird das nächste Facebook im Web3 aufbauen?

Derzeit tummeln sich einige Metaverse-Plattformen in den Startlöchern. Decentraland, Sandbox und Spatial sind einige der Key-Player unter den VR-Netzwerken. Vor allem Sp​​atial erfreut sich an Beliebtheit, denn zunächst ist die Nutzung komplett umsonst. 

Nein, das ist nicht die Metaverse-Version von Sims 4. Das bin ich, in Form von meinem Avatar in meinem Wohnzimmer bei Spatial. Bild: Screenshot Spatial

Spatial – das Sims des Web3?

Wer früher mal Sims-süchtig war, sollte mit Spatial vorsichtig sein, denn bei Spatial bist du dein eigener Sim. Nachdem man sich angemeldet und seinen persönlichen Avatar erstellt hat, kann man beliebige „Räume“ erstellen, besuchen und dort mit Freund:innen oder Fremden abhängen. Ganz egal, ob es ein Garten, ein Loft, eine Kunstgalerie oder eine Techno-Party ist. 

Doch rein sozial ist Spatial nicht. Auch Konsum spielt eine Rolle: User können ihre Werke direkt als NFTs ausstellen und verkaufen, sich Upgrades, besondere Templates oder coole Outfits kaufen. Ziel ist natürlich ebenfalls, – wie bei jedem sozialen Netzwerk – dass User möglichst viel Zeit online verbringen und dort Geld ausgeben. Wer keine Lust hat, Innenarchitekt:in zu spielen, kann auch erstmal die unzähligen Räume auschecken, die es bereits gibt und dabei in Kontakt mit Fremden kommen. 

Mein Ausflug ins Metaverse

Meine Tour beginnt bei einem Lagerfeuer, wo ich unfreiwilligerweise in eine Unterhaltung über Area51 hinein hineinplatze. Upsi.

Als ich keine Lust mehr auf Verschwörungstheorien habe, wechsel ich den Raum und lande bei einem Hip-Hop Film-Festival, wo ein DJ auflegt und Avatare sich auf Russisch unterhalten. Ich verstehe nichts, also beame ich mich zum See Genezareth in einen Space namens „Holy Land Tour – Sea of Galilee – Christian Living“. Irgendwie nicht überraschend, dass das Christentum im Metaverse bereits vertreten ist. Auch hier wird also bereits missioniert. 

Nicht nur das Christentum, sondern auch Unternehmen sind bereits im Metaverse vertreten, wie ich in Vogue’s Räumen ‘Club Vogue Singapore’ und ‘Fashion’s New World’ feststellen musste. Bild: Screenshot Spatial

Am See Genezareth stoße ich auf „Kaiser“, den Avatar eines dominikanischen Mannes, der sich genauso ahnungslos umzusehen scheint wie ich. Neugierig lasse ich mich auf ein Gespräch ein und frage ihn, wo er sich gerade befindet, irl (in real ilfe). Positiv überrascht stelle ich fest, dass die virtuelle Welt mir die Gelegenheit zur vollkommenen Unvoreingenommenheit gibt, da man sich auf Avatar-Basis schlecht anhand von äußerlichen Merkmalen gegenseitig beurteilen kann – vor allem nicht, wenn man dasselbe Outfit trägt, so wie Kaiser und ich. Ein Zeichen?

Wir unterhalten uns eine Weile, er schmeichelt mir für meinen gar nicht so deutschen Akzent, ich bedanke mich und plötzlich ist mein neuer virtueller Freund auch schon wieder weg, noch bevor ich ihn fragen kann, weshalb er sich für den Namen „Kaiser“ entschieden hat. Womöglich ist er schon auf dem Weg nach Jerusalem, auf den Spuren von Jesus? Nur gut, dass ich mich nicht in den dominikanischen Kaiser verguckt habe, denn bei all den Räumen hätte ich ihn bestimmt nie wieder gefunden. Merke: Nicht im Metaverse verlieben.

Kaiser und ich treffen am See Genezareth aufeinander und tragen das gleiche Outfit. Ein Zeichen? Bild: Spatial Screenshot
Der “Sea of Galilee – Holy Land Tour – Christian Life”-Space zeigt, dass auch das Christentum im Metaverse längst vertreten ist. Bild: Screenshot Spatial

Wer steckt hinter Spatial? 

Als Tech-Unternehmer Anand Agarawala und Designer Jinha Lee 2018 Spatial gründeten, war die Ausgangsidee ein endloser Desktop und ein Augmented Reality (AR)-Tool. Nutzer:innen sollten sich mit einem VR-Headset treffen und austauschen können und mithilfe von Integrationen wie Google Drive oder Slack gemeinsam arbeiten können. 

„Wenn du Spatial benutzt, sind deine Kolleg:innen mit dir im Raum … Es fühlt sich so an, als würden sie alle an einem Tisch sitzen und mit dir in den Space teleportiert werden“, sagte Agarawala 2018. Kurze Zeit später kam die Pandemie und Remote-Arbeiten wurde zum neuen Standard. 

Doch anstatt sich zum virtuellen Coworking zu treffen, trafen Spatial-User sich zum socializen und abhängen, kreierten ihre eigenen NFT-Galerien, Lagerfeuer-Hangouts oder erschufen eine Kopie des See Genezareth. So entwickelte Spatial sich vom Work-Tool zu einem sozialen Netzwerk.

Was ist anders an Spatial?

Spatial ist längst nicht das einzige Metaverse-Netzwerk da draußen. Doch anders als bei den Konkurrenten, zum Beispiel Decentraland oder Sandbox, müssen sich Spatial-User kein Land kaufen, um 3D-Spaces zu erstellen, sondern können dafür umsonst eine Reihe von Templates nutzen. 

Der kostenlose Zugang zu virtuellem Land und „echten“, virtuellen Menschen ist wohl der Grund, weshalb Spatial so viele Web3-Interessierte wie mich und Kaiser anlockt. Denn obwohl das Metaverse seit Facebooks Namenswechsel 2021 in aller Munde ist, hat es immer noch nicht die breite Masse erreicht. Julia Finkeissen und Thomas Köhler, Autor:innen des Buches Chefsache Metaverse vermuten, dass es noch bis 2024 oder 2025 dauern wird, bis sich ein Ausflug ins Metaverse für die Masse lohnt.

Zunächst war Spatial als ein AR-Coworking-Tool geplant. Doch anstatt zusammen zu arbeiten, trafen User sich zum abhängen und socializen. So entwickelte Spatial sich vom Work-Tool zu einem sozialen Netzwerk. Bild: Spatial

Was bedeutet Spatial für die Zukunft?

Laut Finkeissen liegt das auch am technischen Zugang, denn nicht jede:r hat eine VR-Brille zuhause oder kann sich eine leisten. Tatsächlich nutzten die meisten Spatial auch nicht mit VR-Brille, sondern vom Desktop oder Handy aus. Doch vermutlich wird sich Web3 erst in den sozialen Medien durchsetzen, wenn die VR-Experience auch für die breite Masse verfügbar ist. 

„Schon jetzt arbeitet man an weiteren, sehr viel besseren, weitreichenderen Lösungen, die für die meisten von uns noch wie eine Episode aus einem Sci-Fi-Film anmuten. Zum Beispiel ein implantierter Chip im Gehirn“, sagt Finkeissen in einem Interview. VR-Brillen seien nach wie vor eine Übergangslösung. Kommt also bald der Chip im Hirn? Und würde die Masse ihn nutzen, oder ginge das zu weit?

Selbst ohne Chip im Hirn verleitet Spatial dazu, mehr Zeit in der virtuellen Welt als in der realen zu verbringen. Ähnlich wie bei Sims kann man bei Spatial schon mal das Zeitgefühl verlieren. Schon jetzt lässt sich außerdem absehen, dass Begegnungen in der virtuellen Parallelwelt auf Dauer nicht so vorurteilsfrei bleiben werden. Denn je mehr Menschen echtes Geld in virtuelle Konsumgüter investieren, desto sichtbarer werden die Statussymbole der Avatare – und umso mehr wird das Metaverse zum Abbild der realen Welt.