Vanlife, Strand, Kanufahren, Wasserfälle, Swimming Pools, Cocktails, Kaffee in den Bergen: So sieht „the new rich“ aus. Das Motto: Materieller Reichtum war gestern, „Experience“ ist heute. Unter dem hashtag #thenewrich verbreiten sich derzeit unzählige kurze Videos in den sozialen Medien, die Freizeiterfahrungen und Zeit als Inbegriff eines „neuen Reichtums“ darstellen.
„Welcome to the new rich. We don’t care what kind of house you live in or what kind of car you drive. We don’t care about those designer brands. We’re debt free. What we care about the most is time, experiences.“ Kurzvideos unterlegt mit diesem Zitat, die glückliche Menschen bei Freizeitaktivitäten zeigen, erobern derzeit das Internet. Aber steckt hinter dem TikTok-Konzept „the new rich“ mehr als nur schuldenfreier Urlaub?
TikToker inszenieren sich als Kapitalismus-Kritiker:innen
„We don’t care what kind of car you drive“ ist leicht gesagt, wenn man einen Pick-Up-Truck durch die australische „tropical chic“ Luxus-Insel Double Island fährt. Es kann sich schließlich nicht jeder leisten, mit einem Van durch Europa zu reisen, auf australischen Luxusinseln zu surfen oder an Wasserfällen in Island abzuhängen, wo das billigste Stockbett in einem 16er-Zimmer knapp 50 Euro pro Nacht kostet.
Dass Designertaschen oder andere materielle Güter die TikTok-Neureichen nicht länger beeindrucken, ist schön und gut. Bei den TikTokern handelt es sich aber nicht um Kapitalismus-Kritiker:innen und Aussteiger:innen, denn Urlaub und Freizeitaktivitäten waren schon immer Symbole von Wohlstand. Was ist eigentlich neu am Konzept „the new rich“?
Nouveau riche neu aufgezogen
Schon die Wohlhabenden unter den alten Griechen nutzten die Idee des „neuen Reichtums“, um eine abwertende Unterscheidung zwischen den Wohlhabenden zu machen, die erst kürzlich Wohlstand erlangt haben und solchen, deren Wohlstand über Generationen vererbt wurde. In den Augen der „alten Reichen“ fehlte es den „Neureichen“ an den Werten und der Vornehmlichkeit der Aristokratie.
Bis heute hat sich dieses Klassenkonzept hartnäckig gehalten: Die neureiche Person, die vorher einer niedrigeren sozialen Schicht angehörte, erlangt durch das neu gewonnene Vermögen soziale Mobilität und kann Objekte und Erfahrungen konsumieren, die ihre Zugehörigkeit zu einer höheren sozialen Schicht signalisieren. Trotzdem muss die neureiche Person die Werte und Bräuche der „alten reichen“ Eliten zunächst lernen, bevor sie in den aristokratischen Kreisen akzeptiert wird. „Neureich“ ist also ein historisch abwertender Begriff, der ausschließlich von „alten Reichen“ benutzt wurde.
Im Fall der TikTok-Neureichen ist schwer zu sagen, ob das Vermögen der Urlauber:innen neu oder alt ist. Klar ist aber, dass sie flüssig genug sind, um diese Unterscheidung irrelevant zu machen. Egal, woher der Reichtum kommt; wichtig ist, wie er gelebt und gezeigt wird. Neu ist nicht die Art des Reichtums, sondern dessen Präsentation, während der Reichtum selbst als Selbstverständlichkeit der konsumierten Erfahrungen in den Hintergrund rückt.
Durch die unzähligen Repräsentationen, die Verzicht auf materielle Güter als eine bescheidene, alternative, „neureiche“ Eigenschaft suggerieren, bekommt der eigentlich abwertende Begriff sogar eine neue, positive Konnotation. Die Message: Für Reichtum braucht man kein Geld. Jede:r kann (neu)reich sein, alles, was man dazu braucht, ist Schuldenfreiheit, ein Smartphone, Urlaub… und Zeit.
Das Problem: Zeit ist Geld
…das lehrte schon Benjamin Franklin 1748 in seinem Buch „Ratschläge für junge Kaufleute“. Und solange wir in einer kapitalistischen Gesellschaft leben, in der Zeit Mangelware ist, ist Freizeit für viele ein Privileg: Der durchschnittliche Amerikaner zwischen 25 und 51 Jahren arbeitet 40,5 Stunden pro Woche. Die TikTok-Videos suggerieren aber genau das Gegenteil: Bei den „Neureichen“ handelt es sich keineswegs um Reiche, sondern um bescheidene Camper der Mittelklasse, denen es nichts ausmacht, für ein Paar Wochen Kaffee aus einem Aluminiumbecher zu trinken, wenn die Aussicht stimmt – für die Experience. Ein Phänomen einer „altreichen“ Mittelklasse, die sich auf dem familiären Reichtum ausruhen kann?
Im Film In Time – Deine Zeit läuft ab (2011) wird die Zeit, die sich die neureichen TikToker bedenkenlos zum urlauben nehmen, direkt zur Lebensversicherung. In einem dystopischen Szenario, in dem Lebenszeit selbst die Währung ist, befinden sich Amanda Seyfried und Justin Timberlake in einem ständigen Wettlauf gegen die Zeit und den Tod, während reiche Menschen ewig leben. Eine Dystopie, die die kapitalistische Weltordnung gut widerspiegelt und durch die neureichen TikToker bekräftigt wird: Glück, Genuss, Freiheit und Lebensqualität sind kein direktes Resultat von Geld, sondern von Zeit und Lebenserfahrungen.
Doch um diese zu ermöglichen, braucht man nun mal Geld. Denn Wohlstand bedeutet in unserer Welt nach wie vor soziale Mobilität und einen unerschöpflichen Pool an Möglichkeiten. Und Wohlstand, davon haben die Pseudo-Aussteiger:innen von TikTok offensichtlich genug – sonst würden sie ihre Lebensrealitäten nicht so unreflektiert teilen. Die neureichen TikToker sind keineswegs bescheidene Aussteiger:innen, die dem Kapitalismus den Rücken zugekehrt haben. Sie gehören vielmehr einer wohlhabenden Elite an, die sich ihren Privilegien nicht bewusst zu sein scheint. Wie schon US-Milliardär Warren Buffet bemerkte: „The rich invest in time, the poor invest in money.“ Welcome to the new rich.