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Bild: Kat Wilcox

Sprache im Wandel – Gestern noch falsch, morgen im Duden

Egal ob Rechtschreibfehler, Wortschöpfungen oder Gendern. Alles, was vom „Duden-Deutsch“ abweicht, wird zurzeit noch diskreditiert und ausgeschlossen. Aber wer bestimmt eigentlich, was richtig oder falsch ist und wird es nicht langsam Zeit für mehr Flexibilität?

Die empfundene Intelligenz und das Bildungsniveau des Gegenübers sind eng mit dessen Sprachgebrauch verknüpft. Schon unsere Eltern korrigierten uns peinlich berührt, wenn wir sagen, dass wir nochmal „nach Ikea” müssen oder unsere Geschwister „älter wie wir” sind. Mit Leidenschaft weisen Menschen in Kommentarspalten von Tageszeitungen auf Fehler hin oder machen sich über bestimmte Ausdrucksarten anderer lustig. Denn, so wurde es uns beigebracht, wer falsch spricht, ist ungebildet.

Doch wer entscheidet eigentlich, was falsch ist und was richtig? Wo liegen die Grenzen? Und warum werden viele bei dem Thema so emotional?

Gymnasiallehrer und Philologe Konrad Duden schuf das Rechtschreibwörterbuch der deutschen Sprache. Bild: Wikimedia Commons

Von der Vielfalt zur Norm

Beginnen wir einmal mit etwas Sprachgeschichte. Seid ihr in der Lage den folgenden Text zu verstehen?

„Dat gafregin ih mit firahim firiuuizzo meista,

dat ero ni uuas noh ûfhimil,

noh paum nihheinîg noh pereg ni uuas,

ni suigli sterro nohheinîg noh sunna ni scein,

noh mâno ni liuhta noh der mâręo sêo.”

Wohl kaum. Dabei ist er tatsächlich auf Deutsch. Natürlich nicht so, wie wir es heute kennen. Es ist ein Auszug aus einem Wessobrunner Gebet von ca. 790 n. Chr., das auf Althochdeutsch verfasst wurde. Das Neuhochdeutsche, die jüngste Sprachstufe des Deutschen, entwickelte sich nach und nach unter anderem durch die Bemühung einer Sprachstandardisierung. Ähnlich wie die deutsche Landschaft war die Sprache zuvor keine Einheit, sondern regional bestimmt und unterschied sich stark. Es ist daher kein Zufall, dass im Zuge des aufkeimenden Nationalismus im 19. Jahrhundert auch Standardisierungsprozesse, Grammatik- und Rechtschreibregeln in das Schulwesen eingeführt wurden, um so auch sprachlich eine einheitliche Nation zu schaffen. Doch Einheit bedeutet nicht, dass alle gleich sind: Mit diesen Regelwerken und der Etablierung der Sprachwissenschaft wurde festgelegt, was als „richtig” und „falsch” zu klassifizieren ist. Sprache wurde so noch mehr als zuvor zu einem Werkzeug der Gelehrten, das die Unterschiede zwischen Klassen deutlich machte.

Ein Auszug aus dem Wessobrunner Gebet von ca. 790 n. Chr., das auf Althochdeutsch verfasst wurde. Bild: Bayrische Staatsbibliothek via Wikimedia Commons

Präskriptiv versus Deskriptiv

Die Idee, dass es richtige und falsche Sprache gibt, nennt man auch präskriptive Linguistik (aus dem Lateinischen „vorschreibend“). Hierbei zielt man darauf ab, eine Standardsprache zu etablieren und zu lehren, was eine bestimmte Gesellschaft als korrekte oder beste Form ansieht. Im Gegensatz hierzu steht die deskriptive Linguistik, in der die Sprache wertfrei beschrieben und analysiert werden soll.

In Bildungseinrichtungen lernen wir die Normen der Sprache in Kategorien wie „falsch” und „richtig”. Hierfür werden Regelwerke wie der Duden verwendet, die als Referenz für die Einteilung der Sprache genommen werden. Doch auch im Duden zeigt sich: Ein Fehler ist nur offiziell ein Fehler, wenn er nicht von genügend Leuten übernommen wird. Sobald sich eine Variante in einer größeren Gemeinschaft durchsetzt, wird sie auch von Regelwerken anerkannt und aufgenommen. Diesem stetigen Wandel verdanken wir eine lebendige Sprache, die sich an uns anpasst – und nicht umgekehrt.

Wir vs. die Anderen

Trotzdem erzürnt der Sprachwandel die Gemüter. In Tageszeitungen, Buchhandlungen und auch online findet man unzählige Ratgeber darüber, wie man gängige „Fehler” vermeiden kann (Stichwort: „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod”). Kommunikations-Coaches machen Angebote, Dialektfehler abzutrainieren und jede Kommentarspalte hat mindestens einen „Grammar-Nazi”, der oder die ein falsches Komma findet und damit das inhaltliche Argument für nichtig erklärt.

Wer den „falschen” Kasus verwendet („wegen dem schlechten Wetter”) oder in der Rechtschreibung versagt, wird belächelt, in Schule und Universität abgestraft und in der Jobsuche benachteiligt – egal wie qualifiziert der Gedanke oder die Person auch sein mag. Bild: Jonathan Kemper

Sprache steht für Intelligenz und Klasse. Wer den „falschen” Kasus verwendet („wegen dem schlechten Wetter”) oder in der Rechtschreibung versagt, wird belächelt, in Schule und Universität abgestraft und in der Jobsuche benachteiligt – egal wie qualifiziert der Gedanke oder die Person auch sein mag. Daher ist es verständlich, dass uns die Kategorien emotional werden lassen. Wir wollen nicht mit etwas assoziiert werden, das unser eigenes Ansehen beeinflussen könnte und sind daher voreilig bei der Verurteilung anderer anhand ihrer Sprache. Zudem hat Sprache einen stark identitätsstiftenden Charakter. Wer nicht so spricht wie wir, gehört nicht zu uns.

Diskriminierung von Sprachvarianten

Diese Art der Vorverurteilung führt auch dazu, dass Menschen aufgrund ihrer Sprache rassistische Diskriminierung erfahren. In den USA hat sich das AAVE (African American Vernacular English) über Jahrzehnte als eigenständige Sprachvariante des Englischen entwickelt und wird vor allem innerhalb der eigenen Communities gesprochen. Oft wird von Diskriminierung berichtet, da AAVE nicht dem elitären Sprachverständnis der „richtigen” Sprache entspricht. Viele schwarze Menschen bedienen sich dem sogenannten Code-Switching, wechseln also zu einem Standardenglisch außerhalb ihrer Community. Dass das AAVE aber einen besonderen Einfluss auf die Sprache der USA (und darüber hinaus) hat, sieht man daran, dass immer mehr Ausdrücke im mehrheitlichen Vokabular der Gen Z auftauchen. Vor allem auf TikTok werden vermehrt Begriffe wie „woke”, „basic” oder „sheesh” von weißen Content Creators verwendet, die keine Repressalien befürchten müssen – sehr zum Ärger der AAVE-Sprecher*innen.

Auch in Deutschland gibt es mit dem Kiezdeutsch, früher auch u. a. abwertend Ghettodeutsch genannt, einen ähnlichen Trend. Die Jugendsprache ist von multinationalen Einflüsse geprägt und zeichnet sich durch ihre Variation vom Standarddeutschen aus. Neben grammatikalischen Verkürzungen, Weglassen von Präpositionen und anderer Wortstellung sind die Fremdwörter kennzeichnend. Begriffe wie „lan“ (wörtlich „Mann/Typ“) oder „wallah“ (wörtlich „bei Allah“) werden auch von Jugendlichen nicht-arabischer Herkunft verwendet. In ihrer Doktorarbeit beschrieb die Berliner Soziolinguistin Diana Marossek, wie sich Eigenschaften des Kiezdeutschen in allen Berliner Vierteln in ähnlicher Ausprägung durchsetzen, egal ob gutbürgerlich oder im sogenannten Problemviertel. Doch auch wie beim AAVE wird Kiezdeutsch mit Menschen mit Migrationshintergrund in Verbindung gebracht und bedeutet oft Diskriminierungen im Alltag für Menschen, die dem visuellen Stereotyp von Migrant*innen entsprechen. Verwendet beispielsweise eine blonde, hellhäutige Frau das Wort „Wallah” mit ihren Freund*innen, weiß man, dass es sich um eine spielerische Imitation handelt, die für die Sprecherin meist keinerlei Konsequenzen hat.

Jugendsprache ist von multinationalen Einflüsse geprägt und zeichnet sich durch ihre Variation vom Standarddeutschen aus. Der Begriff „wallah“ (wörtlich „bei Allah“) wird mittlerweile auch von Jugendlichen nicht-arabischer Herkunft verwendet. Bild: Neonbrand

Jeden Tag ändert sich unsere Sprache ein bisschen

Die Vielzahl an Varianten und der regelmäßige Wandel unserer Sprache zeigen, dass die Sprache, wie wir sie in Regelwerken finden, nur eine kleine, ausgewählte Momentaufnahme von dem ist, was täglich kommuniziert wird. So werden jährlich tausende neue Wörter in den Duden aufgenommen. Das liegt auch an unserer wandelbaren Sprache: Schriftlich drücken wir uns anders aus als mündlich, in einem Aufsatz schreiben wir anders als in einer WhatsApp-Nachricht und mit unseren Eltern verwenden wir nicht dieselben Ausdrücke wie mit unseren besten Freund*innen. Wir übernehmen neue Begriffe, testen die Grenzen des grammatikalisch Machbaren und erfinden neue Aussprachen. Wer hierdurch die eigene Sprache gefährdet sieht, verkennt den Mehrwert einer vielfältigen Sprache: Wenn wir uns von dem elitären Ansatz lösen und den stetigen Wandel mit Neugier betrachten, können wir eine Menge von den verschiedenen Varianten und Blickwinkeln lernen. Vermutlich wird auch dieser Text in 1500 Jahren nicht mehr so einfach verständlich sein. Zumindest wird er wahnsinnig „alt” klingen. Denn Zeit formt Sprache und was uns heute noch falsch vorkommt, könnte morgen schon im Duden stehen.