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Bild: Oğuz Yılmaz

Unsere toxische Beziehung mit Geld: Interview mit Mareice Kaiser

Die Journalistin Mareice Kaiser ist sich sicher: Es gibt keine Alternative zum Ende des Kapitalismus. Für ihr Buch Wie viel – Was wir mit Geld machen und was Geld mit uns macht hat die Autorin in ganz Deutschland mit Menschen über Geld gesprochen. Mit denen, die sehr viel haben, und denjenigen, die kaum etwas haben. Im Interview erklärt Kaiser, was sich in Deutschland in Sachen Geld verändern muss.

Wenn wir von toxischen Beziehungen sprechen, ist meist die Rede von Liebesbeziehungen. Ist auch unsere Beziehung zu Geld toxisch? 

Meine auf jeden Fall. Ich habe überlegt, wie ich meine Beziehung und meine Gefühle zu Geld in Worte fassen kann. Toxisch war für mich am stimmigsten. Ich hasse Geld, damit beginne ich ja mein Buch. Allerdings hat sich mein Verhältnis zu Geld während der Recherche auch gewandelt. 

Hast du schon immer offen über Geld gesprochen? 

Nein, nicht wirklich. Früher habe ich mich viel geschämt. Dafür, mit Kindern in meiner Klasse nicht mithalten zu können, zum Beispiel was Markenklamotten angeht. Aber mittlerweile spreche ich sehr gern offen über Geld. Vor allem, weil das der einzige Weg gegen die Scham ist.  

Armut ist in Deutschland sehr gut erforscht, weil arme Menschen sich gegenüber dem Staat sehr transparent verhalten müssen. Die Forschungslage zu Reichtum hingegen ist schwammig und basiert auf Schätzungen. Woran liegt das?  

Das liegt zum Beispiel daran, dass Menschen mit Geld die sind, die entscheiden, was erforscht wird – und was nicht. Menschen mit viel Geld schweigen gern darüber, damit sie das Geld behalten können. Denn wenn sie darüber sprechen würden, wäre sehr schnell klar, wie ungerecht Geld verteilt ist. 

Deutschland gilt gemeinhin als Wohlstandsland. Trotzdem lebt etwa jedes fünfte Kind in Armut, und Armut und Wohnungslosigkeit haben sich seit der Pandemie weiter zugespitzt. Warum leistet sich Deutschland als reiches Land so etwas? 

Tja, das ist eine sehr gute Frage. Die stelle ich ja auch im Buch. Dass sich ein reiches Land wie Deutschland Kinderarmut leistet, ist wirklich ein Skandal. Und ich kann mir das auch nicht wirklich erklären. Außer damit, dass die Entscheidungsträger – und ich nutze hier extra die männliche Form – nicht von Armut betroffen sind und das Thema in ihrem Leben keine Rolle spielt. Sie machen Politik für sich und für die Menschen, die ihnen ähnlich sind.  

Eine Studie des DIW schlägt vor, Volljährigen ein Startkapital von 20.000 € auszuzahlen – durch Steuergelder. Die Studie zeigt: Ein Grunderbe würde die Vermögensungleichheit in Deutschland effektiv bekämpfen. Könnte ein Grunderbe für alle zumindest einige Schwachstellen des Kapitalismus korrigieren? 

Die Idee finde ich tendenziell gut, aber sie kommt im Lebensverlauf zu spät. Denn mit 18 ist der Drops doch eigentlich schon gelutscht. Sehr viel früher wird entschieden, welche Möglichkeiten ein Mensch hat – meist schon in der Kita und der Grundschule. Schon da werden Kinder je nach sozialer Herkunft getrennt, schon da entscheidet Geld, wer wo dabei sein kann – zum Beispiel bei Klassenfahrten oder in Bezug auf Hobbies. Ein solches Startkapital müsste also schon zur Geburt kommen. 

“Unsere Ressourcen sind begrenzt, wir müssen sie schützen und gerechter verteilen, sonst überleben wir das als Menschheit nicht.” Bild: Oğuz Yılmaz

Immer mehr prominente Stimmen setzen sich mittlerweile für eine gerechtere Besteuerung reicher Menschen ein. Erleben wir gerade einen Paradigmenwechsel?  

Das wäre schön. Ich bin mir nicht sicher, ob es schon reicht – denn es gibt sehr, sehr viele mächtige Stimmen, die nichts von Umverteilung wissen möchten. Allerdings habe ich natürlich weiterhin die Hoffnung, dass sich was dreht. Vor allem, weil wir ja durch die Auswirkungen der Klimakrise sehen, dass wir dringend etwas ändern müssen. Unsere Ressourcen sind begrenzt, wir müssen sie schützen und gerechter verteilen, sonst überleben wir das als Menschheit nicht.  

Hat sich durch die Recherche für dein Buch auch dein eigenes Investmentverhalten geändert? Besitzt du selber Aktien?

(lacht) Nein.

Laut Angaben des Arbeitsministeriums steuert gerade jede dritte Frau mit einer Vollzeitstelle in Deutschland auch nach 40 Arbeitsjahren auf eine Rente von weniger als 1000 Euro netto zu. Ist Finanz-Gerechtigkeit auch eine Frage des Geschlechts?

Na klar. Der Gender Pay Gap ist real. Und es gibt noch mehr Begriffe: Motherhood Wage Penalty, Gender Pension Gap, Teilzeit-Falle. All diese Begriffe stehen für Strukturen, die weiblich gelesene Personen und vor allem Mütter diskriminieren.

Was würdest du anderen Frauen raten bezüglich ihrer Finanzen?

Kämpft solidarisch gegen das System und nicht gegen euch selbst.

Was können wir von anderen Ländern, die eine progressivere Steuerpolitik als Deutschland haben, lernen, wie zum Beispiel Schweden? Was machen die besser? 

Genau, in Schweden ist die Steuererklärung ein bürokratischer Klacks. Gleichzeitig funktioniert dort die Infrastruktur besser – so sehen die Leute, dass ihre Steuern auch wirklich zu einem guten Leben beitragen. Oder in Norwegen, da kannst du den Namen von deinem Nachbarn eingeben und siehst, ob er geerbt hat oder erben wird und wie viel er verdient. So eine Art von Transparenz würde uns in Deutschland auch guttun.  

Du sagst, es gäbe keine Alternative zum Ende des Kapitalismus. Was könnte danach kommen, und wie kommen wir da hin?  

Eine große Frage. Aber ja, bei der Aussage bleibe ich: Es gibt keine Alternative zum Ende des Kapitalismus. Die Ausrichtung an Profiten hat uns ja durch die Klimakrise gezeigt, wohin es führt: Zum Ausbrennen von Menschen und letztendlich vom Planeten. Wir brauchen mehr Solidarität und dafür brauchen wir politische Rahmenbedingungen. Die Wissenschaftlerin Maja Göpel beschreibt für den Weg zu einer solidarischen Gesellschafts- und Wirtschaftsform zwei Wege: Entweder by design oder by desaster. Also entweder gestalten wir den Wandel selbst, oder das Desaster gestaltet den Wandel. Das liegt an uns allen.

Mehr zum Thema finanzielle Bildung und soziale Gerechtigkeit lest ihr in unserem gleichnamigen Kompendium.