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Foto: Galleria Poggiali.

Tätowierte Skulpturen: Von alten und neuen Schönheitsidealen

Der italienische Bildhauer Fabio Viale versieht klassische Werke der Bildhauerei mit zeitgenössischen Tattoos und zeigt uns dabei die klassischen Werke der Antike auf eine aufregende neue Art.

Die Venus von Milo mit tätowiertem Rücken oder der kämpfende Laokoon mit einem düsteren Ganzkörpertattoo? So kann man auch seinen pubertierenden Neffen für die von vielen als altertümlich befundene, griechische Kunstgeschichte begeistern. Der italienische Bildhauer Fabio Viale interpretiert antikes Bildhauerhandwerk in seiner eigenen, zeitgenössischen Sprache neu. Dafür tätowiert er Ebenbilder ikonischer Marmorskulpturen. 

Hier von Vorne gezeigt: Die Venus von Milo, im Original gemeißelt von Alexandros of Antioch. Ihr Tattoo erstreckt sich über ihre Schultern, ihren gesamten Rücken hinunter. Foto: Galleria Poggiali.

Poetische Provokation: Wie tätowiert man eine Marmorhaut? 

Weinreben, Blüten und mythische Wesen auf dunklem Hintergrund umhüllen dabei Rücken, Glieder oder auch mal eine ganze Schulter. Das besondere dabei: er bemalt nicht die marmorne Oberfläche der Skulpturen, sondern lässt speziell angefertigte Farbe tief in die Poren des Steins eindringen, so, als würde er Marmor tätowieren. Um die richtige Farbmischung zu entwickeln und den Effekt einer perforierten Haut zu erzielen – wie bei einem echten Tattoo – arbeitete er eng mit Chemikern zusammen. Provozierend und poetisch beabsichtigt er somit eine kunstvolle Verbindung zwischen der Kunstgeschichte der Alt- und Neuzeit zu schaffen und zwingt uns sanft zu einem Perspektivwechsel. Antike Bildhauerei ist eben doch nicht nur was für Geschichtsbücher und Museen. Bei diesen attraktiven Figuren – die ein wenig an unser modernes, tätowiertes, Schönheitsideal erinnern – wagt man auch gerne einen zweiten Blick. 

Aus alt mach neu: Viales Spiel mit dem uns Bekannten

Die Idee, berühmte Marmorskulpturen nachzuempfinden und zu tätowieren, begleitet die Arbeit Fabio Viales bereits seit einigen Jahren. Im Jahr 1975 in Cuneo geboren, verschrieb Viale sein Leben im Alter von 16 Jahren dem Marmor und der Bildhauerei. Zunächst fertigte er architektonische Elemente und Statuen für den Friedhof von Mailand an, bevor er eine selbständige Karriere als zeitgenössischer Bildhauer begann. Seine Werke gelangten bisher von Italien nach New York und weiter nach Russland. 

Hier zu sehen ist nur der Kopf der berühmten David Skulptur, welche Michelangelo um 1501 fertigte. Foto: Galleria Poggiali.

Die Kombination von Marmor, Klassizismus und Tätowierungen wiederholt sich seit 2015 in den Werken Fabio Viales mehrmals. In einem Interview mit designboom sprach der Bildhauer über den Entstehungsprozess seiner Tattoo-Designs. Sie seien “durchdrungen von Symbolen und Darstellungen, die meiner künstlerischen Phantasie entspringen”. Doch warum schafft und tätowiert Viale nicht seine eigenen Skulpturen? Er sagt, dass er durch die Reproduktion klassischer Werke in der Lage sei, den ursprünglichen Künstler und die Gefühle hinter den ikonischen Statuen besser zu verstehen. “Es ist eine Begegnung zwischen Leben und Tod, zwischen dem Sakralen und dem Profanen. Die Beziehungen zwischen beidem, führt zu einem festen Band, das Energie schafft: Das Vorurteil, dass wir bei klassischer Schönheit hegen und die Härte, die einer bestimmten Art von krimineller Tätowierung innewohnt, rufen Keuchen und Staunen hervor.”

Dabei änderte er auch gerne die Ikonographie der Originalskulptur, wie zum Beispiel die der Skulptur des trojanischen Priesters Laokoon, dessen Erschaffer bis heute unbekannt bleibt. Die dramatische Szene, in welcher seine Söhne und er von einer Schlange erdrosselt werden, verkürzte Viale, indem er die Söhne bei seiner Kopie komplett weglässt. Reduziert auf das wesentliche, ist nicht nur das Leid Laokoons präsenter, sondern auch sein gestählter Körper. Genau das rückt bei Viales Werken in den Vordergrund: Das Schönheitsideal der Antike und dadurch auch eben jenes unserer Neuzeit.

Um die richtige Farbmischung zu entwickeln und den Effekt einer perforierten Haut zu erzielen – wie bei einem echten Tattoo – arbeitete er eng mit Chemikern zusammen. Foto: Galleria Poggiali.

#Inked: Das Schönheitsideal der Antike ist präsent bis heute 

Das Verbindungsstück von Viales Interpretation der griechischen Bildhauerei mit unserer Neuzeit sind nicht etwa die Tätowierungen. Denn die Kunst, Farbpigmente mittels Nadeln unter die Haut zu bringen ist älter, als die meisten der dargestellten griechischen Skulpturen selbst. Die Tätowierungen verbinden ein altes Körperideal mit unseren heutigen Sehgewohnheiten und lassen die Skulpturen vertraut wirken. Tätowierte, muskulöse Männerfiguren – am besten noch mit Vollbart – gelten auch heute in den Medien als attraktiv und begehrenswert. So erscheint plötzlich die klassische griechische Bildhauerei, welche die meisten von uns eventuell noch mit langatmigen Schul- und Familienausflügen verbinden, aufregend, neu und verständlich. So schafft Viale für die Besucher seiner Ausstellung die Möglichkeit, Kunstgeschichte neu zu erfassen. Weg vom Museumsrelikt und hin zu einer spannenden, neuen Begegnung mit einem vergangenen Lebensgefühl. 

Zur Zeit kann man seine Ausstellung “Truly” in den Straßen Pietrasantas in Italien bewundern. Dort erregen seine tätowierten Skulpturen, verteilt über die ganze Stadt, bis zum 3. Oktober noch das Interesse vieler Bewohner und Besucher.