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Seitdem es Smartphones gibt, wird es immer leichter, den Partner digital zu kontrollieren: Die Überwachenden können nach der Installation die Geräte tracken, Chat- und Anrufverläufe einsehen, Daten überspielen, Kalendereinträge kontrollieren und Telefonate mithören. Foto: Yoann Boyer.

Spyware: Deine BIG LOVE is watching you

Mehrere Hundert Softwares locken besonders Männer damit, ihre (Ex-)Partnerinnen überwachen zu können –  auf jedem Schritt, mit jeder WhatsApp-Nachricht, bei jedem Suchbegriff im Browser. Immer, egal wo.

Cyber Mobbing. Hassrede. Rachepornografie und Deep Fake. Auch, wenn diese Begriffe neuartige Phänomene beschreiben, so finden sich bereits seit der Antike Spuren, die zeigen, dass die Mediengeschichte der Menschheit eine grausame ist. Heute gibt es unzählige Formen von virtueller Gewaltausübung, die längst ihren ursprünglich digitalen Lebensraum verlassen haben und sehr reale Konsequenzen in der ‚echten‘ Welt mit sich bringen. Seit mittlerweile die meisten Menschen in Deutschland über ein Smartphone verfügen, gehören auch Spionage-Apps dazu. Was zunächst irgendwie spannend klingt, nach James Bond und ein bisschen Action im Alltag, ist eigentlich die wahr gewordene Orwell’sche Parole „Big Brother is watching you“. 

Die unsichtbare App auf deinem Smartphone

Im Unwissen der Betroffenen auf dem Smartphone installiert, läuft die Spyware im Hintergrund und wird damit zur schwer identifizierbaren Gefahr. Foto: Atharva Dharmadhikari.

Während die Anbieter auf ihren Websites die Applikationen damit bewerben, als Kontrollinstanz für den Handykonsum von Kindern oder die Arbeitsmoral von Angestellten zu fungieren, so werden sie doch vor allem für die Beobachtung von (Ex-)Partner*innen in Mann-Frau-Beziehungen eingesetzt. Im Unwissen der Betroffenen auf dem Smartphone installiert, laufen die Programme unsichtbar im Hintergrund und werden damit zur schwer identifizierbaren Gefahr. Bereits im Jahr 2017 hat das Online-Magazin VICE eine Recherche über eines dieser Programme, FlexiSpy, publiziert, aus der hervorging, dass die Software in Deutschland knapp 1.000 Mal heruntergeladen wurde – mindestens 80 Prozent von Männern. Diese Zahl dürfte bis heute um einiges gestiegen sein, denn das Kaspersky Security Network hat in einer Studie aus dem vergangenen Jahr festgestellt, dass es mittlerweile 380 Variationen der einschlägigen Versionen gibt. Über eine halbe Million Fälle haben ihre Sicherheitstechnologien registriert, in denen entweder die Existenz von Stalkerware oder der Versuch, diese zu aktivieren, verzeichnet wurde.

Oft sind die Opfer von häuslicher Gewalt oder Stalking auch von Spyware betroffen

Eine halbe Million Fälle, in denen sich Menschen bewusst dazu entschieden haben, gegen einen monetären Aufwand – je nach Laufzeit und Umfang liegt der Preis zwischen 30 und 200 Euro – illegalerweise in die Privatsphäre anderer einzudringen und intime Informationen für ihre Zwecke zu missbrauchen. Das Ausmaß des digitalen Stalkings bereitet spezifisch Frauenschutzorganisationen Sorge, so sagte der Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe im Austausch mit Deutschlandfunk Nova: „Das häufigste Problem ist, dass Frauen, die von häuslicher Gewalt oder Stalking betroffen sind, jetzt auch noch davon ausgehen müssen, dass sich auf ihrem Smartphone Spyware befindet.“ Im Landkreis Emsland ist beispielsweise jede fünfte Hilfesuchende bereits mit dieser Form der Handy-Spionage in Berührung gekommen.

Die Überwachenden können nach der Installation die Geräte tracken, Chat- und Anrufverläufe einsehen, Daten überspielen, Kalendereinträge kontrollieren und Telefonate mithören. Sie können sogar festlegen, dass die Überwacher, sobald die überwachte Person einen voreingestellten Radius verlässt, unmittelbar eine Alarmbenachrichtigung erhalten. 

Wie bemerkt man eine Stalking-App?

Für Nicht-Betroffene sind die physischen und psychischen Folgen, das Gefühl der allgegenwärtigen Bedrohung und der Verlust von sicheren Rückzugsorten kaum vorstellbar. Foto: Krists Luhaers.

Hinweise, die auf eine eventuelle Überwachung deuten können, sind unter anderem ein auffallend hoher Daten- und Akkuverbrauch sowie eine verminderte Schnelligkeit des Geräts. Viel auffälliger dürfte jedoch sein – davon berichten die Protagonisten der VICE-Geschichte –, wenn sich plötzlich „Zufälle” häufen und die Partner*innen an denselben Orten auftauchen. Wenn sie sich mit Details verraten, die ihnen nie erzählt wurden. Wenn sie akribisch jede Station des Tages abfragen. Für Nicht-Betroffene sind die physischen und psychischen Folgen, das Gefühl der allgegenwärtigen Bedrohung und der Verlust von sicheren Rückzugsorten kaum vorstellbar. Nichts bleibt unbemerkt, der (Ex-)Partner ist überall, übt omnipräsente Macht und Kontrolle aus. Es ist eine komplexe Problematik, bei der die nun nicht mehr geheimen Geheimnisse häufig nur einen kleinen Teil des Traumas ausmachen. Es ist spezifische Gewalt gegen Frauen und Mädchen, die sich lückenlos in den Kontext von häuslicher, sexualisierter und sexueller Gewalt einreiht – und damit offenbart, wie es um die Stellung von als weiblich kategorisierten Personen in der Gesellschaft, in heterosexuellen Beziehungen steht. Schlecht.

Wer hilft bei digitaler Gewalt? 

Gerade deshalb sind Organisationen wie Amnesty International oder Projekte wie „Aktiv gegen digitale Gewalt“, „Mobilsicher” und „Stop Stalkerware“ auch unabdingbar für den Schutz von Betroffenen und für die notwendige Aufklärung zur Prävention zukünftiger Übergriffe. Doch auch im Privaten ist es wichtig, den Raum zu öffnen und mit Freund*innen zu sprechen. Zu sprechen über die kleinen und großen Erfahrungen mit missbräuchlichen Situationen, angefangen bei vermeintlich harmlosen Momenten, in denen sich der Partner aus „Eifersucht” Zugang zu den Facebook-Nachrichten verschafft hat, bis hin zu den noch extremeren Formen von Machtausübung. Dieser  Diskurs muss auch entstigmatisiert werden. Frauen müssen für einander solidarisch sein, wo es nur geht. Denn digitale Gewalt, die Mädchen und Frauen überproportional häufig erfahren, scheint noch immer ein schwer zugängliches Thema für Politik und Justiz zu sein.

Spyware ist eine reale Bedrohung, eine reale Form geschlechtsspezifischer Machtausübung, die sich nicht an die Grenzen des Bildschirms hält. Photo: Leon Biss

In Frauenhäusern und Beratungsstellen fehlt es oft an Kapazitäten, um die Smartphones auf entsprechende Softwares zu prüfen. Liegt ein Verdacht vor, kann der Gang zur Polizei aufgrund mangelnder Expert*innen und der kompletten Offenbarung sensibler Daten – das Gerät muss einbehalten werden – eine weitere Belastung darstellen. Auch die Gesetzeslage ist schwammig. Zwar ist die Überwachung anderer eine Straftat, die mit hohen Geld- und mehrjährigen Haftstrafen geahndet wird, doch die Beweise dafür zu sammeln, ist eine Herausforderung. Bis auf Kreditkartenabrechnungen der Täter*innen gibt es bislang kaum Möglichkeiten, die Straftat effektiv nachzuweisen. Und die Software-Unternehmen ziehen sich aus der rechtlichen Verpflichtung, indem sie sich in ihren AGB versichern lassen, dass die Programme nur unter einvernehmlicher Zustimmung genutzt werden. Das Technikmagazin c’t hat kürzlich eine stichprobenartige Nachfrage bei Landeskriminalämtern in Berlin und Niedersachsen durchgeführt, die zeigte, dass kaum Strafprozesse oder Ermittlungsverfahren wegen Spyware eingeleitet werden. Ein Grund, weswegen es eine hohe Dunkelziffer geben dürfte.

„Stalkerware, die zum Ausspionieren von Telefonen und Computern in Situationen des häuslichen Missbrauchs oder der Belästigung verwendet wird, ist ein sehr ernstes Problem, das oft mit anderen Formen des Missbrauchs bis hin zu körperlicher Gewalt einhergeht“, meint Eva Galperin, Direktorin für Cybersicherheit bei EFF, im Gespräch mit Spiegel. „Die Allgegenwart von Stalkerware ist ein komplexes Problem, und wir brauchen Interessenvertreter aus allen Teilen der Gesellschaft, um sie wirksam zu bekämpfen.“ Denn Spyware ist eine reale Bedrohung, eine reale Form geschlechtsspezifischer Machtausübung, die sich nicht an die Grenzen des Bildschirms hält. Es ist reale Gewalt gegen Mädchen und Frauen, die niemals unbemerkt bleiben darf.